Nach seiner Aufnahme an der renommierten Sorbonne in Paris setzen seine Eltern alle Hoffnungen in Ahmed (Sami Outabali), der sich schon seit Wochen durch eingehende Lektüren auf die ersten Kurse in der Literaturwissenschaft vorbereitet. Seine Familie kommt aus Algerien und musste vor lange Zeit von dort fliehen, sodass sein Vater, ein gelernter Journalist, seine Arbeit dort aufgeben musste und nun erst recht hofft, sein Sohn möge in diesem neuen Land in seine Fußstapfen treten. Die Kurse, die Ahmed besucht, gehen mitnichten nur auf französische Autoren ein, sondern zudem auf arabische Literatur, die den Ursprung und die Inspiration für viele heutige Literaten lieferte. Auch in Sachen Sexualität und Liebe waren die Autoren und Dichter von damals weit voraus, was für Ahmed, der noch nie eine Freundin hatte, eine neue Erfahrung ist. Doch auch außerhalb der Seminarräume macht er erste Erfahrungen mit der Liebe, denn schon von seinem ersten Tag an hat es ihm seine Kommilitonin Farah (Zbeida Belhajamour), eine junge Tunesierin, angetan.
Etwas weniger mannhaft
War es in ihrem letzten Film Kaum öffne ich die Augen noch die Nachwehen des Arabischen Frühlings thematisierte, erzählt Leyla Bouzids zweiter Film nun eine Geschichte, in der es ebenfalls um eine Form der Freiheit geht, die der Protagonist noch für sich entdecken muss. Eine Geschichte von Liebe und Verlangen, der bereits 2021 auf den Filmfestspielen in Cannes lief und dieses Jahr unter andere im Programm des ALFILM Festivals vertreten ist, befasst sich mit einem bestimmten Bild von Männlichkeit, Liebe und Tradition, was verbunden wird mit der kulturellen Tradition arabischer Literatur. Bouzid beschreibt, dass sie beabsichtige eine „weniger mannhafte“ Darstellung eines jungen Mannes zu zeigen, der sich in einem Zwiespalt zwischen Tradition und dem eigenen Verlangen wiederfindet.
Dieses Bild von Männlichkeit ist keines, was der Held der Geschichte selbst konstruiert, sondern was sich in der Berichterstattung um junge Einwanderer, gerade Männer, wiederfindet, ebenso wie in der Definition von Maskulinität in einigen Kulturen. Als Ahmed zeigt Sami Outabali einen jungen Mann, der zunächst einmal genau in dieses Schema passt, dann aber auch wieder, betrachtet man sein Umfeld sowie sein Elternhaus, diese Erwartungen unterwandert. Was in seinem Freundeskreis, bei seinen Arbeitskollegen noch wie das Image des „starken Mannes“ erscheint, ist für ihn in diesem neuen Terrain, der Universität, eher hinderlich, sogt für Irritation und mehr als einmal einen Konflikt. Befremdet reagieren Farah und eine Freundin auf Ahmed, der einen anderen Mann zunächst provoziert und diesem letztlich gar droht, wenn er seine Begleiterinnen nicht in Ruhe lassen würde. Die Demonstration von Männlichkeit und Sicherheit wird jedoch schnell enttarnt und man blickt als Zuschauer, ebenso wie Farah, schnell hinter diese Fassade, welche schließlich nur die eigene Unerfahrenheit kaschieren soll. Durch sensible Darstellungen und einfühlsame Dialoge gelingt in Eine Geschichte von Liebe und Verlangen eine Annäherung zu einem komplexen Thema und einem Konflikt, der sich vor allem durch die Beziehung auflösen könnte.
Worte und Sprache einer Liebe
Zugleich zollt Bouzids Film jenen Ideen von Liebe, Sexualität und Geschlecht Tribut, die man in arabischsprachiger Literatur vorfindet. Generell sind Wort und Sprache wichtige Elemente ihres Filmes, wenn beispielsweise ihr Held sich in den Worten eines Dichters wiederfindet und in diesen zu verlieren scheint, aber selbst das Arabische nicht beherrscht, was zu seinem Minderwertigkeitskomplex noch weiter beiträgt. In einer Präsentation gegenüber seinen Kommilitonen definiert Ahmed, wie die Liebe für die Helden in der Literatur unerfüllt blieben muss, wie auch für die Autoren an sich, was seine Dozentin als eine Herangehensweise von vielen akzeptiert und auf die anderen Sichtweisen hinweist. Jenes liberale Milieu der Universität wie auch das Elternhaus, welches geprägt ist von Tradition, doch zugleich der Verbitterung des Vaters, wird in den sensiblen Bildern Sébastien Goefert gezeichnet.
A Tale of Love and Desire funktioniert als eine Liebesgeschichte auf einer Ebene, doch Bouzid geht es um andere Themen, um Vorstellungen von Reinheit, um Tradition und Beziehungen. Ihre Herangehensweise ist dabei einfühlsam und lässt keine schnellen Urteile über die Figuren oder ihre Handlungen zu. Vielmehr sehen wir den Beginn eines Prozesses, wie sich jemand durch die Erfahrung von Zweisamkeit verändert und sich beginnt, neu zu sehen.
OT: „Une histoire d’amour et de désir“
Land: Frankreich, Tunesien
Jahr: 2021
Regie: Leyla Bouzid
Drehbuch: Leyla Bouzid
Musik: Lucas Gaudin
Kamera: Sébastien Goefert
Besetzung: Sami Outalbali, Zbeida Bhelhajamour, Diong-Kéba Tacu, Aurélia Petit, Mahia Zrouki, Bellamine Abdelmalek, Mathilde Lamusse
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2022 | Bester Nachwuchsdarsteller | Sami Outalbali | Nominiert |
Cannes 2021
Toronto International Film Festival 2021
Zurich Film Festival 2021
Filmfest Hamburg 2021
Französische Filmtage Tübingen Stuttgart 2021
Filmfestival Mannheim Heidelberg 2021
ALFILM 2022
MyFrenchFilmFestival 2023
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