Weit entfernt von der Hektik und dem Lärm Beiruts haben sich Walid (Saleh Bakri) und seine Ehefrau Soraya (Nadine Labaki) ein schönes Leben aufgebaut. Größtenteils unabhängig leben sie zusammen mit ihren beiden Kindern und Wailds Mutter in einem kleinen Haus, samt Swimmingpool, den Walid einst gar selbst baute, und eigenem, großzügig angelegten Garten, in dem sie fast jede Mahlzeit einnehmen und von dem aus sie die herrliche Aussicht auf die Berge des Landes sowie das Tal haben. Die Idylle ist jedoch jäh zu Ende, als eines Tages das Errichten einer hässlichen Betonstatue ein größeres Bauprojekt der Regierung ankündigt, denn auf ihrem Grundstück soll eine Mülldeponie samt Recyclingstation entstehen. Als sich Walid und Soraya gegen den Regierungsbeamten wehren wollen, bezieht sich der auf einen Kaufvertrag, den Walids Tante, die vor Jahren auswanderte, unterschrieben hat. Um sie herum beginnt bereits die Veränderung, die das Bauprojekt mit sich bringt, denn neben dem allgegenwärtigen Lärm und diversen Streitereien mit den Arbeitern, werden auch innerhalb der Familie Probleme deutlich. So besteht die neunjährige Rim (gespielt von Ceana Restom und Geana Restom) auf ihrer Sichtung von Fremden an ihrem Haus und treibt ihre Mutter mit ihrem fast zwanghaften Zählen an den Rand des Nervenzusammenbruchs, wie auch Zeina (Liliane Chacar Khoury), deren freundschaftlichen Gespräche mit den Arbeitern, ihren Sohn zunehmend stören.
Das Schweigen der Eltern
Aufgewachsen in einer Familie von Künstlern und Intellektuellen, war es sicherlich nicht überraschend, dass sich die Libanesin Mounia Aki in eine ähnliche Richtung entwickelte. In Interview zu ihrem ersten Spielfilm Costa Brava, Lebanon, der im Programm des ALFILM Festivals vertreten ist und auf dem London Film Festival 2021 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, beschreibt sie aber auch, wie sich als Drehbuchautorin, Darstellerin und Regisseurin ihr Blick auf ihr Land und ihre Familie veränderte. Vor allem fand sie es interessant, dass eine Diskussion über den Libanon an sich, seine Politik und seien Vergangenheit, zu einer Art Tabu in ihrer Familie wie auch ihrem Freundeskreis geworden war, was sie zu der Geschichte von Costa Brava, Lebanon inspirierte.
Wie in vielen Dramen steht auch in Akis Film die Familie im Kern der Handlung als Spiegelbild der Gesellschaft. Das Land, symbolisiert durch die Hauptstadt Beirut, wie auch die Vergangenheit der Eltern ist ein Tabuthema innerhalb der Gemeinschaft, was sich bestenfalls durch Zufälle andeutet, über die man sogleich den Mantel des Schweigens legt. Im Verlaufe der Handlung zeigt Aki immer wieder bruchstückhaft, was Soraya, einst eine gefeierte Sängerin, und ihren Mann Walid, ehemals ein politischer Aktivist, hin zu einem Leben nicht nur abseits der Großstadt motivierte, sondern auch abseits jener Leben, die sie in Beirut lebten. So ist Costa Brava, Lebanon eine Familiengeschichte, doch zugleich Spiegelbild einer Nation, die ihre Vergangenheit, folgt man dem zentralen Bild des Filmes, am liebsten vergraben und vergessen will. Jedoch bleibt der Müll, wird noch stärker im Geruch und in der Anzahl, sodass eine Konfrontation unausweichlich wird.
Lärm und Müll
Immer präsenter wird dieser Müll, der Lärm der Baustelle und die Umweltschäden, die man in Kauf nimmt, so lange man zumindest zeitweise von dem Offensichtlichen ablenken kann. In den Hauptrollen spielen Nadine Labaki und Salek Bari ein Ehepaar, welches sich immer mehr mit dem Rücken zur Wand sieht, und durch die Wahl der möglichen Auswege aus der Miesere die Beziehung aufs Spiel setzt. Darüber hinaus überzeugt vor allem jedoch Nadia Charbei als ältere Tochter Tala, die, zum Schrecken ihrer Eltern, Gefallen an einem der Regierungsbeamten zu finden scheint und an dem Schweigen von Vater und Mutter verzweifelt. Der Konflikt, ausgelöst durch den Bau der Mülldeponie, wird zu einer Zerreißprobe für die Familie und ebenso für das Land an sich, dessen Gesellschaft mehr und mehr von derlei PR-Aktionen genug zu haben scheint und seiner Wut in Form von Demonstrationen und Kundgebungen Luft verschafft.
Abgesehen von den Darstellern sind es die Bilder Joe Saades sowie die Dramaturgie des Drehbuchs, welches Aki zusammen mit Clara Roquet schrieb, überzeugend, wenn sie den stetigen Zerfall dieses Paradieses zeigen, welches sich die beiden zentralen Charaktere aufgebaut haben.
OT: „Costa Brava, Lebanon“
Land: Libanon, Frankreich, Katar, Spanien, Schweden, Dänemark, Norwegen, USA
Jahr: 2021
Regie: Mounia Aki
Drehbuch: Mounia Aki, Clara Roquet
Musik: Nathan Larson
Kamera: Joe Saade
Besetzung: Nadine Labaki, Salek Bakri, Nadia Charbel, Ceana Restom, Geana Restom, Liliane Chacar Khoury, Yumna Marwan, François Nour
Venedig 2021
Toronto International Film Festival 2021
ALFILM 2022
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