Nach dem Tod seines Vaters fällt dem einzigen Sohn Louis Wain (Benedict Cumberbatch) die Aufgabe zu, die Familie zu ernähren. Einfach ist das nicht, schließlich gilt es neben der Mutter noch fünf Schwestern zu versorgen. Zwar bietet ihm Sir William Ingram (Toby Jones), Verleger der Illustrated London News an, eine Vollzeitstelle als Illustrator an. Doch Louis hat andere Pläne. Dessen ältere Schwester Caroline (Andrea Riseborough) ist davon ebenso wenig angetan wie von seinen Gefühlen für die neue Gouvernante Emily Richardsen (Claire Foy), die sich um die jüngeren Schwestern kümmern soll. Sie ist zu alt, kommt zudem aus einer niederen Schicht – was sollen die Leute nur von ihnen denken? Dafür bekommen die Wains bald anderweitig viel Zuspruch: Louis’ Katzenzeichnungen stellen sich als großer Renner heraus …
Katzen gehen immer
In den letzten Jahren wurden im Internet Videos zum Renner, die mit süßen Kätzchen, die irgendwelche süßen Sachen machen, ihr Publikum suchten. Andere setzten auf Katzen, die irgendwelche lustige Sachen machen. Und dann gab es solche Video, bei denen die Katzen eigentlich gar nichts machen. Anspruchsvoll war das nicht, originell oder ambitioniert ebenso wenig. Aber egal, Hauptsache etwas mit Katzen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, Louis Wain, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit Katzenzeichnungen zu Ruhm kam, sei einfach nur ein Vorläufer dieses heutigen Trends. Solche Anthropomorphisierungen gehen schließlich immer. Da reicht ein Blick auf die ganzen Animationsfilme, die auf eher billige Weise Tiere vermenschlichen und damit eine jüngere Zielgruppe ansprechen wollen.
Zumindest anfangs sieht es auch so aus, als würde sich Die wundersame Welt des Louis Wain vor allem auf den witzig-harmlosen Aspekt konzentrieren, wenn Katzen sich wie Menschen verhalten. Umso mehr, da der Film sich selbst sehr komisch gibt. Der britische Zeichner wird als schrulliger Möchtegernkünstler porträtiert, der große Träume in sich trägt, für das Leben in der realen Welt jedoch kaum gemacht zu sein scheint. Benedict Cumberbatch ist für eine solche Figur natürlich wie geschaffen. Zwar lässt er hier mal die arrogante Überheblichkeit weg, für die er in Sherlock oder Doctor Strange weltberühmt wurde. Die exzentrischen Manierismen, für die der Brite bekannt ist, finden sich aber auch in dieser Figur wieder, die wie so viele von Cumberbatches Rollen große Defizite im zwischenmenschlichen Bereich hat.
Die Tragik hinter dem Skurrilen
Doch dieser anfängliche Eindruck trügt. Regisseur und Co-Autor Will Sharpe (Landscapers) mag zu Beginn das Publikum ein wenig einlullen und in Sicherheit wiegen. Doch eigentlich erzählt er in Die wundersame Welt des Louis Wain eine sehr tragische Geschichte. Der Film beginnt nicht nur mit einem Schicksalsschlag, der die Familie in größere Nöte bringt. Auch später wird es das Leben mit ihnen nicht gut meinen und wieder und wieder Steine in den Weg legen. Teilweise ist das natürlich selbst verschuldet, wenn Louis sich zu wenig um die materielle Welt kümmert und irgendwann von bizarren Theorien überzeugt ist. Die dominante und durchweg anstrengende Caroline ist ebenfalls keine große Hilfe, wenn sie ständig meckert, aber keine konstruktiven Lösungen anbieten kann. Teilweise ist es schlicht und ergreifend Unglück.
Die Tragik des Films liegt dann auch darin, dass die Arbeit von Louis untrennbar mit diesen dunklen Aspekten seines Lebens verbunden ist. Ob die Katzenzeichnungen nun selbst Ausdruck einer beginnenden Geisteskrankheit ist, darüber kann man sich streiten. Wohl aber waren sie ein Ventil für ihn, mit einer Welt zurechtzukommen, die ihm immer weniger zu bieten hatte und mit sehr viel Schmerzen verbunden war. Je schlechter es um ihn bestellt war, umso stärker stürzte er sich in die Kunst. Ähnlich zum Animeklassiker Night on the Galactic Railroad nach dem gleichnamigen Roman von Kenji Miyazawa verbirgt sich hinter den freundlichen Katzen daher sehr viel mehr. Das Skurrile ist mit Melancholie verbunden, hinter dem Putzigen warten größere Fragen. Und eben auch Verzweiflung: Die Art und Weise, wie der Titelheld von Die wundersame Welt des Louis Wain zunehmend unter dem Druck zusammenbricht, der Film von Minute zu Minute dunkler wird, geht schon zu Herzen – gerade auch, weil das nach dem Anfang so unerwartet kommt. Ein bisschen versöhnlich stimmt Sharpe zwar schon noch, will nicht komplett in die Abgründe hinein. Dennoch, wer einfach nur süße oder lustige Katzen sehen will, der ist hier fehl am Platz.
OT: „The Electrical Life of Louis Wain“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Will Sharpe
Drehbuch: Simon Stephenson, Will Sharpe
Musik: Arthur Sharpe
Kamera: Erik Wilson
Besetzung: Benedict Cumberbatch, Claire Foy, Andrea Riseborough, Toby Jones
Telluride Film Festival 2021
Toronto International Film Festival 2021
Zurich Film Festival 2021
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)