Hoje Eu Quero Voltar Sozinho Heute gehe ich allein nach Hause
© Salzgeber & Co. Medien

Heute gehe ich allein nach Hause

Hoje Eu Quero Voltar Sozinho Heute gehe ich allein nach Hause
„Heute gehe ich allein nach Hause“ // Deutschland-Start: 26. Februar 2015 (Kino) // 24. März 2015 (DVD)

Inhalt / Kritik

Leo (Ghilherme Lobo) ist eigentlich ein ganz normaler Teenager. Es gibt nur eine Besonderheit, die er an sich hat: Er ist blind. Um seinen Eltern seine Unabhängigkeit zu beweisen, beschließt er, im Ausland zu studieren. Als jedoch Gabriel (Fábio Audi), der Neue in der Stadt, mit Leo an einem Schulprojekt arbeitet, stellt das seine ganze Gefühlswelt auf den Kopf und somit auch seinen vorherigen Entscheidungen auf die Probe.

Normalisierung von Homosexualität und Blindheit

Heute gehe ich allein nach Hause verspricht einen interessanten Ansatz, da der Film die vermeintlichen Besonderheiten Homosexualität und Blindheit mit gewöhnlichen Problemen vieler Jugendlicher verknüpft, bzw. diese darauf anwendet. Der herausstechendste Aspekt ist dabei wohl die Emanzipation von den Eltern, die hier durch die Blindheit Leos zwar etwas andere Formen annimmt, grundsätzlich aber die gleichen Züge aufweist, wie bei vielen Jugendlichen. Zu all den dazugehörigen Diskursen trägt der Film abseits der Normalisierung von Homosexualität und Blindheit nur wenig Neues bei und versucht für alle beteiligten Seiten versöhnlich zu sein.

Grundsätzlich findet sich die Versöhnlichkeit vielen Aspekten des Films wieder. Provokation oder Extravaganz sucht man erzählerisch wie inszenatorisch vergeblich. Einzig die emotionalen Höhen versuchen, eine Art Erblindung nachzuahmen, indem sich auf die tonale Ebene konzentriert wird und das Bild unscharf wird. Das ist raffiniert, haut aber nicht vom Hocker. Der Fokus des Films liegt eindeutig auf der Entwicklung der Hauptfigur und deren Beziehung zu den anderen Figuren.

Alltagstrott

Entsprechend der Thematik der Normalisierung möchte Heute gehe ich allein nach Hause vermutlich auch nicht viel mehr als ein romantischer Wohlfühlfilm sein, der sich mit jugendlicher Entwicklung und Emanzipation beschäftigt. So ist die Normalisierung von Homosexualität und Blindheit zwar sehr erfrischend und durchaus positiv anzumerken, führt aber dazu, dass der Film praktisch keine Fallhöhe bzw. Spannung aufbaut und somit über weite Strecken ziemlich langweilig ist.

Denn abgesehen von den bereits angesprochenen Szenen, die versuchen, die Blindheit ein Stück nachzuahmen sowie den romantischen Höhen bietet der Film vor allem den Schulalltag der bessersituierten Schicht São Paulos. Und dieser ist eben nicht nur für die Schüler*innen ziemlich unspektakulär. Unabhängig von der Handlungsebene zeigt sich hierbei aber ein anderes Phänomen, das durchaus interessant ist: die Irrelevanz der Außenwelt für die Figuren.

Jugendliche Selbstzentriertheit

So sind sämtliche gesellschaftlichen Probleme, wie etwa soziale Ungleichheit, völlig egal und für den Film non-existent. Das kann man dem Film zwar vorwerfen, ist nicht zuletzt aber auch konsequent. Einen nicht zu missachtenden Faktor stellt dafür nämlich der Haupthandlungsort Schule dar. Schulen sind Orte, die ein seltsames Verhältnis zur Realität haben. Sie sind durch ihren organisatorischen Aufbau, die eingeschränkte Altersgruppenvielfalt und die vorhandenen Verhaltensrestriktionen zu einem gewissen Grad von der Außenwelt isoliert und bilden quasi eigene Mikrokosmen. Trotzdem spiegeln sich in ihr auch gesellschaftliche Strukturen wider, was dazu führt, dass Schulen sehr einzigartige soziale Dynamiken besitzen. Rian Johnson behandelt das in seinem hervorragenden Debüt Brick beispielsweise, tut dies aber wesentlich ausführlicher und konkreter als Heute gehe ich allein nach Hause.

Das macht Heute gehe ich allein nach Hause aber nicht weniger aufschlussreich, denn gerade weil er individualistischer ist als Brick, verschiebt sich der Fokus der Betrachtung. Heute gehe ich allein nach Hause interessiert sich ebenso wenig für diese Strukturen, wie es seine Figuren tun und repräsentiert sie somit eher, als von ihnen zu handeln. Das sorgt für eine hohe Immersion auf der Handlungsebene, aber ebenso für einen unmittelbareren Einblick in die abgebildete Gesellschaft bzw. Gesellschaftsgruppe. Wie sehr man diese Gruppe einengen und von Jugendlichen, Jugendlichen Brasiliens, Jugendlichen São Paulos, etc. sprechen möchte, bleibt jeder schauenden Person selbst überlassen. Was aber alle Sichtweisen vereint, ist ein Abbild der Politikverdrossenheit von Jugendlichen und die Fokussierung dieser auf sich selbst und die persönliche Entwicklung.

Faszinierend ist, dass Heute gehe ich allein nach Hause trotz des vergleichsweise geringen Alters des Films mittlerweile nur noch bedingt aktuell ist. Spätestens seit der Fridays For Future-Bewegung finden viele Jugendliche ihr politisches Bewusstsein und positionieren sich klarer für ihre Wertevorstellungen. Heute gehe ich allein nach Hause zeigt somit eindrucksvoll, was sich binnen weniger Jahre ändern kann.

Credits

OT: „Hoje Eu Quero Voltar Sozinho“
Land: Brasilien
Jahr: 2014
Regie: Daniel Ribeiro
Drehbuch: Daniel Ribeiro
Kamera: Pierre de Kerchove
Besetzung: Ghilherme Lobo, Fábio Audi, Tess Amorim, Lúcia Romano, Eucir de Souza, Selma Egrei, Isabela Guasco

Bilder

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Heute gehe ich allein nach Hause
Fazit
Regisseur und Drehbuchautor Daniel Ribeiro schafft mit „Heute gehe ich allein nach Hause“ eine relativ unspektakuläre Coming of Age Romanze, die zwar mit der Normalisierung von Homosexualität und Behinderungen einen sympathischen Ansatz hat, darüber hinaus aber wenig zu erzählen. Auch als Wohlfühlfilm, der sich an seinen emotionalen Höhen klammert, funktioniert „Heute gehe ich allein nach Hause“ aufgrund der vielen Leerstellen nur bedingt.
Leserwertung4 Bewertungen
9.4
5
von 10