In Slow Horses: Ein Fall für Jackson Lamb nach der gleichnamigen Romanreihe spielt Jack Lowden River Cartwright, einen ambitionierten Angestellten beim britischen Geheimdienst, der bei einem Einsatz ziemlichen Mist baut und deswegen in dem von Jackson Lamb (Gary Oldman) geleiteten Slough House landet – ein Abstellgleis für gescheiterte Agenten. Zum Start der Thrillerserie am 1. April 2022 auf Apple TV+ unterhalten wir uns mit dem Darsteller über die Arbeit an der Serie, was es für einen guten Agenten braucht und was Schauspieler und Spione gemeinsam haben.
Weshalb hast du in Slow Horses mitgespielt? Was hat dich an der Serie gereizt?
Zuerst natürlich, weil es mir die Möglichkeit gegeben hat, mit Gary Oldman zu spielen. Bei so etwas sagst du nicht Nein. Aber mir hat auch das Projekt sehr gut gefallen: ein Spionagethriller mit einem schön ironischen Sinn für Humor. Auf etwas Vergleichbares habe ich lange gewartet. Und wenn du dann noch siehst, wer sonst noch alles in der Serie mitspielt, das war schon zu gut, um wahr zu sein.
Kanntest du die Bücher von Mick Herron, auf denen die Serie basiert?
Nein, kannte ich nicht. Dabei haben die eine riesige Fangemeinde. Eine sehr leidenschaftliche Fangemeinde auch. Aber das war gut für uns, weil uns das anspornte, das Beste daraus zu machen. Inzwischen habe ich die ersten beiden Bände gelesen und finde sie fantastisch. Da ist so viel Stoff drin, das du direkt verwenden kannst.
Fühltest du dich durch diese Popularität, die du angesprochen hast, unter Druck gesetzt? Ihr müsst ja schließlich einigen Erwartungen gerecht werden.
Nein, eben weil ich die Bücher nicht gelesen habe. Es gibt Bücher, wenn ich bei ihnen nach dem Lesen gefragt würde, ob ich die Hauptrolle übernehmen mag, würde mich das in Panik versetzen. Das fiel bei Slow Horses weg. Klar, seitdem mir bewusst geworden ist, wie beliebt diese Bücher sind, ist der Druck schon gewachsen. Die Leute kennen River und die anderen schon so lange, dass ich hoffe, dem Bild zu entsprechen, das sie von der Figur haben. Lustigerweise hat River übrigens im Roman ein Muttermal direkt über der Lippe, genau wie ich.
War das Teil der Stellenausschreibung?
Ha ha, das nicht. Aber es war schon ein toller Zufall.
Spionagegeschichten erfreuen sich auch über Slow Horses hinaus nach wie vor großer Beliebtheit. Was macht in deinen Augen ihren Reiz aus?
Ich denke, es ist das Unbekannte und das Rätselhafte, was uns da anzieht. Vor dem Dreh haben wir uns mit einem echten MI6-Agenten getroffen und mit ihm über seine Arbeit und Erfahrungen gesprochen. Das Besondere an ihrer Arbeit ist, dass sie ständig irgendwelche fantastischen Sachen erleben, aber natürlich über diese nicht sprechen dürfen. Diese ganzen wichtigen Geschichten, von denen sie wissen, dürfen sie mit niemandem teilen. Uns Menschen fällt es immer wieder schwer, unsere eigene Eitelkeit beiseitezuschieben. Agenten müssen das, eben wegen dieser Geheimhaltung.
Dann kommen wir zu deiner Figur. Wer ist River Cartwright?
Wir lernen River Cartwright zu einem Zeitpunkt kennen, als er ein MI5-Angestellter ist und einen Fehler macht. Einen großen Fehler, weshalb er zu Slough House abkommandiert wird, wo sie all die Spione, Agenten und Angestellten abladen, die alle irgendwelche gravierenden Fehler begangen haben. Da sie alle für den Staat arbeiten, können sie nicht ohne Weiteres gefeuert werden. Also bekommen sie lauter niedere Aufgaben und müssen zum Beispiel Aufzeichnungen von Überwachungskameras anschauen. Man hofft, sie auf diese Weise dazu zu bringen, dass sie von sich selbst aus aufhören. Der Sinn und Zweck von Slough House ist es daher, ihnen das Leben so furchtbar wie möglich zu machen.
Und warum hört River nicht auf? Er muss gerade zu Beginn der Serie schon einige sehr demütigende Aufgaben erledigen …
Er ist dafür einfach zu hartnäckig und will sich von niemandem kleinkriegen lassen. Außerdem gibt es familiäre Gründe: Sein Großvater leitete früher den Geheimdienst. Und wie das so ist, wenn du in einem Haushalt aufwächst, in dem deine Eltern oder deine Großeltern wichtige Leute waren, du versuchst sie irgendwie zu beeindrucken. Wenn er aufhören würde, wäre das eine zu große Niederlage für ihn. Außerdem ist River tatsächlich davon überzeugt, dass er gut ist, besser als die Leute um ihn herum. Deswegen ist er auch so frustriert, dort gelandet zu sein.
Und denkst du, dass er gut ist?
Oh ja, er ist gut. Er ist sehr gut. Ich mag auch seinen Zynismus und seinen Sarkasmus. Das ist für ihn und die anderen der Schlüssel, um in diesem Umfeld zu überleben. Du brauchst diesen Humor. Du brauchst auch eine gewisse Kälte, um diese Arbeit auszuführen.
Wenn du jemanden hast, der so bedeutend ist wie der Großvater von River, ist das mehr Segen oder Fluch?
Ich denke, dass er zu Hause sehr gut damit klar kommt. Er liebt seinen Großvater, liebt es, seine Geschichten zu hören, und ist auch sehr stolz. Bei der Arbeit ist ihm das hingegen recht peinlich, weil er ständig darauf angesprochen wird. Wobei er durchaus bereit ist, seinen Großvater auch für seine Zwecke zu nutzen, wenn er das Gefühl hat, dass ihn das weiterbringt. River hat schon das Herz am rechten Fleck. Sein Ehrgeiz funkt ihm aber immer wieder dazwischen.
Und wie sah deine Vorbereitung für die Figur aus? Zum Teil ist das ja schon eine recht körperliche Rolle mit dem ganzen Herumrennen.
Oh ja, das stimmt. Ich musste schon sehr viel rennen beim Dreh. So richtig viel vorbereitet habe ich mich in der Hinsicht aber nicht, um ehrlich zu sein. Das hat es natürlich anstrengender gemacht. Gleichzeitig passte das auch ganz gut, weil River gar nicht der muskulöse Superheld sein soll, wie man ihn in Spionagegeschichten häufiger findet. Er ist ein einfacher Angestellter. Meine Vorbereitung sah eher so aus, dass ich viele Bücher gelesen und Filme gesehen habe, bei denen es um Spionage geht, weil River von dieser Welt so besessen ist. Übrigens waren auch viele der Agenten, die wir gesprochen haben, von dieser Welt besessen. Sie meinten, dass die Unterhaltungsindustrie so viel für die Geheimdienste getan hat, gerade im Hinblick auf das Anwerben neuer Leute, weil sie die Arbeit so viel spannender darstellt, als sie in Wirklichkeit ist. Ob uns das mit Slow Horses gelingt, weiß ich nicht. Vielleicht schrecken wir die Leute sogar ab, weil wir die wenig glamourösen Seiten dieser Arbeit zeigen.
Gleichzeitig zeigt ihr aber auch, dass man eben kein Superheld sein muss, um dort einen Job zu bekommen.
Das stimmt. Uns wurde auch gesagt, dass sie eher unauffällige Leute suchen, die nach außen hin gar nichts Besonderes sind. Insofern passt das bei uns doch ganz gut.
Welche Fähigkeiten braucht es denn allgemein, um ein guter Geheimagent zu sein?
Was oft gar nicht so wirklich thematisiert wird: Du brauchst Kreativität. Du musst unglaublich kreativ sein, weshalb sie besonders an Menschen interessiert sind, die ein bisschen um die Ecke denken. Du kommst einfach immer wieder in Situationen, in denen du das brauchst. Wahrscheinlich arbeiten auch sehr schwierige Leute in den Geheimdiensten. Brillant, aber schwierig. Als Agent führst du außerdem ein sehr einsames Leben. Damit musst du erst einmal klarkommen. Das sind alles schon sehr spezielle Eigenschaften, die da gesucht werden. Das hat nicht viel mit dem gemeinsam, was du bei anderen Jobs suchen würdest. Wobei diese Anforderungen tatsächlich gar nicht so weit von dem entfernt sind, was wir in der Unterhaltungsindustrie mitbringen müssen. Da gibt es schon recht viele Gemeinsamkeiten.
Aber einen Jobwechsel ziehst du nicht in Betracht?
Ich wollte schon immer ein Spion sein und war immer der festen Überzeugung, dass Schauspieler prima Spione sind. Wir verbringen sehr viel Zeit damit, andere Leute zu beobachten und zu verstehen, wie Menschen funktionieren. Warum tun wir, was wir tun? Ich war unglaublich schüchtern, als ich jünger war. Für mich wäre es perfekt gewesen, einfach irgendwo in einem Busch zu sitzen, zu beobachten und nichts sagen zu müssen. Wie bei Das Leben der Anderen, ein brillanter Film über jemanden, der einfach nur andere belauscht. Darin wäre ich ziemlich gut.
Außerdem seid ihr es als Schauspieler gewohnt, falsche Identitäten anzunehmen.
Genau. Wir haben lauter Geschichten, die wir von vorne bis hinten auswendig lernen, wie ein Agent. Das ist schon irgendwie unheimlich, wie ähnlich sich die beiden Jobs sind.
Ein weiterer Punkt, den der von Gary Oldman gespielte Lamb in Slow Horses in einem Gespräch mit deiner Figur anspricht: Du musst dich an den Tod gewöhnen. Kann man das? Kann man sich an den Tod gewöhnen?
Ich glaube schon, ja. Ein Freund von mir arbeitet als Polizist und hat mir von den vielen Verkehrsunfällen erzählt, die er gesehen hat. Da hast du die furchtbarsten Dinge, die du siehst. Und mit jedem Mal stirbt ein Teil von deinen Gefühlen. Du musst dich daran gewöhnen, ansonsten hältst du diese Arbeit nicht aus. Wie es aber mit dem Töten von Menschen aussieht, weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, wie du dich daran gewöhnen kannst, andere zu töten.
Ein weiterer Punkt ist: In der Serie zeigt ihr, dass Agenten ständig von anderen verraten werden können. Und das nicht nur von irgendwelchen feindlichen Geheimdiensten. Das kann in deinem direkten Umfeld geschehen. Wie schafft man es, ein Mensch zu bleiben, wenn du ständig von Tod umgeben bist und dein bester Freund dich verraten könnte?
Du lernst irgendwann einfach, total paranoid zu sein und mit nur einem geschlossenen Auge schlafen zu gehen. Du vertraust niemandem mehr, glaubst nichts mehr von dem, was man dir sagt. Denn das ist es, was man dir beigebracht hat. Wahrscheinlich ist es sehr schwierig, dann noch ein wirkliches privates Leben zu führen, wenn du darauf programmiert bist, nach Rissen zu suchen und niemandem zu glauben. Der Ex-Agent, von dem ich gesprochen habe, hat mir auch gesagt, dass viele Alkoholiker sind oder spielsüchtig werden. Das gefällt mir auch an Slow Horses: Wir zeigen, dass so ein Leben sehr sehr schwierig sein kann. Es gibt wohl auch nicht wenige, die Selbstmord begehen, weil sie es nicht mehr aushalten. Das Leben als Agent ist nicht so sexy, wie viele glauben, sondern eines, an dem du richtig kaputt gehen kannst.
Vielen Dank für das Gespräch!
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