In Thomas Manns Novelle Mario und der Zauberer schildert der Ich-Erzähler ein Erlebnis während eines Urlaubs mit seiner Familie in Italien. Während um ihn herum bereits die Spuren des Faschismus erkennbar sind, soll der Besuch der Vorstellung des Zauberers und Hypnotiseurs Cipolla eigentlich die willkommene Unterhaltung bieten, doch die anfänglich noch harmlosen Kunststücke werden schon bald für ihn wie auch seine Ehefrau zu einer sehr unangenehmen Erfahrung, die in der Hypnose eines Kellners namens Marios gipfelt, der in den Händen Cipollas zu einem willenlosen Sklaven wird. Die Parallelen zu der Art, wie ein Publikum durch den Nimbus, das Charisma und den Willen, eines Einzelnen verführt wird und in eine Art Trance versetzt wird, war für Mann ein von vielen Metaphern für die bedrohliche Macht, die vom Faschismus und dem Nationalsozialismus ausging und welche er in den Reden eines Adolf Hitlers immer wieder beobachten konnte. Jedoch geht es nicht alleine darum, das Bedrohliche einer Handlung zu kaschieren oder etwas vorzuspielen, sondern ebenso darum, die Fassade des eigentlich Harmlosen zu wahren, welche der Erzähler in der Novelle, neben seiner Frau, erkennt und in Verbindung zu der allgemein aufgeladenen Atmosphäre in seiner Umwelt setzt. Die Idee des Zauberers als jemand, der Macht ausübt und etwas vorspielt, ist eine passende Metapher in diesem Zusammenhang, vor allem, wenn man bedenkt, welche Nähe die Nazis zum Okkultismus hatten sowie zu Anhängern der Magie oder Zauberern.
Dabei ist es interessant und in gewisser Weise auch faszinierend zu sehen, welche Persönlichkeiten die Nähe eben zu jener menschenverachtenden Ideologie suchten im Sinne der persönlichen Profilierung. Während aber beispielsweise Fälle wie Emil Jannings und Gustav Gründgens bekannt sind, erscheint die Biografie Helmut Ewald Schreibers, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Kalanag, nach wie vor ein Kuriosum. In seiner Dokumentation Kalanag – Der Magier und der Teufel widmet sich Regisseur Oliver Schwehm (Fly Rocket Fly – Mit Macheten zu den Sternen) der Lebensgeschichte dieses Menschen, seiner Karriere während der Nazi-Zeit und danach, und letztlich auch dem Mysterium hinter diesem Magier, dessen größter Trick es scheinbar war, zeit seines Lebens von seiner problematischen Verbindung zu Männern wie Hitler und Goebbels abzulenken. Zu diesem Zwecke greifen Schwehm und sein Team nicht nur auf eine Fülle an Archivmaterial zurück, sondern auf Interviews mit Biografen Schreibers, Weggefährten sowie Zauberern und Filmhistorikern, mit deren Hilfe sich die Rolle Schreibers innerhalb des Kulturbetriebs des Dritten Reiches, aber auch darüber hinaus, erörtern lässt.
Die Geschichte einer schwarzen Schlange
Gleich zu Anfang wird man als Zuschauer hineingeworfen in die Welt Kalanags, eines Magiers, für den Geschwindigkeit nicht nur Ablenkung von der eigentlichen Illusion war, denn sie war zugleich der Schlüssel, mit dessen Hilfe das Publikum gefügig gemacht wurde, ähnlich den Zuschauern bei der Vorführung des Cipolla in Manns Novelle. Die schnelle Abfolge an Revuenummern, in deren Mitte, umringt von leicht bekleideten Frauen, sich ein Mann wiederfindet, der wegen seines Bauchansatzes, des Haarkranzes und der Brille eher wie Zwillingsbruder Heinz Erhardts wirkt. Noch während man dabei ist, zu entschlüsseln, was an diesem spießig aussehenden Menschen eigentlich so besonders sein soll, ist man vielleicht schon auf die erste Illusion hineingefallen, welche dann das Hauptthema der nächsten rund 70 Minuten sein wird, nämlich der Fassade um die eigene Person herum. Das Kunststück ist nicht der Vogel, der unter einer Decke verschwindet, oder das Tuch, welches Kalanag einem verblüfft schauenden Zuschauer aus der Tasche zieht, sondern vielmehr die eigene Person, die so harmlos aussieht, dass man den tüchtigen Opportunisten dahinter nicht vermutet.
Angefangen bei seiner Tätigkeit als Aufnahmeleiter beim Film während der 1920er Jahre bis hin zu seiner Zaubershow in den Anfängen des Fernsehens in der Adenauerzeit, verfolgt man die Karriere dieses Menschen, welche, ähnlich der Revuenummern bei seinen Auftritten, keinen Stillstand zu kennen schien, weder auf noch abseits der Bühne. Verbindungen hin zu verstecktem Nazi-Gold bis hin zu seinen vielen Frauengeschichten werden hierbei viele Aspekte dieses Lebens gestreift und es ergibt sich ein Porträt Schreibers, welches tatsächlich zwischen dem Extrem des Magiers und des Teufels changiert, wie es der Titel der Dokumentation bereits andeutet. Als Bonus bietet die seit Anfang April 2022 erhältliche, liebevoll ausgestattete DVD-Edition des Filmes übrigens noch eine ganze Reihe Zusatzmaterial, darunter auch die von Schreiber inszenierte Doku Nach Südamerika in 3 Tagen, welche vor allem seinen Drang nach vorne und nach oben, gesellschaftlich gesehen, mehr als deutlich betont.
OT: „Kalanag – Der Magier und der Teufel“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Oliver Schwehm
Musik: Heiko Maile, Torsten Kamp
Kamera: Hermann Sowieja
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