Natja Brunckhorst ist eine deutsche Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Einem großen Publikum wurde sie bekannt durch ihre Hauptrolle in Uli Edels Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, einer Verfilmung des gleichnamigen Buches, welches die Geschichte von Christiane Felscherinow beschreibt, die in ihrer Jugend drogensüchtig wurde und schließlich, um ihre Sucht zu finanzieren, auf dem Berliner Babystrich am Bahnhof Zoo als Prostituierte verkehrte. Wegen seiner ungeschönten Darstellung seiner Themen ist der Film bis heute bekannt, wie auch die Darstellung Brunckhorsts, die von Kritik wie von Publikum gelobt wurde. Neben dieser Rolle spielte sie auch in Filmen von Rainer Werner Fassbinder (Querelle) und Tom Tykwer (Der Krieger und die Kaiserin) mit.
Darüber hinaus begann Brunckhorst bereits in den späten 1990ern Drehbücher zu schreiben, zunächst für Fernsehserien wie Einsatz Hamburg Süd oder Die Kommissarin. Natja Brunckhorsts biografische Filme Wie Feuer und Flamme (Regie: Connie Walther) und Amelie rennt (Regie Tobias Wiemann) und die TV Filme Tatort – Oben und Unten und Tatort – Dinge, die noch zu tun sind basieren auf ihren Drehbüchern. Im Jahre 2002 legte sie mit La Mer ihren ersten Kurzfilm vor, bei dem sie die Regie übernahm. Ihr Drehbuch zu Wie Feuer und Flamme wurde 2002 mit dem Deutschen Filmpreis für Bestes Drehbuch ausgezeichnet. Am 26. Mai 2022 läuft mit Alles in bester Ordnung ihr erster Langfilm als Regisseurin an, in dem Corinna Harfouch und Daniel Sträßer in den Hauptrollen zu sehen sind.
Anlässlich der Heimkinoveröffentlichung der restaurierten Fassung von Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo am 7. April 2022 haben wir uns mit Natja Brunckhorst über ihre Erinnerungen zu den Dreharbeiten unterhalten, das Berlin aus dem Jahre 1981 sowie die Darstellung von Drogensucht im Film unterhalten.
Wenn Sie an die Dreharbeiten zu Christiane F. zurückdenken, gibt es da Momente, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Ich werde oft gefragt, ob mich die Erfahrung Christiane F. zu spielen, traumatisiert hat, doch ich muss sagen, dass ich bei den Dreharbeiten unglaublichen Spaß hatte, was viele irritiert. Für einen Schauspieler ist es etwas ganz Besonderes, eine Rolle so exzessiv spielen zu können und so habe ich es auch erlebt. Jede einzelne Szene habe ich mit großer Freude gespielt.
Während des Drehs einer Szene, habe ich dann einen Eindruck von der Realität hinter der Geschichte erhalten. Als wir die Szene gedreht haben, in der Christiane auf der Kurfürstenstraße auf dem Babystrich anschaffen geht, war abgemacht, dass ein Auto, welches von einem Crewmitglied gefahren wurde, vor mir halten und mich mitnehmen würde. Die Kamera und damit der Rest des Teams waren etwa 200 Meter von mir entfernt. Schließlich wurde mit dem Filmen begonnen und nach einiger Zeit hielt ein Auto vor mit und gerade, als ich einsteigen wollte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich die Crew hinter mit erhob und man wild gestikulierend zu mir lief. Wie sich herausstellte, war dies nicht das gemietete Auto, sondern ein echter Mensch, der auf dem Babystrich Ausschau nach einer jungen Frau gehalten hatte. Dieser Moment hat mich dann doch sehr beschäftigt, weil mir klar wurde, dass die Fiktion des Filmes für viele Menschen eine traurige Realität ist.
Ich habe gelesen, dass die Dreharbeiten zu Christiane F., aber auch später die mit Rainer Werner Fassbinder für Querelle, Ihnen gezeigt haben, was Film wirklich ist, wie Sie es beschrieben. Was meinen Sie damit genau?
Für mich war es in diesem Sinne ein Lernprozess, als dass ich verstanden habe, wie sich ein Film zusammensetzt. Man startet mit einer Vorlage oder eine Theorie, also einem Drehbuch, und gliedert es in kleine Abschnitte auf, in Szenen, welche dann gedreht und letztlich wieder zusammengefügt werden. Während dieses Drehs setzt man alles daran, magische Momente, wenn man sie so nennen will, einzufangen. In den insgesamt 84 Drehtagen für Christiane F. war ich zwar nicht in der Schule, habe aber dennoch sehr viel gelernt darüber, wie ein Film in der Praxis entsteht.
Aus reiner Neugier würde ich fragen wollen, wie die Szene, in der Christiane und Detlef den kalten Entzug durchmachen, gedreht wurde. Wie genau lief das ab?
Zunächst einmal hat mir Uli Edel erklärt, wie ein kalter Entzug stattfindet und was es damit überhaupt auf sich hat. Die Sequenz an sich wurde dann, wie schon gesagt, in Szenen aufgeteilt, bei denen meine Figur beispielsweise sich ganz normal benimmt, dann aber im nächsten Moment unglaublich zittert. Mir wurde gesagt, ich solle das so spielen, als hätte ich eine starke Grippe.
Für die Szene, in der Christiane sich übergibt, legte ein Maskenbildner einen kleinen Schlauch entlang meines Körpers bis zu meiner Hand. Am anderen Ende hat er mit einer Pumpe Flüssigkeit durchgegeben, was dann das Erbrochene an der Wand darstellen sollte. Damit die Szene funktioniert, musste ich etwas Flüssigkeit im Mund haben.
Beim ersten Mal hatte man den Fehler gemacht und als Flüssigkeit Wein genommen, der mir dann, als er hochgepumpt wurde, direkt in die Nase gelangte. Danach wollte ich die Szene nicht mehr machen und konnte nur durch sehr viel gutes Zureden dazu bewogen werden, diese noch einmal zu drehen, dieses Mal aber mit Traubensaft statt mit Wein.
Der Film zeigt ein bestimmtes Bild von Berlin zu einer ganz bestimmten Zeit. Inwiefern ist dieses Berlin aus Christiane F. denn heute noch existent?
Dieses Gefühl, was der Film seinem Zuschauer über die Stadt vermittelt, ist schon sehr besonders und ich sehe dies heute auch noch an vielen Stellen. Dennoch ist es natürlich schade, dass viele der Drehorte heutzutage so nicht mehr existieren, wie man sie im Film sieht, beispielsweise das Innere des Bahnhof Zoo, das wirklich schrecklich geworden ist im Vergleich zu damals. Ich hätte gerne gesehen, dass er so wie er damals war konserviert worden wäre, aber nun sieht er aus, wieder jeder andere Bahnhof in Deutschland. Die U-Bahnhöfe Berlins haben sich – wenn man einmal von den Bänken absieht – nicht sonderlich verändert in der Zwischenzeit.
Was die Drogen- und Prostitutionsszene angeht, ist das Problem ja nicht weg, sondern hat sich bestenfalls verlagert. Die Kurfürstenstraße soll aber nach wie vor ein Treffpunkt der Szene sein.
Es sind jetzt 40 Jahre, seit die letzte Klappe bei den Dreharbeiten zu Christiane F. fiel, und es ist logisch, dass nicht mehr alles so bleiben wird, wie es einmal war. Alleine von den insgesamt sieben Toiletten, an denen wir gedreht haben, ist keine mehr heute da.
Sie haben Schulklassen besucht, die Christiane F. geschaut haben, und sich mit den Schülern im Anschluss an den Film unterhalten. Wie laufen diese Gespräche und welche Fragen stellen die Schüler Ihnen?
Zunächst einmal stelle ich den Schülern die Frage, ob sie der Film abgeschreckt hat oder nicht, woraufhin sie mir alle versichern wollen, dass Ersteres der Fall sei, was ich ihnen nicht immer glaube. (lacht)
Der Film hat einen gewissen Reiz, über den man reden muss und bei dem man eigentlich auch ansetzten muss. Es ist toll, wenn Christiane F. auf Menschen abschreckend wirkt, doch für viele ist dies nicht so. Szenen wie die, in denen die jugendlichen Charaktere unterm Stern im Europaszene zusammen sind und Spaß haben, ist sehr positiv und zeigt eine Gemeinschaft, die viele vielleicht in ihrem Leben vermissen. Darüber muss man reden.
Die Schüler wollen wissen, wie die Szene mit dem kalten Entzug, über die wir schon sprachen, gedreht wurde oder wie das mit den vielen Spritzen im Film funktionierte. Oft werde ich auch gefragt, ob ich selbst Drogen nehmen oder je genommen habe, was ich beantworte, indem ich sage, dass ich zwar keine Drogen wie die im Film genommen habe, aber durchaus ein Suchtpotenzial bei mir sehe. Dabei handelt es sich um gesellschaftlich akzeptierte Suchtverhalten wie die Arbeitssucht, die ebenfalls eine Art sein kann, wie man sich kaputt macht, wenn man es übertreibt.
Würden Sie auch sagen, dass es gerade in der Kommunikation mit Jugendlichen über Themen wie Sucht besser ist, sie mit Betroffenen zusammenzubringen?
Absolut. Es gibt ja Initiativen wie Narcotics Anonymous, die in Schulklassen gehen und mit den Schülern über Drogensucht oder andere Formen der Abhängigkeit sprechen. Jemand, der nah dran ist, ist immer authentischer für Jugendliche als jemand, der es beobachtet wie ein Therapeut oder Arzt.
Ihr neuer Film ist ja ganz anders, eher eine Komödie. Was können Sie uns über dieses Projekt sagen?
In dem Film, der am 26. Mai in den deutschen Kinos anläuft, geht es um das Zuviel und das Zuwenig im Leben. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die sehr viel, vielleicht zu viel, besitzt, und wie sie auf einen jungen Mann trifft, der beschlossen hat, mit 100 Dingen durchs Leben zu gehen. Die Figuren, gespielt von Corinna Harfouch und Daniel Sträßer, führen einen Dialog über das Thema Besitz, wobei diese von allen Seiten beleuchtet wird und sich mit der Zeit eine Art Liebesgeschichte entwickelt.
Mich freut, dass der Film bei den Vorführungen, die ich gesehen habe, gut aufgenommen wird, dass die Zuschauer danach ins Gespräch kommen über das Thema und die Figuren. Mir ist es wichtig, in meinen Geschichten gesellschaftliche Themen auf eine positive Weise anzugehen. Das Publikum soll mit einem guten Gefühl nach Hause gehen, aber auch über den Film reden wollen.
Mit Alles in bester Ordnung gehe ich, zusammen mit meinem Team, nun auf Kinotour und ich freue mich schon sehr darauf. Wir haben das Zimmer von Marlene, der Figur, die Corinna Harfouch spielt, mittels einer Virtual Reality-Kamera übrigens konserviert, sodass jeder Kinobesucher auf der Tour die Möglichkeit hat, dieses noch einmal zu betreten. Wir konnten uns auch sicher von dieser Kulisse trennen. (lacht)
Vielen Dank für das nette Gespräch.
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