Red Rocket
© Universal Pictures/Drew Daniels

Red Rocket

„Red Rocket“ // Deutschland-Start: 14. April 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Auch der größte Pornostar kommt einmal in die Jahre. Diese Erfahrung muss zumindest machen Mikey Saber (Simon Rex), der nach vielen Jahren und noch mehr Erotikfirmen nicht ganz freiwillig Los Angeles den Rücken kehrt, um wieder in seine alte Heimat in der texanischen Provinz zu fahren. Dort hat man nicht unbedingt auf ihn gewartet. Nicht mal seine Frau Lexi (Bree Elrod), von der er sich entfremdet hat, ist allzu erfreut ihn wiederzusehen. Dennoch erlaubt sie ihm, für eine Weile wieder bei ihr zu wohnen, vorausgesetzt, er trägt zu den Lebenshaltungskosten bei und macht sich nützlich. Das ist aber nicht so einfach. Denn wer will schon einen Pornoschauspieler anstellen? Und dann wäre da noch die deutlich jüngere Strawberry (Suzanna Son), die er eines Tages im Donutshop entdeckt und die es ihm sofort schwer angetan hat …

Am Rande der Gesellschaft

Es ist nicht gerade ein Geheimnis, dass Sean Baker ein Faible für Menschen mit nicht ganz alltäglichem Lebenslauf hat, die irgendwo am Rand der Gesellschaft leben. In Tangerine L.A. erzählte er von einer transsexuellen Sexarbeiterin. The Florida Project spielte in einem Motel, in dem all diejenigen gestrandet sind, die mit ihrem Leben nichts Besseres mehr anzufangen wissen und immer am Rand des Existenzminimums herumwerkeln. Bei Red Rocket kehrt er nun zu einem Thema zurück, das er bereits 2012 in Starlet angesprochen hatte: das des Erotikfilms. Dieses Mal nimmt er jedoch die Perspektive eines Mannes an, der in diesem Bereich arbeitet. Und auch sonst gibt es deutliche Unterschiede, welche seinen siebten Langfilm zu mehr machen als einer Wiederholungsveranstaltung.

Ohnehin ist das Thema Porno zwar mehrfach in dem Film vertreten. Nicht nur dass Mikey selbst früher welche gedreht hat, er möchte auch Strawberry zu einer eigenen Karriere in dem Bereich verhelfen. Aber es ist kein Film über Pornos. Anders als etwa Pleasure, welches schonungslos und mit oft nicht übermäßig schmeichelhaften Mitteln aufzeigt, was es bedeutet, in diesem Berufsfeld zu arbeiten, da ist das hier nur ein Teilaspekt. Red Rocket ist auch der deutlich freundlichere und hellere Film, was maßgeblich an dem Protagonisten liegt. Denn der ist ein klassischer Sunny Boy und lässt sich durch nichts wirklich unterkriegen. Dass er dabei selbst nichts auf die Reihe bekommt, ist ihm da relativ egal. Er ist so optimistisch und voller Träume, dass die weniger traumhafte Realität ihn nicht allzu sehr tangiert.

Weder gut noch böse

Baker verzichtet dann auch darauf, ähnlich zu seinen früheren Filmen, seinen Protagonisten zu verurteilen. Man weiß bis zum Schluss nicht, ob Mikey nun gut oder schlecht sein soll. Natürlich ist er ein Nichtsnutz, der die ganze Zeit große Reden schwingt, jedoch weniger talentiert ist, wenn es darum geht, auch einmal etwas Produktives zu tun. Gleichzeitig ist er durchaus bemüht und will für andere sorgen. Selbst seine Versuche, Strawberry zu einer Pornodarstellerin zu machen, sind nicht das Ergebnis einer Unterdrückung, wie es gerade bei einem solchen Altersunterschied naheliegt. Er will sie gar nicht ausnutzen, sondern ist tatsächlich davon überzeugt, dass er ihr damit hilft. Pornos sind in Red Rocket keine Verlegenheitslösung oder etwas, das man aus Zwang macht. Sie zu drehen, ist vielmehr Ausdruck einer Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Anerkennung – Charaktereigenschaften, die Mikey auch nach dem Ende seiner Karriere noch mit sich trägt.

Das wird einem Publikum vermutlich nicht gefallen, welches sich eine Verurteilung von Pornos und der dort arbeitenden Leuten erhofft. Zwar hat Mikey dadurch Probleme, einen Job zu bekommen, weil sich potenzielle Arbeitgeber nicht wohl fühlen bei dem Gedanken, der Angestellte könnte eventuell wiedererkannt werden. Aber das war es auch schon. Red Rocket ist kein moralischer Film, weil er erst gar nicht die Frage nach der Moral stellt. Selbst als Mikey anfängt, mangels erfolgversprechender Alternativen, Drogen zu verkaufen, wird er weder zum Monster, noch zum Opfer. Er schlawinert sich irgendwie durch mit einer Mischung aus Unbekümmertheit und Charme, treibt einen in den Wahnsinn und ist doch nie so richtig schlecht. Das ist gerade auch wegen der umwerfenden Darstellung von Simon Rex, der hierfür ein paar kleinere Preise bekommen hat, unbedingt sehenswert.

Geschichten einer Parallelwelt

Die Tragikomödie, welche 2021 bei den Filmfestspielen von Cannes debütierte und um die Goldene Palme wetteiferte, hat darüber hinaus einiges fürs Auge zu bieten. Die Inszenierung der texanischen Provinz mit den warmen, natürlichen Farben steht in einem starken Kontrast mit dem Donut-Shop, in dem Strawberry arbeitet und der an das besagte Motel aus The Florida Project erinnert. Da gibt es knallige Farben, die symbolisch für die großen Träume stehen, die einem hier verkauft werden. Eine überzuckerte Parallelwelt, die genauso falsch ist wie die Geschichten, die Mikey erzählt. Und doch hat Red Rocket etwas Wahrhaftiges, weil der Film seine Figuren bei aller Skurrilität sehr menschlich gestaltet. Baker erlaubt es ihnen einfach zu sein, sich zu entfalten und zu versuchen. Das klappt dann oft nicht so, wie von ihnen gedacht, Mikeys Aufenthalt ist von einem ständigen Scheitern bestimmt. Aber das ist okay, morgen ist ja auch noch ein Tag.

Credits

OT: „Red Rocket“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Sean Baker
Drehbuch: Sean Baker
Kamera: Drew Daniels
Besetzung: Simon Rex, Bree Elrod, Suzanna Son, Brenda Deiss, Judy Hill

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr über Red Rocket erfahren möchte: Wir haben uns zum Kinostart der Tragikomödie mit Regisseur und Co-Autor Sean Baker unterhalten und ihn im Interview etwa zu seiner Sicht auf die Pornoindustrie befragt.

Sean Baker [Interview]

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 2021 Goldene Palme Nominierung
Film Independent Spirit Awards 2022 Bester Hauptdarsteller Simon Rex Sieg
Beste Nebendarstellerin Suzanna Son Nominierung
Gotham Awards 2021 Bestes Drehbuch Sean Baker, Chris Bergoch Nominierung
Beste Hauptdarstellung Simon Rex Nominierung
Beste Nachwuchsdarstellung Suzanna Son Nominierung

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Red Rocket
Fazit
„Red Rocket“ begleitet einen ehemaligen Pornoschauspieler, der in seiner alten Heimat noch einmal von vorne beginnen möchte. Der Film verzichtet dabei auf jegliche Verurteilungen, sondern ist das warmherzige Porträt eines Mannes mit kindlichem Gemüt, der bestimmt nicht gut, aber auch nicht richtig schlecht ist. Das ist allein schon wegen des umwerfendes Hauptdarstellers sehenswert, wobei auch die Bilder großen Reiz haben.
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