Eingeschlossene Gesellschaft Sönke Wortmann
© Andreas Rentz/Getty Images für Sony Pictures

Sönke Wortmann [Interview]

In der Komödie Eingeschlossene Gesellschaft nach dem gleichnamigen Hörspiel erzählt Sönke Wortmann von einem Vater, der eine Gruppe von Lehrern und Lehrerinnen als Geisel nimmt und sie dazu bringen will, seinem Sohn den dringend benötigten Punkt zu geben, damit der doch noch sein Abitur schafft. Das sorgt nicht nur für hitzige Diskussionen mit dem Vater. Auch innerhalb des Kollegiums fliegen bald die Fetzen, wenn lang gepflegte Abneigungen ans Tageslicht kommen. Anlässlich des Kinostarts am 14. April 2022 haben wir uns mit dem Regisseur über seine neue Komödie, eigene Erfahrungen an der Schule und die Suche nach dem richtigen Weg unterhalten.

 

Können Sie uns etwas zu der Entstehungsgeschichte von Eingeschlossene Gesellschaft erzählen? Was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Ich kam durch eine Produktionsfirma aus Köln dazu, die die Rechte an dem Hörspiel von Jan Weiler hatten. Zuerst war mir nicht ganz klar, warum sie mich gefragt haben, weil ich ja vor ein paar Jahren mit Frau Müller muss weg! schon einen Film zu dem Thema Bildung gedreht habe und ich nicht wusste, warum es da noch einen zweiten Film von mir braucht. Später habe ich verstanden, dass das eben deshalb sinnvoll war. Denn während wir bei Frau Müller muss weg! das Thema aus Sicht der Eltern erzählt haben, gibt es dieses Mal die Sicht der Lehrer.

Was ist denn an dem Thema Bildung überhaupt interessant für Sie?

Es war natürlich auch ein bisschen Zufall und es ist nicht so, dass ich hier eine Obsession entwickelt habe. Aber ich finde das Thema schon sehr wichtig, nicht nur im Hinblick auf meine eigenen Kinder. Je gebildeter eine Gesellschaft ist, umso besser kommen die Leute meiner Meinung nach miteinander aus. Wobei nicht das Thema allein entscheidet, ob ein Projekt in Frage kommt. Das Drumherum muss genauso stimmen. Denn was bringt das beste Thema, wenn das Drehbuch nicht gut ist?

Wie präsent ist denn Ihre eigene Schulzeit noch für Sie? Denken Sie über die noch nach?

Nein, eigentlich nicht. Tatsächlich hat die Schulzeit kaum Eindruck bei mir hinterlassen. Ich war weder ein besonders guter, noch ein besonders schlechter Schüler. Ich bin da durchmarschiert ohne große Probleme, aber auch ohne große Glücksgefühle. Emotional hat es mich also weder in die eine noch die andere Richtung sonderlich geprägt.

Und wenn Sie selbst Lehrer geworden wären, was wären Ihre Fächer gewesen?

Deutsch und Sport würde ich sagen.

Sie haben schon erwähnt, dass die beiden Filme aus Sicht der Eltern und Lehrer erzählt sind. Wann kommt dann der Film aus Sicht der Schüler?

Gute Frage. Geplant ist der zwar noch nicht konkret, aber wir denken tatsächlich darüber nach. Dann hätten wir eine Trilogie und Trilogien klingen für mich immer so schön rund.

Ich frage auch deshalb, weil es schon auffällt, dass in beiden Filmen über das Schicksal der Schüler gesprochen wird, man aber praktisch keine Schüler und Schülerinnen sieht. Sie sind gar nicht involviert bei den Diskussionen. War das jetzt Zufall oder ist das Teil der Aussage?

Es ist natürlich auch eine Aussage, weil die, um die es eigentlich geht, oft nicht gehört werden. Das finde ich auch richtig gedacht von den jeweiligen Autoren. Eine weitere erstaunliche Parallele ist, dass jeweils die Hauptperson am Anfang auftaucht und dann lange verschwindet. Bei Frau Müller muss weg! ist es Frau Müller, bei Eingeschlossene Gesellschaft der Vater. Und erst wenn diese Person weg ist, beginnt die anfangs homogene Gruppe, sich gegenseitig zu zerlegen.

Was müsste man denn tun, um die Schüler stärker zu integrieren, damit sie nicht in ihrem eigenen Leben Fremdkörper sind?

Das kann ich jetzt so nicht beantworten, da ich kein Bildungspolitiker bin. Aber ich habe gelesen, dass man zehn Jahre nach der Schule den Stoff zu 90 Prozent schon wieder vergessen hat. Bei mir ist es jedenfalls so. Eine Antwort darauf wäre vielleicht, individueller zu unterrichten  und zum Beispiel bei Leuten wie mir auf Physik und Chemie irgendwann zu verzichten.  Klar, anbieten sollte man das anfangs, damit alle sich an den Themen versuchen können. Aber wenn du merkst, dass das einfach nichts für dich ist, bringt es nichts, das über das Basiswissen hinaus weiter erzwingen zu wollen. Da wäre es vielleicht sinnvoller, noch eine weitere Fremdsprache anzubieten oder die Fächer zu intensivieren, für die man Talent hat.

Ist es allgemein heute schwieriger sich zu orientieren und einen Weg zu finden?

Ich kann da natürlich nur aus meinen eigenen Erfahrungen sprechen. Als ich in dem Alter war, wusste ich gar nicht, welche Möglichkeiten man hat mit Abitur. Heute wissen die jungen Menschen sehr viel besser Bescheid, zum Beispiel dass es Filmhochschulen gibt.  Es kann aber auch sein, dass sie dadurch schon wieder zu viele Möglichkeiten haben und gerade deshalb Schwierigkeiten haben sich zu entscheiden. Es hat also Vor- und Nachteile.

Zumal heute auch gern impliziert wird, dass jeder alles kann.

Auch das, ja. Ich freue mich immer für Leute, wenn sie ganz genau wissen, was sie werden wollen. Es gibt welche, für die ist klar, dass sie Mediziner werden. Der Rest muss dann noch warten und ein bisschen ausprobieren.

An einer Stelle im Film sprechen Sie auch an, dass heute sehr viel mehr Leute Abitur machen oder machen wollen. Früher war das nicht selbstverständlich. Sind wir zu elitär geworden, dass jetzt alle denken, sie bräuchten das Abitur?

Die Figur von Anke Engelke sagt das, ja. Ich habe in meinem Bekanntenkreis ebenfalls Jugendliche, bei denen ich mich wundere, dass sie jetzt kurz vor dem Abitur stehen. Wobei das im Einzelfall natürlich immer schwer zu beurteilen ist. Es gibt Schüler, die brauchen einfach länger. Manche blühen erst mit 17 richtig auf. Bei ihnen wäre es schon schwierig, ihnen zu früh die Chancen zu verbauen. Dennoch sollte man vielleicht etwas genauer hinschauen, wer alles Abitur macht. Ich bin auch ein großer Anhänger von handwerklichen Berufen und finde, dass die oft nicht die Würdigung bekommen, die sie verdienen. Wenn mein Sohn mir sagen würde, er macht eine Lehre als Schreiner, würde ich jubeln. Wenn man in der Lage ist, mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen, dann finde ich das prima.

Und wie geht es bei Ihnen weiter? Woran arbeiten Sie?

Wir haben einen Nachfolger zu Der Vorname gedreht mit dem schönen Titel Der Nachname, der im Herbst ins Kino kommen soll. Ansonsten weiß ich es noch nicht. Ich halte mich erstmal zurück, weil ich in letzter Zeit sehr fleißig war. Innerhalb von einem Jahr kamen – auch aufgrund der Corona-Verschiebungen – drei Kinofilme und ein Roman heraus. Da komme ich mir schon langsam ein wenig aufdringlich vor.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Sönke Wortmann wurde am 25. August 1959 in Marl geboren. Nach dem Abitur versuchte er sich einige Jahre als Profifußballer, bevor er an der Hochschule für Fernsehen und Film München Regie studierte. Sein erster Kinofilm Allein unter Frauen lockte 1991 mehr als 1,5 Millionen Menschen in die Kinos. Sein bekanntester Film ist die Comic-Adaption Der bewegte Mann (1994), die mit einer Besucherzahl von 6,5 Millionen zu den erfolgreichste deutschen Filmen gehört. Auch seine Liebe zum Fußball zahlte sich später aus, sowohl der Spielfilm Das Wunder von Bern (2003) wie auch der Dokumentarfilm Deutschland. Ein Sommermärchen (2006) waren große Kassenerfolge. 2021 veröffentlichte er seinen ersten Roman Es gilt das gesprochene Wort



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