A House Made of Splinters
© DOK.fest München 2022

A House Made of Splinters

Inhalt / Kritik

Die Stadt Lyssytschansk liegt im Osten der Ukraine, im schon seit 2014 in Teilen von der russischen Armee kontrollierten Oblask Luhansk. Scheinbar im Nichts steht dort ein unscheinbares, blockförmiges Gebäude, in dem ein Kinderheim untergebracht ist. Dort drehte der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont seit 2015 für seinen Film A House Made of Splinters. Ihre Weltpremiere feierte die Dokumentation 2022 auf dem Sundance Film Festival, nur einen Monat, bevor russische Truppen mit ihrem Angriffskrieg auf die Ukraine begannen. Der Krieg verleiht dem Film natürlich eine besondere Bedeutung; man kommt nicht umhin, sich zu fragen, was mittlerweile aus dem Heim und den Menschen, die dort leben und arbeiten geworden ist. Aber auch ohne das Wissen um den Krieg in der Region ist A House Made of Splinters ein sehr bewegender Film über Kinder, die unter schwierigen Umständen aufwachsen und über die Menschen, die ihnen trotzdem ein möglichst sorgenfreies Leben ermöglichen wollen.

Ein (zu) frühes Erwachsenwerden

Durch die über Jahre erfolgenden Dreharbeiten ist es Wilmont gelungen, zum Teil äußerst intim und vor allem natürlich wirkende Szenen festzuhalten. Einerseits zeigen diese eben ganz normale Kinder, wie sie spielen, lachen, tanzen, zusammen frühstücken oder sich Geschichten erzählen. Andererseits wird schnell deutlich, dass die jungen Heimbewohner alle aus zerbrochenen Familien stammen, in denen oft Gewalt oder Alkoholismus an der Tagesordnung sind. Bis zu neun Monate dürfen die Kinder in der Einrichtung bleiben. In dieser Zeit werden ihre Fälle verhandelt und wenn sie anschließend nicht zu ihren Eltern zurückkehren können, kommen sie zu anderen Angehörigen, Pflegefamilien oder in Waisenhäuser. Während die Jungen und Mädchen in manchen Szenen sorglos und unschuldig wirken, wie es Kinder eben häufig sind, zeigen sie in anderen wiederum eine überraschende Abgeklärtheit, wenn sie sich mit ihrer Situation auseinandersetzen. „Ich will, dass Mama aufhört zu trinken, damit wir von vorne anfangen können“, erklärt etwa die kleine Eva. Sie ruft ihre Mutter regelmäßig an und klingt in diesen Gesprächen oft erwachsener und vernünftiger als diese, wenn sich die Mutter etwa über ihre Einsamkeit beklagt und ihrer Tochter rät, doch einfach aus dem Heim fortzulaufen.

Bewundernswert ist der Einsatz der Sozialarbeiterinnen im Heim, die verschiedene Rollen nebeneinander einnehmen müssen. Für die Kinder sind sie eine Mischung aus Ersatzeltern, Erzieherinnen und Krankenschwestern, während sie sich außerdem mit den Behörden auseinandersetzen müssen, mit den Eltern in Kontakt stehen und nach Pflegefamilien suchen, die die Kinder aufnehmen können. Bei all diesen Dingen ist Wilmont mit der Kamera dabei und rückt dabei einige der Kinder in den Mittelpunkt, sodass wir deren individuelle Situationen und Geschichten besser kennen lernen. Kolya etwa ist ein intelligenter und kreativer Junge, der gerne zeichnet, aber immer wieder von zu Hause weggelaufen ist, weil seine Eltern meist trinken und streiten. Mit etwa zwölf Jahren gehört er zu den ältesten Kindern im Heim. Manchmal raucht er dort heimlich und einmal bekommt er Besuch von der Polizei, weil man ihn beim Stehlen erwischt hat. Dies wiederum führt zu einer bewegenden Szene, die einmal mehr die Bedeutung klar macht, die dem Heim und den Sozialarbeiterinnen dort zukommt. Eine von ihnen setzt sich mit Kolya zu einem ernsten Gespräch zusammen und versucht ihm die Konsequenzen seines Handelns klar zu machen. Aber der Junge zeigt sich vor allem rebellisch und nicht unbedingt einsichtig.

Die Hoffnung im Leid

Wenn eines der Kinder das Heim verlassen muss, dann kommt es manchmal zu dramatischen, tränenreichen Abschiedsszenen. Das zeigt den Zusammenhalt der Kinder und ihrer Betreuerinnen dort. Die Heimbewohner wünschen sich, zu ihren Familien zurück zu kehren, haben aber im Kinderheim ein neues, wenn auch nur vorübergehendes Zuhause gefunden haben, wo man einander braucht und vertraut. Trotz all des Leids im Leben der Kinder zeigt der Film eben mehr als nur Leid und Verzweiflung; insgesamt ist er angesichts des Zusammenhalts und der Fürsorge sogar äußerst inspirierend und in Teilen optimistisch. Er zeigt, dass Kinder auch unter widrigen Umständen dazu in der Lage sind, immer wieder einfach nur Kinder zu sein und dass es Menschen gibt, die sich mit großer Anstrengung dafür einsetzen, ihnen ein Aufwachsen in Sicherheit und Geborgenheit zu ermöglichen. Freilich hinterlässt das Bewusstsein um den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Ungewissheit über den aktuellen Zustand des Heimes und seiner Bewohner dann doch wieder einen äußerst unangenehmen Beigeschmack.

Credits

OT: „A House Made of Splinters“
Land: Dänemark, Finnland, Schweden, Ukraine
Jahr: 2022
Regie: Simon Lereng Wilmont
Musik: Uno Helmersson
Kamera: Simon Lereng Wilmont

Trailer

Filmfeste

Sundance 2022
DOK.fest München 2022

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

A House Made of Splinters
Fazit
„A House Made of Splinters“ ist ein bewegender Film, der das Schicksal derer in den Mittelpunkt stellt, die gerne übersehen werden: Kinder. Der Regisseur hat sich die Zeit genommen, Vertrauen zu seinen Protagonisten aufzubauen und so einen intimen und in Teilen durchaus hoffnungsvollen Film geschaffen.
Leserwertung0 Bewertungen
0