Stell dir vor, du verbringst gerade deinen Urlaub in Afrika und wirst anschließend von einem wilden Löwen gejagt. Von eben diesem Szenario erzählt der bekannte isländische Regisseur Baltasar Kormákur in seinem Survival Thriller Beast – Jäger ohne Gnade an (Kinostart 25. August 2022). Wir haben uns mit dem Filmemacher über das Genre sowie die Arbeit am Film unterhalten.
Du hast in den letzten Jahren gleich mehrere Survival Thriller gedreht. Zuerst war Everest, danach Die Farbe des Horizonts, jetzt steht Beast – Jäger ohne Gnade an. Worin liegt deiner Meinung nach der Reiz solcher Filme? Warum will das Publikum sie sehen?
Ich glaube, dass ein Reiz darin besteht, dass sie immer auch mit einer Reise verbunden sind. Du siehst in diesen Filmen Orte, an die du sonst vielleicht nicht fahren würdest. Wer von uns ist schon am Gipfel des Mount Everest oder befindet sich mitten im Ozean? Auch nach Tahiti werden die wenigsten von uns selbst reisen oder jetzt eben der Dschungel von Afrika. Für mich besteht der Spaß eines Kinobesuches auch darin, dass du für wenig Geld um die Welt reisen kannst. Für mich als Regisseur ist bei diesen Filmen die Landschaft immer ein wichtiger Teil der Geschichte, ein eigener Charakter sogar, und nicht einfach nur ein oberflächlicher Hintergrund. Deswegen ist es für mich auch immer ganz wichtig, wirklich vor Ort zu drehen. Als man mich gefragt hat, ob wir den Film nicht vielleicht in Atlanta drehen könnten, habe ich dann auch gleich klar gemacht: Entweder wir drehen in Südafrika oder gar nicht. Denn mal ganz unter uns, ich drehe diese Filme auch, um selbst mehr von der Welt zu sehen. Ich will nicht einfach nur ein Zuschauer sein, sondern selbst etwas erleben. Du erlebst ein Land auch ganz anders, wenn du längere Zeit dort bist und dort arbeitest, anstatt nur als Tourist zu kommen. Wenn ich einen solchen Survival Thriller drehe, spielen also auch ganz egoistische Gründe mit rein.
Die Settings der drei Filme sind sehr unterschiedlich, wie du schon gesagt hast. Hat die Arbeit an den vorherigen Survival Thrillern dir bei Beast trotzdem geholfen oder war das etwas komplett anderes?
Geholfen hat es mir schon. Selbst wenn das Drumherum komplett neu ist, habe ich bei den vorherigen Drehs doch einiges gelernt, was ich auch beim neuen Film anwenden konnte. Eine Sache, die ich beispielsweise gelernt habe: Je mehr du in einer natürlichen Umgebung drehst, umso besser sehen die Spezialeffekte aus, die du später einbaust. Andere Regisseure fangen mit den Spezialeffekten an und fügen den Rest dann später ein. Bei mir ist es umgekehrt: Ich drehe so viel wie möglich in der realen Welt, um damit auch das Gefühl zu erzeugen, dass du als Zuschauer wirklich dort bist. Das kann sehr anstrengend sein. Bei Die Farbe des Horizonts zum Beispiel haben wir Wochen auf See verbracht, was dazu geführt hat, dass sich die Crew zwischendurch schon auch mal übergeben musste. Es ist also kein reiner Urlaub, was wir da machen. Bei Beast war das ebenfalls nicht immer nur Spaß. Wir haben in einem wirklichen Nationalpark gedreht, in dem wilde Tiere unterwegs waren. Wir wurden beispielsweise von Affen angegriffen. Und auch Elefanten haben versucht uns anzugreifen. Aber das gehört eben dazu. Der Löwe wiederum stammte aus dem Computer, da wir gar nicht mit echten Löwen hätten drehen dürfen. Aber auch da war uns wichtig, dass das Ergebnis möglichst realistisch aussieht, weshalb wir uns Hunderte von Videos mit echten Löwen angeschaut haben, damit unserer nichts macht, was nicht auch ein echter Löwe machen würde.
Wie schwierig war es, in dem Film die Furcht vor etwas zu erzeugen, das gar nicht wirklich da ist? In deinen beiden anderen Filmen ging die Bedrohung von dem Ort aus, also dem Berg und dem Meer. Etwas also, das physisch vorhanden war. Dieses Mal musstet ihr euch beim Dreh die Bedrohung vorstellen.
Das stimmt natürlich. Es ist schon eine Herausforderung, um etwas herumzudrehen, das du später erst erzeugst. Gleichzeitig sind die meisten Sachen, vor denen wir uns fürchten, etwas, das wir gar nicht sehen können. Du musst in Beast auch gar nicht den Löwen die ganze Zeit sehen, um vor ihm Angst zu haben. Es reicht, wenn du weiß, dass er irgendwo da draußen ist. Um das zu verstärken, habe ich viele Szenen in einem Take gedreht. Dabei ging es nicht darum, etwas ganz Kunstvolles zu machen, wofür ich mir anschließend selbst auf die Schultern klopfen kann. Mir war vielmehr wichtig, dass das Publikum das Gefühl hat, mit diesen Leuten unterwegs und mit ihnen gefangen zu sein. Du steckst mit ihnen in diesem Tunnel fest und fragst dich, ob du noch lebend aus der Geschichte herauskommst. Dafür brauchst du kein Touristenmotiv mit einem majestätischen Löwen.
Apropos Touristen: Warum reisen die Leute überhaupt noch in solche Parks, um wilde Tiere zu sehen?
Ich glaube, dass wir uns allgemein danach sehnen, in der Natur zu sein und von Tieren umgeben zu werden. Mir zumindest geht es so. Ich züchte selbst Pferde und reite viel, wenn ich daheim in Island bin. Ich brauche sie deshalb in meiner Nähe und kann mir gar nicht vorstellen, dauerhaft ohne sie zu leben. Tatsächlich sind sie nur zehn Minuten von meiner Küche entfernt, damit ich ständig zu ihnen kann. Es müssen aber nicht unbedingt Pferde sein. Andere Menschen haben ganz andere Tiere, die ihnen wichtig sind. Diese Sehnsucht an sich dürfte aber die meisten in der einen oder anderen Form haben. Wir wollen Teil der Natur sein, auch wenn oder gerade weil wir immer mehr den Bezug zu ihr verlieren. Das Beast im Titel bezieht sich auch nicht unbedingt auf den Löwen. Wenn die Natur uns angreift, und da spielt es keine Rolle, ob es nun ein wildes Tier ist oder ein Tsunami, dann ist das die Folge davon, wie wir selbst mit der Natur umgehen. Wenn du Löwen angreifst und sie in die Ecke drängst, dann greifen sie auch uns an, egal ob du nun selbst der Schuldige bist oder nicht. Ich bin sicher keiner dieser Öko-Fanatiker. Aber es ist doch offensichtlich, dass wir an einem Punkt angekommen sind, an dem es so nicht weitergeht. Denn eines ist klar: Die Natur kann uns überleben, wir werden ohne sie aber nicht leben können.
Dann kommen wir noch zu deinen eigenen Überlebensfähigkeiten. Wenn du eines der drei Szenarien in deinen Filmen wählen müsstest – gefangen auf einem Berg, gefangen auf dem Meer, gefangen mit einem wilden Tier –, welches würdest du nehmen?
Wahrscheinlich das wilde Tier. Tiere kannst du verstehen, wenn du dich in ihre Lage hineinversetzt und entsprechend handelst. Einen Löwen kann ich verstehen. Einen Berg nicht.
Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte?
Da sind mehrere in der Mache. Das wahrscheinlichste von ihnen ist eine Liebesgeschichte, die in Island, Japan und England spielt und auf einem Roman basiert. Der Film wird auch ein isländisch-japanisches Ensemble haben. Dieses Mal wird es also darum gehen, die Liebe zu überleben, was auch eine Herausforderung sein kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
(Anzeige)