Für den Staatsanwalt Dr. Dirk Brunner (Max Hopp) ist es gleich ein doppelter Schock. Nicht nur dass seine Mutter Erika (Lore Stefanek) tot ist. Sie wurde auch noch offensichtlich von Kerstin Matthies (Ingrid Sattes) misshandelt, der Pflegedienstleiterin des Heimes, in dem sie lebte. Von der Frau also, mit der er selbst bis vor Kurzem liiert war. Als diese spurlos verschwindet, zählt Brunner zum Kreis der Verdächtigen, was ihn aber nicht daran hindert, auf eigene Faust in der Sache zu ermitteln. Und auch Karin Lossow (Katrin Sass), seine frühere Chefin, will nicht tatenlos zusehen und nimmt die Sache in die Hand – was zu der einen oder anderen Grenzüberschreitung führt …
Missbrauch in der Pflege
Sehr viel größer hätte der Kontrast zwischen den beiden Folgen der ARD-Krimireihe Der Usedom-Krimi kaum sein können: Ging es beim vorangegangenen Teil Nachtschatten um Jugendliche, die so exzessiv gefeiert haben, dass sie sich an nichts mehr erinnern können, da steht bei Schmerzgrenze eine Seniorin im Mittelpunkt, die in einem Heim zu Tode kam. Das ist zunächst natürlich nichts Ungewöhnliches: Das bringen solche Pflegeheime nun einmal mit sich. Nur dass dort ganz offensichtlich nicht das Wohl der Patienten und Patientinnen an oberster Stelle stand, wie man es eigentlich erwarten sollte. Zumindest eine, die dort arbeitet, fand anscheinend Gefallen daran, die ihr anvertrauten Menschen zu quälen. Sie sei ein Machtmensch, heißt es an einer Stelle.
Anfangs könnte man dabei noch meinen, dass Der Usedom-Krimi: Schmerzgrenze einer dieser Krimis ist, bei denen ein gesellschaftliches Thema aufgegriffen werden soll. Dass im Bereich der Pflege Notstand hält, ist schließlich kein Geheimnis, das haben inzwischen die meisten mitbekommen. Die Geschichte taugt aber kaum als Verallgemeinerung, um damit auf Missstände aufmerksam zu machen. So schwierig die Verhältnisse in diesem Bereich auch sein mögen, eine sadistische Leiterin gehört sicher nicht zu den üblichen Problemen, die es zu bewältigen gibt. Die chronische Unterfinanzierung und mangelnde Wertschätzung des Berufs werden hingegen gar nicht angesprochen. Drehbuchautor Michael Vershinin (Breisgau: Nehmen und Geben) hat überhaupt kein Interesse daran, hier in größeren Kontexten zu agieren.
Grenzen sind für andere da
Stattdessen hat er einen Krimi geschrieben, der stark auf die Figuren ausgerichtet ist. Wie schon beim letzten Mal ist eine der Hauptfiguren persönlich in die Geschichte involviert, diesmal eben Brunner statt Lossow. Das hindert Letztere aber nicht daran, sich trotzdem überall einzumischen. Dabei kennt sie auch keine falsche Scham, was dazu führt, dass beide Figuren ständig Grenzen überschreiten. Das ist gleichermaßen fragwürdig wie anstrengend. Der Usedom-Krimi: Schmerzgrenze ist einer dieser Fälle, wo die „Guten“ deutlich unsympathischer sind als die „Bösen“. Diese Dreistigkeit und Arroganz, mit der sie sich über andere erheben, ist gleichermaßen faszinierend wie schwer zu ertragen.
Der andere Punkt, an dem sich die Geister scheiden werden: die Auflösung. Dass Hopp es nicht war, ist natürlich klar. Wiederkehrende Hauptfiguren sind selten die Täter. Ansonsten gibt es aber kaum jemanden, der ein Motiv hätte. Entsprechend kommt die Erklärung, was genau da geschehen ist, auch aus dem Nichts. Die einzelnen Querverbindungen sind zudem wenig überzeugend. Wie so oft heißt es bei Der Usedom-Krimi: Schmerzgrenze, dass man hier besser nicht weiter nachdenken sollte. Immerhin, das war bei anderen Teilen der Reihe schon mal schlimmer. Außerdem gibt es wieder stimmungsvolle und sehr düstere Aufnahmen, mit denen man sich hier gut die Zeit vertreiben kann und die den Krimi zumindest noch auf Durchschnittsniveau hieven.
OT: „Der Usedom-Krimi: Schmerzgrenze“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Maris Pfeiffer
Drehbuch: Michael Vershinin
Musik: Colin Towns
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Besetzung: Katrin Sass, Max Hopp, Rikke Lylloff, Till Firit, Lutz Blochberger, Johanna Polley, Anton Spieker, Frederik Schmid, Christian Grashof
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