Die Autobahn Kampf um die A 49
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Die Autobahn – Kampf um die A 49

Die Autobahn Kampf um die A 49
„Die Autobahn – Kampf um die A 49“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Für eine Demokratie ist es unerlässlich, auch Widerstand gegen Entscheidungen und Positionen zu ertragen, und statt direkt in die Offensive den Diskurs zu suchen. Nicht zuletzt garantieren entsprechend formulierte Paragrafen des Grundgesetzes eben solche Abläufe sowie das Recht zu demonstrieren, sofern dieser Protest nicht die Regeln des Rechtsstaates unterwandert. In der jüngsten Vergangenheit treffen wir, nicht zuletzt aufgrund medialer Berichterstattung, auf sehr unterschiedliche Formen des Protests, wie beispielsweise die Fridays for Future Bewegung oder das Konzept von Occupy Wallstreet. Mag man sich über Vorgehensweise und die einzelnen Positionen auch streiten, ist die Intentionen durchaus verständlich und erwartet in einer Demokratie eine gewisse Form der Auseinandersetzung, selbst wenn diese bisweilen in puncto Ernsthaftigkeit zu wünschen übrig ließ.

Auf der anderen Seite hatten wir es auch mit anderen Phänomenen zu tun, wobei die Demonstrationen gegen Bauprojekte wie die Elbphilharmonie oder den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs nur zwei Beispiele von vielen sind. Speziell das letzte zeigt auf, wie ein Prozess, der bereits mehrere Jahre am Laufen war und durch alle juristischen und behördlichen Instanzen gegangen ist, dennoch auf einen enormen Widerstand gestoßen ist. Unabhängig, auf welcher Seite man bei diesen Protesten steht (oder vielmehr stand), scheint es doch erstaunlich, wie weit die Kluft zwischen den politischen Prozessen und der Gesellschaft auseinandergeht und wie es ein solches Projekt schafft, die Gemüter zu erhitzen, bis es schließlich zu einem Konflikt kommt, der nicht zuletzt die Institutionen des Staates in einem sehr problematischen Licht erscheinen lässt.

Noch viel länger als die beiden eingangs erwähnten Bauvorhaben geht die Planung zum Ausbau der A 49, insbesondere jener Abschnitt zwischen Kassel und Gießen. Seit mehr als 50 Jahren lag das Bauprojekt praktisch brach, sodass die eigentliche Fahrbahn mitten in einem Acker endete und viele Bürger bereits hofften, der Staat habe das Projekt wegen rechtlicher oder finanzieller Probleme abgeschrieben. Nach einer ganzen Welle von Klagen und unterschiedlichen Protesten ging der Bau dann doch weiter, sodass für einen Großteil des Dannröder Forst die Tage gezählt waren. Für ihrer Dokumentation Die Autobahn – Kampf um die A 49, die auf dem diesjährigen DOK.fest München ihre Premiere feiert, haben die Regisseure Klaus Stern und Frank Marten Pfeiffer dieses letzte Kapitel des Projekts begleitet, wobei sie neben einem Überblick über die Entwicklung des Bauvorhabens sowohl Befürworter wie auch Gegner zu Wort kommen lassen. Ausgerechnet mit dem Aufkommen der Klimadebatte, wie Stern in seinem Regiekommentar beschreibt, fällt jener Startschuss zum Weitermachen jenes Projekts, welches er bereits seit seiner Jugend her kennt. So ist Die Autobahn eine Dokumentation über die Spaltung der Gesellschaft geworden, die Kluft zwischen Politik und Bürgern, doch auch darüber, wie unsicher die Akzeptanz solcher Großprojekte in der heutigen Zeit geworden ist.

Mehr als nur ein Investment

Fast erinnert man sich an die Bilder von jenen Protestlern im Hambacher Forst, wenn man die jungen Leute sieht, die sich in teils in schwindelerregender Höhe befindlichen Behausungen ein neues Zuhause erschaffen haben, was zugleich Teil ihres Protests sein soll. Mit Workshops werden Neuankömmlinge in Klettern und Knoten unterrichtet, also wichtigen Disziplinen, um jenes Leben zu meistern und gewappnet zu sein auf das, was irgendwann einmal kommen mag und sich schon bald in nahen Baulärm sowie dem Marschieren von Einsatzkräften zeigen wird. Auf der anderen Seite zeigt die Kamera einen Ortsvorsteher einer kleinen Gemeinde, der sich in seiner Haltung für den Bau in eine Ecke gedrängt fühlt und mit Vorbehalten kämpfen muss, er, wie auch viele andere, seien zurückgeblieben und Hinterwälder, wenn sie sich für eine bessere Verkehrsverbindung aussprechen. Gerade in der ersten Hälfte von Die Autobahn greifen die Filmemacher immer wieder auf diese Gegenüberstellungen zurück, wobei die Perspektive auf die Politik, auf kommunaler Ebene oder aus Bundesebene, beispielsweise durch ein Gespräch mit dem ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer, ebenso Berücksichtigung findet.

In Kombination mit der zweiten Hälfte, welche vor allem die Konfrontation der Protestler mit den Einsatzkräften der Polizei behandelt, die immer weiter in den Wald vorrücken, drängt sich die Vermutung auf, den Machern geht es noch um etwas mehr. Das immer wiederkehrende Bild der Fahrbahn, der Schneise, die sich durch den Wald drängt und für die immer mehr Bäume weichen müssen, wird mehr und mehr zu einer Metapher für jenen gesellschaftlichen Zwiespalt, der in jeder Einstellung von Die Autobahn präsent ist. Eine Konfrontation einer Reporterin mit einem Polizisten, die aufgrund des Tones scheinbar kurz vor der Eskalation zu stehen scheint, verweist auf ein Phänomen, das den Konflikt sucht und weniger den Diskurs, was freilich problematisch ist für eine demokratisch organisierte Gesellschaft.

Credits

OT: „Die Autobahn – Kampf um die A 49“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Klaus Stern, Frank Marten Pfeiffer
Drehbuch: Klaus Stern, Frank Marten Pfeiffer
Musik: Michael Kadelbach
Kamera: Frank Marten Pfeiffer

Bilder

Trailer



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Die Autobahn – Kampf um die A 49
Fazit
„Die Autobahn – Kampf um die A 49“ ist eine Dokumentation, die am Beispiel des umstrittenen Ausbaus einer Autobahnstrecke die Kluft zwischen Gesellschaft und Politik thematisiert. Klaus Stern und Frank Marten Pfeiffer zeigen beide Seiten ihres Themas durch ihre Wahl der Gesprächspartner wie auch ihre Bilder, die dem Zuschauer eine Positionierung abverlangen, nicht nur zu dem Bauprojekt, sondern vielmehr zu einer Entwicklung, die schon lange nach einer breiten Diskussionen verlangt.
Leserwertung36 Bewertungen
5.3