Der Schock ist groß bei allen Anwesenden, als Max Baumstein (Michel Piccoli), angesehener und engagierter Präsident einer Menschenrechtsorganisation, den Botschafter Paraguays in Frankreich erschießt. In der Untersuchungshaft öffnet er sich seiner fassungslosen Frau Lina (Romy Schneider) und erzählt ihr, was ihn zu dieser Bluttat veranlasst hat. Doch dafür muss er weit in die Vergangenheit reisen, bis ins Jahr 1933. Baumstein (Wendelin Werner) war seinerzeit noch ein Kind, musste aber als jüdischer Waisenjunge schon früh den Schrecken der Nazis erfahren. Gemeinsam mit dem Elsa (ebenfalls Romy Schneider) Wiener flieht er nach Paris, während ihr Mann Michel Wiener (Helmut Griem) vorher noch seinen Verlag verkaufen möchte. Aber der Terror setzt sich fort …
Die Suche nach Gründen
Wenn zu Beginn eines Films ein Mord geschieht, dann dreht sich die Geschichte meistens darum herauszufinden, wer diesen begangen hat. Der klassische Krimi eben. Dann und wann wird dieses Konzept aber auch genutzt, um etwas völlig anderes zu erzählen. Kürzlich eröffnete die belgische Serie Sacha damit, dass ausgerechnet eine Staatsanwältin auf einen unbewaffneten Mann schießt. Und nicht nur das Publikum durfte im Anschluss völlig verblüfft nach dem Grund suchen. Ein älteres Beispiel dafür, wie sich die Situation für eine andere Form der Spannung und Spurensuche nutzen lässt, ist Die Spaziergängerin von Sans-Souci. Auch hier beginnt die Geschichte damit, dass eine absolute Respektsperson, die sich für andere Menschen einsetzt, plötzlich eine Gewalttat verübt.
Im Gegensatz zu dem oben genannten Titel wird dieses Rätsel hier aber nicht im Sinne eines Mystery-Faktors genutzt. Stattdessen erzählte Autor Joseph Kessel, auf dessen gleichnamiger Roman Die Spaziergängerin von Sans-Souci basiert, von den Schrecken des Dritten Reiches. Im Grunde hätte es die Rahmenhandlung um den in Untersuchungshaft sitzenden Baumstein gar nicht unbedingt gebraucht. Dann und wann werden die zahlreichen Flashbacks zwar durch den in die Jahre gekommenen Protagonisten kommentiert. Außerdem ermöglicht diese Erzählweise natürlich, zwischendurch immer wieder größere Zeitsprünge zu machen, ohne sich erklären zu müssen. Dennoch, rein von der Handlung aus gesehen wäre der Knaller zu Beginn nicht notwendig geworden.
Verfolgt von der Vergangenheit
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Aufzeigen des Mordes keinen Zweck hat. Neben dem eher manipulativen Element, das Publikum neugierig machen zu wollen, zeigt er doch, wie traumatisch die Erfahrungen des jungen Max waren, dass sie selbst Jahrzehnte später noch solche Reaktionen auslösen können. Zumindest teilweise ist Die Spaziergängerin von Sans-Souci deshalb ein Film über die Narben, die eine solche Erfahrung hinterlässt und wie sehr wie unser Leben lang durch die Vergangenheit geprägt werden können. Aber es bleibt eher ein Randaspekt. Im Fokus liegt die Erfahrung selbst, wenn wir der Odyssee des Protagonisten folgen, sowie der von den Wieners, die stellvertretend für die zahlreichen Opfer stehen, die es in dieser Zeit gab.
Der Großteil der Geschichte spielt dabei jedoch nicht in Nazi-Deutschland selbst. Vielmehr nimmt uns Die Spaziergängerin von Sans-Souci mit nach Frankreich, wo das Duo sich eine neue Heimat und Schutz vor der Verfolgung wünschte. Der Film erzählt, wie sie sich durchschlagen, es versuchen, und dabei immer mehr von dem Schatten des Nationalsozialismus eingehüllt werden. Der Verleger politischer Schriften, der sich gegen das menschenverachtende Regime stellt, kann den Nazis nicht rechtzeitig entkommen. Seine Ehefrau muss sich alleine um den Jungen kümmern, hält sich mit Auftritten in einer Bar über Wasser, immer mit dem quälenden Gedanken konfrontiert, dass ihr Mann nicht wieder zurückkommen wird.
Schmerzhafter Abschied einer Ikone
Das ist natürlich eine sehr tragische Geschichte. Und wer wäre für eine solche Rolle besser geeignet als Romy Schneider? In ihrem letzten Film vor ihrem zu frühen Tod zeigte die deutsch-französische Schauspielerin mit ihrer Doppelstarstellung noch einmal ihre Klasse in diesem von Schwermut geprägten Drama. Die grausamen Umstände aus ihrem eigenen Leben, das ihr zunehmend aus den Händen glitt, machen das Werk zu einer besonders schmerzhaften Abschiedsvorstellung der Ausnahmeschauspielerin. Dass die Geschichte recht umständlich konstruiert wurde und der Film dabei nicht einmal unbedingt etwas Nennenswertes zu sagen hat, rückt dabei schnell in den Hintergrund. Wenn sie ohne große Gesten zu verstehen gibt, wie gerade die Welt untergeht, dann ist das ein Auftritt, der dem Mythos Schneider würdig ist und einen in Erinnerung ruft, wie groß der Verlust für die Filmwelt war. Aber auch wie lange diese Schatten am Ende sein können.
OT: „La passante du Sans-Souci“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 1982
Regie: Jacques Rouffio
Drehbuch: Jacques Rouffio, Jacques Kirsner
Vorlage: Joseph Kessel
Musik: Georges Delerue
Kamera: Jean Penzer
Besetzung: Romy Schneider, Michel Piccoli, Helmut Griem, Maria Schell, Maria Schell, Wendelin Werner, Gérard Klein
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