Rainer Wenger (Jürgen Vogel) ist mit Herz und Seele Gymnasiallehrer, pflegt beim Umgang mit den Schülern und Schülerinnen einen betont lockeren Ton, selbst wenn mal eines der schweren Themen auf dem Stundenplan steht. So wie jetzt: Er soll mit der Klasse erarbeiten, was Autokratie bedeutet und wie diese funktioniert. Da sich das Interesse der Jugendlichen an dem Stoff ziemlich in Grenzen hält, beschließt Wenger, ihnen das Ganze auf eine etwas andere Weise näherzubringen. Ein kleines Experiment soll verdeutlichen, wie eine solche Autokratie entstehen kann und aus welchen Gründen die Menschen einer solchen folgen. Das Experiment ist erfolgreich, sogar erfolgreicher, als es dem Lehrer lieb sein kann, wenn die Gründung der Bewegung „Die Welle“ ungeahnte Folgen nach sich zieht …
Die erschreckende Geschichte eines wahren Experiments
Eine Zeit lang dürfte es in Deutschland kaum Schüler bzw. Schülerinnen gegeben haben, die nicht Morton Rhues Die Welle kannten. Schließlich war der auf einem realen Experiment in den 1960ern basierende Roman um ein Schulexperiment für viele Pflichtlektüre. Anschaulich wurde darin beschrieben, wie ganz normale Jugendliche faschistoide Strukturen annahmen und verinnerlichten. Was zuvor undenkbar erschien – kann es in der westlichen Welt wieder Diktaturen wie die der Nazis geben? –, war auf einmal wieder erschreckend plausibel. Dass eine solche Geschichte als warnendes Beispiel an Schulen durchgenommen wurde, ist daher wenig überraschend. Ebenso dass es irgendwann eine hiesige Verfilmung geben würde. Überraschend ist allenfalls, dass diese erst 2008 erschien, fast drei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Rhues Vorlage.
Wobei es sich streng genommen bei Die Welle nicht um eine Verfilmung handelt. Vielmehr sind es die Berichte zu dem besagten zugrundeliegenden Experiment, das seinerzeit an einer US-amerikanischen Schule durchgeführt wurde, die zur Inspiration für den Film wurden. Regisseur und Drehbuchautor Dennis Gansel (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer) übernahm nur die Idee und das grundsätzliche Szenario, die er zu einer eigenen Version ausarbeitete. So verlegte er den Schauplatz nach Deutschland, die Geschichte spielte in der Gegenwart. Geschadet hat das nicht, geht es doch explizit darum, dass die vermeintlich besiegten Schrecken der Vergangenheit gar nicht wirklich weg sind. Die Folgerung ist vielmehr: Menschenverachtende und diktatorische Regime sind noch immer möglich, an jedem Ort, zu jeder Zeit.
Keine Zeit für Tiefgang
Mit Hinweis darauf wurden zur Veröffentlichung des Films auch die sehr schematischen Figurenzeichnungen gerechtfertigt. Die Idee: Wenn praktisch jeder und jede für solches Gedankengut empfänglich ist, braucht es keine nuancierten Charaktere. Es reicht, stellvertretend für die Vielfalt der Bevölkerung grob gefertigte Stereotype zu wählen und diese innerhalb dieses Systems zu zeigen. Wie reagiert das typische Sportler-Ass auf eine solche Situation? Was ist mit den unbeliebten Außenseitern? Den Klassenstrebern? Diese Beurteilung mag man teilen, um die fehlenden Schattierungen von Die Welle zu rechtfertigen. Es führt aber auch dazu, dass sich vieles hier nicht wirklich real anfühlt. Das wiederum ist problematisch bei einem Film, der davor warnen will, wie real die Gefahr des Faschismus ist.
Unglücklich ist in dem Zusammenhang auch, dass sich Gansel gar nicht die Zeit nimmt, um die Entwicklung der einzelnen Figuren aufzuzeigen. Während manche Anfälligkeiten plausibel sind und sich aus den Stereotypen ableiten lassen, sind andere willkürlich. Da kommt es zu Änderungen, ohne dass man genau wüsste weshalb. Klar ist das auch die Folge der zeitlichen Einschränkung. Ein Spielfilm ist dann vielleicht doch nicht genug, um so vielen Figuren gerecht zu werden. Denn das muss man Die Welle zugutehalten: Anstatt sich einfach nur drei bis vier Schüler und Schülerinnen herauszupicken, wird hier wirklich eine ganze Klasse gezeigt, von der rund ein Dutzend Jugendlicher prominenter gezeigt werden. Das ist schon viel Stoff.
Starkes Ensemble
Beeindruckend ist in dem Zusammenhang, wie stark die Besetzung dieser Figuren ist. Mit Schauspielern wie Frederick Lau, Max Riemelt, Elyas M’Barek, Jacob Matschenz oder Tim Oliver Schultz sind da schon recht viele dabei, im Kino oder Fernsehen seither längst etabliert sind. Dem Ensemble kann man auch keinen Vorwurf machen, das holt aus der Vorlage schon jede Menge heraus. Vor allem Frederick Lau gefällt in einer seiner frühen Rolle als Außenseiter, der in der Bewegung einen neuen Sinn für sich entdeckt. Gründe, sich einmal Die Welle anzusehen, gibt es also schon einige. Trotz des gigantischen Erfolgs in den Kinos, wo mehr als 2,5 Millionen Menschen das Drama sahen, hinterlässt dieses aber nicht den großen Eindruck, den Besetzung und Thema eigentlich erwarten ließen.
OT: „Die Welle“
Land: Deutschland
Jahr: 2008
Regie: Dennis Gansel
Drehbuch: Dennis Gansel, Peter Thorwarth
Musik: Heiko Maile
Kamera: Torsten Breuer
Besetzung: Jürgen Vogel, Frederick Lau, Max Riemelt, Jennifer Ulrich, Christiane Paul, Cristina do Rego, Elyas M’Barek, Jacob Matschenz, Maximilian Vollmar, Maximilian Mauff, Ferdinand Schmidt-Modrow, Tim Oliver Schultz
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