Nach außen hin erscheinen die Jarretts wie eine typische US-amerikanische Familie, eine von vielen in einem Chicagoer Vororten. Calvin und seine Frau Beth (Donald Sutherland und Mary Tyler Moore) verkehren in den gehobenen mittelständischen Kreisen der Stadt, verfügen über viele Beziehungen und werden beinahe jedes Wochenende zu einer Feier einer der anderen Familie eingeladen. Jedoch hat die heile Fassade einige Risse in letzter Zeit bekommen, denn nach dem tragischen Tod ihres ältesten Sohnes Buck und einem Suizidversuch ihres zweiten Sohnes Conrad (Timothy Hutton) ist der Weg zurück in eine Normalität ziemlich schwierig. Als Conrad von einer Therapie zurückkehrt, fühlt er sich in der Schule, doch vor allem gegenüber seinen Eltern wie ein Fremder. Auch an seiner Highschool nimmt er immer mehr die Stellung eines Außenseiters ein. Selbst seine Freunde können ihn nicht mehr aufheitern, sodass er sich auch von ihnen isoliert und schließlich nur noch Jeannine (Elizabeth McGovern) bleibt, die aufgrund eigener Probleme einen Draht zu Conrad aufbaut sowie zu einer Bezugsperson für ihn wird. Dank einer Therapie bei Dr. Tyrone Berger (Judd Hirsch), der ihm in der Psychiatrie empfohlen wurde, findet Conrad einen Weg über seine Gefühle zu reden, der emotionalen Kälte seiner Mutter sowie seiner Stellung in der Familie, hatte er doch immer das Gefühl im Schatten seines Bruders zu stehen, der viel beliebter und auch geliebter war als er.
Eine neue Herausforderung
Nur wenige Schauspieler seiner Generation können auf eine ähnlich erfolgreiche Karriere zurückblicken wie Robert Redford, der dank seiner Rollen in Der Clou, Zwei Banditen oder Die drei Tage des Condor zu einem der gefragtesten Stars Hollywoods geworden war. Wie er in einem Interview mit Entertainment Weekly erklärt, wollte er, als er in seine 40er gekommen war, eine neue Herausforderung und suchte diese schließlich hinter der Kamera als Regisseur. Als sein erstes Projekt suchte er sich eine Verfilmung des Romans Ordinary People von Judith Guest aus, dessen Geschichte um Trauer, Schuld und Familie ihn sehr berührte. Kritiker und Zuschauer dachten ähnlich, denn bei den Oscarverleihungen stach Redfords Regiedebüt Eine ganz normale Familie vielversprechende Konkurrenten wie Der Elefantenmensch, Tess oder Wie ein wilder Stier aus und gewann die Trophäe in den Kategorien Bester Film, Beste Regie, Bestes adaptiertes Drehbuch und Bester Nebendarsteller (für Timothy Hutton).
Generell ist das Familiendrama ein sehr beliebtes Genre bei den Oscars, besonders wenn es sich dabei um eine Art Bestandsaufnahme der US-amerikanischen Gesellschaft handelt, wie beispielsweise in Sam Mendes’ American Beauty oder Road to Perdition. Dennoch sind die „gewöhnlichen Menschen“ eher selten im Fokus der Traumfabrik, sind ihre Leben doch eher weniger schillernd oder interessant, sodass immer wieder seltsame Fantasiegestalten entstehen, wenn es darum geht, sich eben solche Menschen vorzustellen oder diese in einem Film zu inszenieren. Diese Inszenierung der Normalität nimmt dann auch einen nicht unerheblichen Teil von Eine ganz normale Familie ein, wobei schon beim ersten Auftreten von Huttons Conrad klar wird, dass hier etwas entsetzlich schiefläuft und etwas passiert sein muss. Dank seines großartigen Ensembles wird deutlich, wie gut die einzelnen Familienmitglieder eben jene Maske der Normalität hinbekommen, wobei ihre Gesten, ihr Schweigen und ihre Mimik mehr als einmal verrät, wie groß ihre Trauer, ihre Wut und ihre Enttäuschung ist, vor allem über sich selbst.
Hinter der Maske des Normalen
Auch wenn es immer schwierig ist, mit Attributen wie Authentizität zu kommen, wenn es einen Hollywoodfilm geht, gelingt es Redford durchaus, einen zumindest vorstellbaren Einblick darüber zu geben, wie unterschiedlich eine Familie mit einem Verlust umgeht. Gilt für die einen die Aufrechterhaltung der Routine, scheint bei den anderen eine mehr oder weniger offensichtliche Verdrängung eine Rolle zu spielen, während jemand wie Conrad droht von den eigenen Schuldgefühlen zermürbt zu werden. Neben Hutton, der sehr zurecht für seine Leistung geehrt wurde, sind es genauso Sutherland und Moore, welche diese verschiedenen emotionalen Facetten von Trauer und deren Bewältigung spielen. Besonders rührend fallen auch die Dialoge Huttons mit McGovern aus, wenn beispielsweise Jeannine mehr zu sich als zu ihrem Gegenüber appelliert, sie wünsche ihnen beiden, dass sie ein gutes, wenn nicht gar das beste Jahr ihres Lebens haben werden.
Naturgemäß ist Eine ganz normale Familie ein dialoglastiger Film, doch interessant ist, was Redfords Inszenierung und John Baileys Kamera abseits dieser Gespräche zeigen, das Schweigen und die Leere, die weitaus mehr deutlich machen, als es die Worte vermögen. Auch hier zeigt sich die Sensibilität der Inszenierung, die beispielsweise im Falle von Huttons Conrad zeigen, wie jemand an sein altes Ich anknüpfen will, eine eigene Normalität finden will, doch dabei immer mehr zu versagen droht.
OT: „Ordinary People“
Land: USA
Jahr: 1980
Regie: Robert Redford
Drehbuch: Alvin Sargent
Vorlage: Judith Guest
Musik: Marvin Hamlisch
Kamera: John Bailey
Besetzung: Donald Sutherland, Mary Tyler Moore, Judd Hirsch, Timothy Hutton, Elizabeth McGovern, M. Emmet Walsh
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)