Sean (RJ Cyler) und Kunle (Donald Elise Watkins) haben ein großes Ziel: Die beiden Freunde wollen die ersten Schwarzen sein, die sieben Bruderschaftspartys in einer Nacht absolvieren, die sogenannte Legendary Tour. Die Feierlaune endet jedoch abrupt, als sie und ihr Mitbewohner Carlos (Sebastian Chacon) die bewusstlose Emma (Maddie Nichols) in ihrem Wohnzimmer finden. Wie kommt sie da dahin? Und was sollen sie jetzt tun? Die Polizei wollen sie nicht rufen, denn wenn eine Gruppe dunkelhäutiger junger Männer mit einer minderjährigen Weißen gesehen werden, dann gelten sie selbst als verdächtig. Während sie noch beratschlagen, was sie tun können, ohne selbst Ärger zu bekommen, machen sich Emmas ältere Schwester Maddy (Sabrina Carpenter) und deren Freundinnen Alice (Madison Thompson) und Rafael (Diego Abraham) auf die Suche nach der Vermissten …
Rassismus und Polizeigewalt
Auch wenn Filme in den meisten Fällen doch auf die eine oder andere Weise der Unterhaltung dienen sollen, so sind sie doch immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und der Zeit, in der sie gedreht werden. Und so verwundert es dann auch nicht, wenn in den USA in den letzten Jahren verstärkt Geschichten erzählt werden, in denen sich alles um Rassismus und Polizeigewalt dreht. Schließlich gibt es kaum ein Thema, das die Menschen derart beschäftigt hat. Meistens nähern sich Filmschaffende diesem auf sehr ernste Weise an, wählten das Drama (The Hate U Give) oder den Thriller (Queen & Slim). Und selbst das Horrorgenre wird in dem Zusammenhang vereinzelt genutzt, sei es Get Out oder Body Cam – Unsichtbares Grauen.
Dass man diesen Themenkomplex auch auf eine humorvolle Weise angehen kann, beweist der Amazon Prime Video Film Emergency. Schon in den ersten Minuten wählen Regisseur Carey Williams und Drehbuchautor KD Dávila komödiantische Mittel, um das Publikum auf die Schieflage in den USA aufmerksam zu machen. Eine der ersten Szenen zeigt, wie eine weiße Lehrerin mit der Klasse diskutieren will, weshalb ein rassistisches Wort solche Wirkungen erzielen kann. Sean und Kunle stehen als zwei der wenigen schwarzen Schüler am College in dem Moment unter besonderer Beobachtung. Die damit einhergehende Frage: Ab wann wird eine Diskussion über Rassismus selbst rassistisch? Auch wenn die beiden Jungs klar definierte Charaktere sind, sie werden dann doch letztendlich über ihre Hautfarbe definiert.
Zwischen Komödie, Drama und Thriller
Der Wendepunkt schlechthin erfolgt aber, als sie die junge Weiße in ihren Haus finden und sich unschlüssig sind, was sie mit dieser anfangen sollen. Der erste, ganz normale Impuls wäre, die Polizei zu rufen. Emergency zeigt jedoch auf, dass „normal“ sehr von den jeweiligen Kontexten abhängt. Die Sorge um die Unbekannte wird mit der Sorge um das eigene Leben abgewogen. Der Impuls zu helfen scheitert an einer Realität, welche die Jungs genau hierfür bestrafen könnte. Das ist gleichermaßen absurd wie bitter. So wie der Film insgesamt vieles auf einmal ist: Was als Komödie beginnt bekommt später immer mehr Thrilleranteile. Und natürlich ist der Film auch eine Tragödie, wenn sich Sean und Kunle mit etwas beschäftigen müssen, mit dem die anderen Studenten und Studentinnen sich nicht herumplagen müssen.
Die Schlussfolgerung bei Emergency: Bei weißen Jungs wäre der Film eine dieser Komödien geworden, bei denen Freunde sich so richtig gehen lassen, kräftig feiern und von einer peinlichen Situation in die nächste stolpern. Sean und Kunle dürfen das nicht. Ihre Komödie ist gleichzeitig mit einer Todesangst verbunden, dem Bewusstsein, dass es nicht viel braucht, um das Opfer von Polizeigewalt zu werden. Solche Kombinationen sind immer etwas schwierig. Blindspotting ist das beispielsweise gelungen, wenn auch dort eine Reihe von Themen – eines davon eben Polizeigewalt einem schwarzen Mann gegenüber – zusammengeführt werden und bei den Genres hin und her gesprungen wird. Williams hat da schon mehr Schwierigkeiten, diese starken Diskrepanzen wirklich zusammenzuhalten.
Nicht ganz rund, aber sehenswert
Ein weiteres Problem: Man merkt dem Film schon deutlich an, dass er auf einem Kurzfilm basiert. Die Idee hinter der Geschichte ist gut. So ganz wussten Williams und Dáliva aber nicht, wie sie das Konzept ihres Kurzfilms wirklich auf Spielfilmlänge ausdehnen sollten. Das Ergebnis ist nie ganz rund. Dennoch, der Genremix, der auf dem Sundance Film Festival 2022 Premiere feierte, ist sehenswert. Neben dem ungewöhnlichen Gedanken, der dazu führt, Erwartungen auf den Kopf zu stellen, ist es vor allem das Zwischenspiel der beiden jungen Darsteller, die einem positiv in Erinnerung bleiben. Emergency ist eben nicht nur ein Film über Rassismus und Gewalt und eine gesellschaftliche Kluft. Es ist auch ein Film über Freundschaft und die Bedeutung davon, gemeinsam durchs Leben zu gehen.
OT: „Emergency“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Carey Williams
Drehbuch: KD Dávila
Musik: René G. Boscio
Kamera: Michael Dallatorre
Besetzung: RJ Cyler, Donald Elise Watkins, Sebastian Chacon, Sabrina Carpenter, Maddie Nichols, Madison Thompson, Diego Abraham
Sundance 2022
SXSW 2022
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