Ein russischer Luftwaffenstützpunkt im sowjetisch besetzten Estland, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in den 1970ern: Gefreiter Sergey (Tom Prior) hegt für seine Jugendfreundin Luisa (Diana Pozharskaya) mehr als nur freundschaftliche Gefühle. Alle gehen davon aus, dass die beiden ein Paar werden, auch wenn Sergey den ersten Schritt noch nicht gewagt hat. Aber dann wird der gut aussehende Leutnant Roman (Oleg Zagordnii) an den Stützpunkt versetzt. Sowohl Sergey als auch Luisa werfen begehrliche Blicke auf den charismatischen Sonnyboy. Nach einem ersten Abtasten stürzt sich Roman mit Sergey in eine leidenschaftliche, aber verbotene Affäre.
Gegen Homophobie
Der Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches war lange ein Symbol für den Schatten, den die Nazi-Herrschaft über die junge Bundesrepublik warf. Denn Hitlers Leute hatten das Verbot der Männerliebe verschärft und die Strafen drastisch erhöht. Auch in der Sowjetunion gab es bis 1993 eine entsprechende Strafverfolgung von Homosexuellen, den Paragrafen 121. Daran erinnert der estnische Regisseur Peeter Rebane und nimmt indirekt auch zur Homophobie im heutigen Russland Stellung.
Größer könnte der Gegensatz kaum sein: Hier die Gefahr eines weltvernichtenden Kriegs, dort der zärtliche Blick auf eine Blume. Hier militärischer Drill an der Grenze zum Sadismus, dort ein Fotograf, der das Knistern zwischen zwei Verliebten einfängt. Alles verdichtet auf engstem Raum mit ein paar Schnitten. Bomber der Nato überwachen den Luftraum zum Ostblock, beladen mit Atombomben. Nicht minder bewaffnet sind die russischen Geschwader mit ihren draufgängerischen Piloten. In ständiger Alarmstimmung proben die russischen Kampfbomber den Gegenschlag, falls der Feind in ihr Gebiet vordringen sollte.
Inmitten toxischer Männlichkeit leuchten zärtliche Momente umso heller. Regisseur Peeter Rebane und sein Kameramann Mait Maekivi spüren ihnen mit sehenswerter Farbdramaturgie und einem Händchen für dezente Symbolik nach. Sie laden die Leinwand mit einer erotischen Spannung auf, die das Debüt von Peeter Rebane auf Augenhöhe mit Brokeback Mountain (2005) oder Call Me by Your Name (2017) stellen.
Dezente Symbolik
„Tränen und Lächeln werden zusammen gesät“, heißt es in dem Gedicht, das der Vorspann zitiert. Das Motto zieht sich wie ein unaufdringliches Leitmotiv durch eine ganze Reihe von Szenen, selbst durch scheinbar belanglose. Etwa wenn Roman den Gefreiten Sergey zu einer Spitztour einlädt und die Landschaft im Vordergrund rot leuchtet von einem Meer aus Mohnblumen, während dahinter Plattenbauten die Stimmung drücken und Fabrikschlote qualmen. Überhaupt ist Rot die Dominante im ausgeprägten Spiel der Primärfarben. Es steht für beides zugleich, Leidenschaft und Schmerz. Bei einer Silvesterfeier zum Beispiel sitzen beide Emotionen am Tisch, Luisa im knallroten Freudenkleid, Sergey im ebenso leuchtenden Hemd, aber mit gebrochenem Herzen.
Natürlich hat der bekennende Queer-Aktivist Peeter Rebane gemeinsam mit Hauptdarsteller Tom Prior als Ko-Autor das autobiografische Buch von Sergey Fetisov auch deshalb verfilmt, um gegen die aktuell wachsende Schwulenfeindlichkeit in Russland zu protestieren und dem Thema durch eine wahre historische Geschichte Nachdruck zu verleihen. Aber über die politische Dimension hinaus ist der Film eine Liebesgeschichte mit universeller Dimension. Er paart große Gefühle mit einfühlsamen Details, tragische Fallhöhe mit zarter Verspieltheit. Und feiert ganz nebenbei die überlebenswichtige Kraft des Theaters und der Kunst im Allgemeinen. Sergeys großes Vorbild ist ein Bomberpilot, der seinen Dienst quittiert und Schauspieler wird. Der Film folgt ihm darin. Firebird huldigt nicht den bombenschweren Feuervögeln am Himmel, sondern dem gleichnamigen Ballett mit der Musik von Igor Strawinsky.
OT: „Firebird“
Land: Estland, Großbritannien
Jahr: 2021
Regie: Peeter Rebane
Drehbuch: Peeter Rebane, Tom Prior
Vorlage: Sergey Fetisov
Musik: Krzysztof A. Janczak
Kamera: Mait Maekivi
Besetzung: Tom Prior, Oleg Zagordnii, Diana Pozharskaya, Jake Thomas Henderson, Margus Prangel
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