No Place for You in Your Town
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No Place for You in Our Town

Inhalt / Kritik

Die bulgarische Stadt Pernik blickt auf eine lukrative Bergbauvergangenheit zurück. Heute sind die Minen stillgelegt und Nazi-Hooligans des örtlichen Fußballvereins prägen das Bild der Stadt. Einer von ihnen ist der alleinerziehende Tsetso, dessen von Pöbeleien, Militarismus und Hass geprägtes Leben einen abrupten Halt einlegt, als er plötzlich erkrankt und für mehrere Monate ins Krankenhaus muss. Auf einmal sieht er sich mit seiner eigenen Ideologie konfrontiert. Einer Ideologie, die keinen Platz für Schwache und Hilfsbedürftige kennt.

Von der Gesellschaft abgehängt

Regisseur, Autor und Kameramann Nikolay Stefanov stammt selber aus Pernik und zeichnet ein beängstigendes Bild seiner Heimatstadt. Der Film beginnt in medias res und beeindruckt mit schonungslosen Aufnahmen. Direkt zu Beginn erklärt Tsetso, warum er stolz ist, nicht tolerant zu sein und welche Mühe er sich gibt, die ansässigen Rom*nja zu vertreiben. Gefolgt wird das von einem Einblick in die Kurve des Fußballstadions von Minjor Pernik. Dabei hagelt es homophobe und rassistische Hasstiraden gegen Gegnermannschaft und Schiedsrichter. Anschließend folgt eine Siegesfeier in einem Waldstück. Tsetso präsentiert seinen von mit zahlreichen faschistischen und nationalsozialistischen Symbolen tätowierten Oberkörper. Nach mehreren Hitlergrüßen folgt der Vorspann.

Die Kamera ist dabei mittendrin und wirkt fast unsichtbar. Interviews oder Interaktion zwischen Personen und Kamera finden kaum statt. Dazu verwendetet der Film einen sehr pragmatischen Stil, der nichts überinszeniert und eine gewisse Vlogging-Ästhetik aufweist. Akzentuierungen bringt der Schnitt und die immer wieder verwendeten Originalaufnahmen der Kooperation Bulgariens mit dem NS-Regime während des Zweiten Weltkrieges sowie der vereinzelte Einsatz von Musik. Trotzdem ist der Film über weiter Strecken sehr immersiv und nahbar.

Zwar ist es sehr beeindruckend, so nah an Menschen dran zu sein, die nicht versuchen, sich hinter Begriffen wie Nationalromantik verstecken, sondern ihren Hass offen ausleben, diese Faszination ist dem Film aber ebenso anzumerken. Das führt dazu, dass er sich von dieser Faszination zu sehr vereinnahmen lässt und nur wenig Interessantes zum Thema Leben am rechten Rand beisteuern kann. So versucht er gerade in der zweiten Hälfte, die Ursachen für diese Entwicklung in der Stadt zu erforschen, nennt aber gerade mal die offensichtlichen Gründe, ohne weiter auf diese einzugehen.

So wird zwar implizit die Untätigkeit der Regierung, eine wirtschaftlich verfallende Stadt zu unterstützen, kritisiert, mehr als ein „die Menschen wurden im Stich gelassen“ kann No Place For You in Our Town aber auch nicht hinzufügen. Und abseits davon werden auch nur altbekannte Aussagen über Menschen, die soziale Probleme haben und sich in dieser Form der Kameradschaft etwas zu finden versprechen, getroffen.

Im Hass geboren

Ähnliches gilt für ein weiteres großes Thema des Films: die Einbindung der Kinder in die Nazi-Kultur. Diese sind im Fall der Gruppe aus Pernik ebenso bei den Fußballspielen dabei und singen die gleichen hasserfüllten Lieder wie die Erwachsenen. Gerade bei den Älteren ist auch ein Gefallen an den Strukturen der Gruppe zu erkennen. Die unmittelbare Darstellung ermöglicht es partiell, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Wertvermittlung von Stärke, Kameradschaft, etc. für die Kinder abläuft, aber eine besondere Aussage über die Funktionsweise von Indoktrination kann dadurch nicht getroffen werden.

Auch leidet der Film bei diesem Thema unter seiner Struktur. Denn zentral dafür ist die Beziehung zwischen Tsetso und seinem Sohn und Tsetsos Inszenierung nach seiner Erkrankung. Der Film bemüht sich nämlich, Tsetso als liebevollen Vater zu etablieren, der erstaunlich selbstreflektiert ist und seinem Sohn keine Ideologie aufzwingen will. Diese Entwicklung von Tsetso funktioniert aber überhaupt nicht, da die wichtigen Momente immer wieder von Momenten im Stadion unterbrochen werden, die das genaue Gegenteil vermitteln. Außerdem wird dieser Ablauf im Film ziemlich schnell repetitiv.

Extremismus im Fußball

Interessanter ist der Aspekt der Ultra- und Fankultur. Der Film zeigt eindeutig, dass das Unterstützen Minjor Perniks ein Spielort für eine von Hass und Gewalt zerfressene Weltsicht ist. Auch Tsetso erzählt, das Stadion sei ein Ort, an dem für Anstand kein Platz sei. Für die Ultras Minjor Perniks geht es darum, zu kämpfen und zu siegen, auf dem Platz und auf den Rängen.

No Place For You in Our Town zeigt dabei eindrucksvoll ein Extremum dieser Kultur und was passiert, wenn etablierter Militarismus, Nationalismus und Faschismus ein Ventil finden. Insbesondere hervorzuheben ist, wie sehr sich die sonstigen Lebensstrukturen in die Ultra-Kultur einbetten. Ein Gefühl der Einheit aufgrund regionaler und kultureller Zugehörigkeit und ein durch Wettbewerb zu erreichendes Besiegen eines Feindbildes sind Dinge, die sich im Sport genauso wiederfinden wie in den genannten Ismen.

Grundsätzlich ist die Diskussion über Ultras im Sport ist eine schwierige, da die Pandemie gezeigt hat, wie sehr leere Stadien einem Sport schaden können. Und natürlich ist die Situation bei Minjor Pernik nicht im Ansatz repräsentativ. Trotzdem ist das Verständnis vom Stadion als Sonderzone weit etabliert und dadurch muss auch die Frage erlaubt sein, inwiefern das fanatische Unterstützen eines Vereins Werte etabliert und in unserer Gesellschaft hält, die voll und ganz abzulehnen sind.

Credits

OT: „No Place For You in Our Town“
Land: Bulgarien
Jahr: 2022
Regie: Nikolay Stefanov
Drehbuch: Nikolay Stefanov, Mariana Sabeva, Ralitsa Golemanova
Kamera: Nikolay Stefanov

Bilder

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No Place for You in Our Town
Fazit
„No Place For You in Our Town“ kann durch seine unmittelbare Inszenierung partiell sehr beeindrucken. Dennoch zehrt er zulange von seiner Faszination für sein Thema, weswegen es ihm misslingt, wirklich neue Punkte beizutragen. Zusätzlich kontraproduktiv ist dabei die Strukturierung des Films.
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