Mit der Welt hat Kengo (Kento Hayashi) schon seit seiner frühen Kindheit so gut wie keinen Kontakt mehr, bevorzugt er doch in erster Linie den über Distanz oder per Internet. Er leidet nämlich an Mysophobie, der Angst vor Keimen und Bakterien, weshalb er nach jedem der nur wenigen Gänge nach Tokio hinein zunächst einmal einige Zeit damit verbringt, alles und vor allem sich selbst gründlich zu desinfizieren und zu reinigen. Dabei erhofft er sich einen Ausweg aus seinem Außenseiterdasein: Mittels eines von ihm programmierten Computervirus soll der Rest der Menschheit auch so werden wie er. Doch dann taucht eines Tages ein fremder Mann bei ihm auf, der ihm eröffnet, er werde ihn und seinen Plan der Polizei melden, sofern er ihm nicht einen Gefallen tun sollte. Für einige Zeit soll er sich gegen eine nicht geringe Bezahlung um eine Person kümmern und einfach mit dieser Zeit verbringen. Zwar fürchtet sich Kengo vor dem Kontakt mit dieser neuen Person, doch andererseits kann er das Geld durchaus gut brauchen, sodass er schließlich zusagt.
Als Kengo am nächsten Tag am vereinbarten Treffpunkt ankommt, erwartet ihn dort eben nicht ein Kind, wie er vermutet hatte, sondern Hijiri (Nana Komatsu), die ihn sogleich um ihren Anteil an der Bezahlung bittet und ihm auch darüber hinaus einiges Kopfzerbrechen berietet. Die junge Frau leidet an Scopophobie, der Angst gesehen zu werden und stellt sich bei den Augen ihrer Mitmenschen immer vor, diese würden sich in Monster verwandeln. Was zuerst wie eine Zweckgemeinschaft wirkt und für beide eine große Herausforderung darstellt, wird bald zu einer ungemein wichtigen Beziehung, den in dem jeweils anderen sehen sie jemanden, der sie versteht. Ihre Begegnung hat jedoch noch eine ganz andere Bedeutung, die für einen von ihnen überlebenswichtig ist.
Liebe und Angst
Die japanische Gesellschaft ist traditionell eine, die sich schwer damit tut, neue oder fremde Einflüsse anzunehmen, was man schon alleine an der Akzeptanz und Situation von Minderheiten oder Einwanderern merkt. In Sugaru Miakis Mystery-Manga Parasite in Love sah Filmemacher Kensaku Kakimoto deshalb nicht nur eine sehr eigenwillige Liebesgeschichte, sondern vielmehr ein Porträt der Gesellschaft seines Heimatlandes, in der die Meinung der Mehrheit, wie er in Interviews sagt, mehr zähle als die der Andersdenkenden. Parasite in Love, der auf der diesjährigen Nippon Connection seine Europapremiere feiert, ist deswegen ein Hybrid zwischen Liebesdrama und einer Geschichte über soziale Ängste, und wie sich zwei Menschen ihre eigene Gesellschaft basteln, in der sie akzeptiert werden.
Generell ist es immer eine Herausforderung, so ein komplexes Thema wie Sozialphobien oder überhaupt Angst in einer Geschichte glaubhaft zu beschreiben, erst recht in einem visuellen Medium wie Film. Im Falle von Parasite in Love funktioniert dies über eine Kombination zwischen den Darstellungen Kento Hayashis und Nana Komtasu sowie den visuellen Effekten des Filmes, welche beispielsweise die Vorstellungen der beiden Figuren und wie sie die Welt sehen beschreiben. Wenn sich Hijiri das erste Mal auf dem Krankenhausbett Kengo ausbreitet, sieht man mit dem jungen Mann, wie sich gleich ein ganzer Schwarm von Viren und Bakterien über Kopfkissen, Decke und Matratze ausbreiten, sodass man den Ekel und die Angst gut nachempfinden kann als Zuschauer. Ebenso wird man in die Weltsicht Hijiris eingeführt, die, ihrer geliebten Kopfhörer beraubt, auf einmal jene unheimlichen Transformationen ihrer Mitmenschen wahrnimmt, die nun wie Ungeheuer aus einem Horrorfilm aussehen. Die Angst, aber auch die Erschöpfung, immer wieder diese Qualen durchzuleben oder diese Bilder zu sehen, spielen die beiden jungen Darsteller sehr glaubhaft, mit einem besonderen Gespür für jenen Zwischenraum von Drama und Komödie, den der Regisseur anpeilt.
Eine Vision vom Untergang der Welt
Über die Vermischung dieser beiden Aspekte seiner Geschichte nimmt man auch eine andere Sicht auf Welt dar, nämlich die der Anderen, oder vielmehr jener, die sich einer sozialen Integration aufgrund ihrer Phobien widersetzen. Dabei gibt es durchaus divergierende Gefühle, denen das Drehbuch Yukiko Yamamuras nachgeht, nämlich zum einen die der Ablehnung und die des Wunsches nach einer Form der Annahme. Die Weltuntergangsvisionen, die Kengo sich immer wieder ausmalt, wenn er von einem seiner wenigen Gänge in die Stadt heimkehrt, sind definiert von einer tiefen Abneigung gegen diese Welt, doch zugleich einem Wunsch, wieder zu ihr zu gehören, auch wenn dies konsequent heißt, dass alle anderen so werden müssen wie er, was zweifelsohne seinen Status als Außenseiter aufheben wird. Fast möchte man meinen, jene Bilder seien, trotz ihres erschreckenden Inhalts, irgendwie geprägt von einem Gedanken, der in seinem Kern eher romantisch ist.
Zwar hält sich die Laufzeit im Kontext anderer Werke seiner Heimat noch im Rahmen und erlaubt sich auch ebenso wenig jene Tendenz des Auswälzens eines Themas oder eine Geschichte, doch die ein oder andere Plotwendung hätten sich Regie und Drehbuch durchaus sparen können, und im Gegensatz die Liebesgeschichte der beiden Hauptfiguren etwas betonen können.
OT: „Koi suru kiseichu“
Land: Japan
Jahr: 2021
Regie: Kensaku Kakimoto
Drehbuch: Yukiko Yamamuro
Vorlage: Sugaru Miaki
Musik: Katsuya Yamada
Kamera: Kateb Habib
Besetzung: Kento Hayashi, Nana Komatsu, Arata Iura, Ryo Ishibashi
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