Pornfluencer
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Pornfluencer

„Pornfluencer“ // Deutschland-Start: 14. Juli 2022 (Kino) // 9. September 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Mit dem Prozess der Digitalisierung begann nicht nur die zunehmende Technisierung des Alltags sowie die Wahrwerdung der Idee des gläsernen Menschen, der seine Daten bereitwillig einem großen Unternehmen zur Verfügung stellt. Es folgte auch ein Paradigmenwechsel in puncto Berufs- und Arbeitswelt. Viele junge Menschen heutzutage bekommen durch YouTube, Instagram oder TikTok durch Influencer ein neues Berufsbild vorgelebt, was einen Kontrast zu der Arbeitswelt ihrer Eltern darstellt und zudem die Vorstellungen eines Lebens, in dem man sich die Träume von Kommerz und Reichtum erfüllen kann, greifbar macht. Was ehemals unter Konzepten wie dem „american dream“ vage klang, erscheint nun sehr konkret und gar nicht mehr so weit entfernt und, viel wichtiger noch, für jeden Menschen erfüllbar.

Wenn man jedoch hinter die Welt der Influencer schaut, wird schnell deutlich, warum beispielsweise Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt in ihrem Werk Influencer – Die Ideologie der Werbekörper diese als „antiaufklärerisch“ und als echte Gefahr für die Demokratie verstehen. Die fröhlichen, mal mehr, mal weniger professionell gemachten Videos predigen gebetsmühlenartig eine Ideologie, die sich auf weit mehr beruft als auf reinen Kommerz, denn darüber hinaus werden Rollenbilder sowie ein Bild des Körpers vermittelt, das auf Selbstoptimierung und Leistung beruht, ohne dass dies je hinterfragt wird. Eine Medienerziehung, die ihre Aufgabe ernst nimmt, muss sich diesen Persönlichkeiten und ihren Produkten stellen, wenn es darum gehen soll, die eigentliche Botschaft offenzulegen und zu hinterfragen.

Während jedoch die meisten Influencer sehr öffentlich auf den bereits genannten Plattformen agieren, gibt es noch jene, die auf YouPorn, Pornhub oder MyDirtyHobby agieren, um nur einige Beispiele zu nennen. War die Pornoindustrie noch bis vor ein paar Jahren ein Metier, in dem es noch ein festes Studiosystem gab, haben sich auch hier die bewährten Strukturen im Kontext der Digitalisierung gewandelt. Professionalität ist einem Ruf nach Authentizität gewichen, den immer mehr Amateurdarsteller und -regisseuren bedienen, was man an dem breiten Angebot in diesem Bereich auf den erwähnten Kanälen sehen kann. In seinem Dokumentarfilm Pornfluencer, der auf dem DOKfest München 2022 seine Weltpremiere feiert, erzählt Regisseur Jonscha Bongard anhand eines Beispiels von jenen Influencern, die sich in der Pornoindustrie sowie auf den genannten Seiten eine Nische geschaffen haben. Ursprünglich, wie es in den ersten Minuten des Filmes heißt, sollte dabei ein „sex-positiver“ und „einfühlsamer“ Film entstehen. Doch das Resultat bestätigt nicht nur die Thesen Nymoens und Schmitts, sondern hinterlässt den Zuschauer mit einem Gefühl der Ratlosigkeit und der Wut und darüber hinaus mit einem Einblick in die „schöne neue Welt“ der Pornografie, die sich keinesfalls von ihren alten Strukturen verabschiedet hat, ist sie doch dabei diese noch aggressiver auszuleben.

Sex, Lügen und Videos

Jeden Morgen stehen Nico und Andrea, die besser bekannt ist unter ihrem Künstlernamen Jamie Young, vor dem Spiegel und lesen sich eine ganze Reihe von motivierenden Statements wie „Ich bin der schönste Mann auf der Welt“, „Ich bin erfolgreich“ oder „Ich liebe Kritik“ vor, bevor es dann zum Training im Fitnesskeller des Hauses auf Zypern geht und letztlich zu dem Arbeitspensum, welches meist aus mindestens einem Post bei TikTok oder einer anderen Plattform sowie dem Dreh eines Pornovideos besteht. Für seine Dokumentation durften Bongard und sein Team die beiden nicht nur für einige Zeit bei ihrem Alltag begleiten, denn darüber hinaus geben die beiden bereitwillig Einblicke in ihre Pläne für die Zukunft, ihr Selbstverständnis als Akteure und Erzeuger von Pornografie sowie ihre Arbeit an sich. Die Ästhetik von Pornfluencer scheint dabei das Verhalten eines Users im Internet zu imitieren, der sich auf eine Videoplattform anmeldet, in einem Video hin und herscrollt und schließlich zwischen Videos wechselt – als eines Menschen, der sich eben jene Videos ansieht, die Nico und Andrea fast täglich herstellen. Neben den Gesprächen mit ihnen wechselt Bongard zu Interviews mit Experten sowie anderen Beispielen, wenn es unter anderem um das Thema „Pick-Up Artists“ geht.

Bereits nach wenigen Minuten ist von dem Vorsatz des Regisseurs, auch wenn er und sein Team durchaus versuchen, diesem treu zu bleiben, nicht mehr viel da. Die Kamera sucht die Distanz zu den beiden Akteuren, wie auch die Interviewfragen nicht werten, sodass dem Zuschauer ein Raum gegeben wird, diese Welt sowie diese Menschen zu sehen. Schnell ist man gewillt, gewisse Äußerungen und Szenen zu verurteilen, doch bleibt ratlos zurück, fragt man sich doch mehr und mehr, ob es Niko und Andrea an einem Problembewusstsein mangelt, ob es Naivität ist, wenn bestimmte Rollenbilder affirmiert werden oder ob es sich um eine kühle Abgeklärtheit handelt, bei der weniger der Körper im Vordergrund steht, sondern mehr der Profit. Schließlich verweist der Finger, den man auf die Protagonisten zeigt, aber auch zurück, denn schließlich muss es ein Publikum geben, wie Nico zu verstehen gibt, dass ein „hübsches Teenie-Mädchen“ haben will und damit jenes Geschäftsmodell bedient, mit dem sie sich jenes Ziel erfüllen wollen, nämlich Millionär zu werden.

Credits

OT: „Pornfluencer“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Jonscha Bongard
Drehbuch: Jonscha Bongard, Wolfgang Purkhauser
Musik: Jonas Vogler
Kamera: Jakob Sinsel

Bilder

Trailer

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Pornfluencer
Fazit
„Pornfluencer“ ist ein bedrückender und aufrüttelnder Dokumentarfilm über Influencer in der Pornoindustrie. Regisseur Jonscha Bongard mag die Intention seines Filmes nicht unbedingt erfüllt haben, doch gelingt ihm ein Beitrag zu einer Diskussion, die dringend geführt werden muss und die Gefahr von Influencern erkennt und ernst nimmt.
Leserwertung32 Bewertungen
4.4