Während wir in Deutschland in einer Demokratie leben, auch wenn dies einige Querdenker nicht wahrhaben wollen, hilft ein Blick in andere Länder und Kulturen, um den Wert dessen zu schätzen, was das Fundament unseres Zusammenlebens bildet. Eine freie Presse, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind diese Konzepte, für die viele Menschen gekämpft und teilweise auch gestorben sind, und es gibt noch viele Kulturen, wo genau dies nach wie vor der Fall ist. In der Türkei oder aktuell in Russland werden systemkritische Stimmen, egal, ob aus der Kunst oder den Medien, geahndet und verhaftet, während sich jene systemkonformen Vertreter in der Sonne einer Ideologie der Oppression und der Gewalt wiederfinden und nicht selten in dieser Karriere machen.
Wie sehr ein Volk und nicht zuletzt die Kunst nach Freiheit verlangt, sieht man in jenen Momenten, in denen der Schleier der Überwachung und Zensur fällt, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Man denke nur an den Prager Frühling oder an die zahlreichen Protestbewegungen im Zuge des Arabischen Frühlings, die zwar schnell einen anderes, meist noch schlimmeres System nach sich zogen oder gegen sich aufbrachten, doch für eine kurze Zeit Menschen das Gefühl einer echten Freiheit zu geben und damit eine Hoffnung. Die Kunst dieser Zeit trägt das Gefühl dieses Moments und erinnert an dieses, selbst wenn dieser schon lange herum ist und man sich in einem neuen Zyklus aus Unterdrückung, Zensur und Überwachung wiederfindet.
Die Volksrepublik China ist aus heutiger Sicht fast so etwas wie eine Blackbox, denn zwischen dem äußeren Schein und der Realität klaffen Welten, wie man an Ereignissen wie den Olympischen Spielen sehen kann. Systemkritik wird nach wie vor geahndet, wie schon zu Zeiten Mao Zedongs, was die Verfolgung von Künstlern wie Ai Weiwei erkennen kann, dessen Leben zeitweise gar in ernster Gefahr war. In ihrer Dokumentation You Are The Days to Come, die auf dem diesjährigen DOK.fest München ihre Deutschlandpremiere feiert, erzählt die Regisseurin und Fotografin Ronja Yu von einem dieser Momente in der Geschichte Chinas, in der es nicht nur für einen kurzen Moment so etwas wie Freiheit gab, sondern auch die Geburtsstunde einer Kunstbewegung stattfand, die unter dem Sammelbegriff „Die Sterne“ von sich reden machte, aber im Westen leider oftmals unbekannt ist. In You Are The Days to Come verfolgt die Regisseurin die Geschichte der Gruppe mittels Gesprächen der noch lebenden Mitglieder sowie einer ganzen Reihe von Archivmaterial, welches das Gefühl jener Zeit einfangen soll, die bereits 1989, in dem Jahr, als Yu China verließ und nach Schweden auswanderte, vorbei war.
Tanzverbote und unerwünschte Kunst
Oftmals sind es lediglich die Kleinigkeiten oder die kleinen Freuden, die in den Augen einer Diktatur eine Gefahr darstellen, wozu auch das Tanzen gehört. Mit dem Tode Zedongs begann für das System eine Periode des Umdenkens und der Reorganisation, während besonders die jungen Menschen eben jene Dinge für sich entdeckten, die man ihnen bislang vorenthalten hatte, wozu schließlich auch die Musik gehörte. Yu zeigt Bilder von Menschen, die tanzen, begleitet von der lebhaften Erzählerstimme Wang Keping, eines Bildhauers, der sich an diese Zeiten erinnert, in denen der Besitz eines Kasssettenrekorder ein unschätzbarer Wert war und man ihn vor der Polizei verstecken wollte. Die Erzählung des Bildhauers ist nur eine von vielen Anekdoten, die Yu in ihrer Dokumentation integriert, und welche ahnen lassen, welches Gefühl der Freiheit damals durch ihre Heimat ging, doch ebenso ahnt, dass dies wohl nicht lange anhalten kann. Auch die Erzählungen der anderen vier „Protagonisten“ von You Are The Days to Come ähneln sich in ihrem Grundton.
Anhand ihrer Gesprächspartner, allesamt sehr charismatisch und einnehmend in ihrem Erzählstil, wird beschrieben, wie die Gruppe sich bildete, wie sie immer wieder mit dem System in Konflikt geriet und immer wieder nach kreativen Wegen suchte, um Verbote oder Zensur zu umgehen. Yu zeigt damit ein anderes China, eines, welches nach Selbstbestimmung strebt und sich entdecken will, ohne dabei von einer „Landkarte, einer Orientierung oder eines Anführers“ abhängig zu sein, wie es die Malerin Li Shuang an einer Stelle auf den Punkt bringt.
OT: „You Are The Days to Come“
Land: Schweden
Jahr: 2021
Regie: Ronja Yu
Drehbuch: Ronja Yu
Musik: Hans Appelqvist
Kamera: Weimin Zhang
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