Vor vielen Jahren war Anna (Sophie Rois) eine bekannte Bühnen- und Filmschauspielerin. Aber seit einiger Zeit hat sie sich gänzlich aus dem Geschäft zurückgezogen. Von ihrer Agentur bekommt sie dann einen ungewöhnlichen Auftrag vermittelt: Sie soll dem jungen Schauspieler Adrian (Milan Herms) Sprechunterricht geben, denn dieser soll bei einer demnächst anlaufenden Theaterproduktion eine der Hauptrollen spielen und es fehlt ihm noch an der entsprechenden Bühnenpräsenz. Bereits im Vorfeld wurde Anna auf die problematische Vergangenheit ihres baldigen Schülers vorbereitet, denn Adrian ist Waisenkind und in seiner Schule gibt es laufend Konflikte mit ihm. Auch die ersten Stunden mit ihm sind alles andere als einfach, auch weil sich Anna erst in der für sie neuen Rolle als Lehrerin wiederfinden muss. Während sie anhand der Vokale sicheres und deutliches Sprechen mit dem jungen Mann übt, macht dieser nicht nur schnell Fortschritte, sondern es kommt auch über den Unterricht hinaus zu Treffen zwischen den beiden.
Während sich Anna ihrer Gefühle zunächst sträubt, ist doch bald auch für sie nicht mehr zu verheimlichen, dass sie mehr als nur Freundschaft für Adrian empfindet. Zudem macht ihr die Altersdifferenz zwischen ihnen beiden sehr zu schaffen, was den jungen Mann jedoch nicht zu stören scheint, der weiterhin hartnäckig bleibt und Anna seine tiefen Gefühle für sie gesteht. Schließlich machen die beiden sich auf zu einer gemeinsamen Reise, in der sie nicht nur ihrer Liebe freien Lauf lassen, sondern Anna zudem Gewissheit darüber haben will, ob sie auch als Paar zusammenpassen.
Eine unmögliche Liebesgeschichte
Ihre insgesamt vierte Arbeit als Regisseurin sieht Nicolette Krebitz, wie sie in Interviews betont, als eine Art Fortführung der Themen ihres letzten Filmes Wild, der ebenfalls eine unmögliche Liebesgeschichte beschreibt, die sich jenseits gesellschaftlicher Normen bewegt. A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe, der bei der Berlinale 2022 seine Premiere feierte, behandelt dabei, wie die Filmemacherin erklärt, weniger ein Beziehungs- und dafür mehr ein Geschlechterbild, welches bestimmt, mit wem man zusammen sein darf und welches nach wie vor einen großen Einfluss auf unser Leben hat, wie auch die Geschichten, die wir im Fernsehen oder im Kino sehen.
Darüber hinaus ist A E I O U, wie schon Wild oder Das Herz ist ein dunkler Wald, vor allem großes Schauspielkino, welches neben Sophie Rois und dem Newcomer Milan Herms zudem Udo Kier in einer Nebenrolle als Annas Freund und Vermieter zeigt. Da die Geschichte zudem, zumindest in der ersten Hälfte, in der Theater- und Filmwelt spielt, ergeben sich hier interessante Verweise, vor allem auf gewisse Rollenbilder, die sich in den Figuren widerspiegeln und Parallelen zu aktuellen Diskussionen wie #MeToo zulassen. Dabei ist A E I O U jedoch weit mehr als programmatisches Kino, sondern zeigt, dass Menschen wie Anna oder Adrian zutiefst unzufrieden mit ihren Rollen, denen auf der Bühne und denen im realen Leben, sind, doch teils nicht mehr die Kraft oder die Lust haben, gegen diese anzukämpfen. Sowohl Rois wie auch Herms spielen dabei Figuren, die sich in einem Zwiespalt wiederfinden, ob sie dieser neuen, unkonventionellen Liebe nachgeben wollen oder nicht. Das Zusammenspiel der Darsteller, insbesondere in den zärtlich-leidenschaftlichen Liebesszenen, fällt hier positiv auf, sodass es wie eine Befreiung für die Charaktere wie auch die Zuschauer wirkt, wenn die beiden sich zum ersten Mal küssen.
Die Sprache einer Liebe
Mag man auch den etwas holprigen Titel monieren, ist der Verweis auf das Thema Sprache in der Tat angebracht. Neben der offensichtlichen Anspielung auf den Sprechunterricht, den Anna Adrian für seine Rolle am Theater erteilt, geht das Konzept noch sehr viel weiter, müssen doch alle Figuren scheinbar eine neue Sprache finden, um sich wieder einen Zugang zu der Welt, oder eben einer neuen Beziehung zu schaffen. Krebitz’ Drehbuch definiert Sprache nicht bloß als einen Zugang zur Welt, sondern ebenso als einen Eintritt in etwas Neues, etwas Ungewohntes, besonders auffällig in der Art, wie der Sprechunterricht Adrian verändert und ihm sogar den Mut gibt, sich von der ihm zugeteilten gesellschaftlichen Rolle als Problemjugendlicher zu emanzipieren. Ebenso bietet sie Anna die Möglichkeit oder vielmehr die Plattform für eine tiefe, emotionale Veränderung.
Vor dem Hintergrund, dass bereits Paul Thomas Anderson in Licorice Pizza eine ähnliche Liebesgeschichte, mit ähnlichen Themen behandelte, wirkt Krebitz’ Film von seiner Bildsprache her wesentlich reduzierter, näher am Theater oder an den Arbeiten von Regisseuren wie Oskar Röhler (Der alte Affe Angst). Wie schon in Wild lässt sie ihrem Zuschauer mehr Interpretationsspielraum, bietet sich doch nicht immer eine einfache Interpretation an und die Figuren bleiben dafür unvorhersehbar. A E I O U bleibt dadurch spannend für den Zuschauer und im Vergleich zu Wild, wie Krebitz selbst sagt, weniger düster.
OT: „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Nicolette Krebitz
Drehbuch: Nicolette Krebitz
Musik: Martin Hossbach
Kamera: Reinhold Vorschneider
Besetzung: Sophie Rois, Milan Herms, Udo Kier, Nicolas Bridet
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)