Während seiner Karriere hat der französische Regisseur, Autor und Fotograf Chris Marker eine Vielzahl von Projekten gedreht, doch wahrscheinlich ist neben seinem Filmessay Sans Soleil (1983) besonders sein Kurzfilm Am Rande des Rollfelds oder La Jetée vielen Filmfans ein Begriff, nicht zuletzt, weil dieser als Inspiration für Terry Gilliams 12 Monkeys diente. Doch bereits bevor die erste Klappe zu seinem gefeierten Kurzfilm fiel, hatte sich Marker einen Namen gemacht als Kritiker sowie als Kollaborateur von einigen sehr bekannten Filmemachern wie Alain Resnais oder Walerian Borowczyk. Obwohl sein Ruf unter Kollegen wie auch Kritikern unbestritten ist, war es lange Zeit eine wahre Herausforderung selbst die bekannten Werke Markers überhaupt zu sehen oder gar als DVD oder Blu-ray zu besetzen, was sich gottseidank in den letzten Jahren geändert hat.
Auch Interviews zu seinem Werk sind eine Seltenheit, was dessen Ruf und Status innerhalb seiner vielen Bewunderer nur betonte. In einem solchen, anlässlich der Veröffentlichung von Sans soleil und La Jetée in seiner Heimat Frankreich, beschreibt er deren Rolle als Produkte ihrer Zeit und ihrer Geschichte, was Themen sind, die in den Geschichten der beiden Filmen eine gewichtige Rolle spielen, wie auch in vielen anderen Projekten dieses Regisseurs, dem wohl in der Filmgeschichte die Bedeutung zukommt als erster Filmemacher den filmischen Essay vielleicht nicht begründet, aber entscheidend geprägt zu haben.
Im Zentrum der Handlung steht ein Mann (Davos Hanich), der nach dem Ende des Dritten Weltkrieges ein wichtiges Textobjekt für ein geheimes Experiment wird, welches zum Ziel hat, die Auslöschung der Menschheit zu verhindern. Über Jahre hinweg haben die Wissenschaftler, versteckt in unterirdischen Bunkern, Technologien erforscht, die das Zeitreisen möglich machen, mit einigen interessanten Erkenntnissen, aber auch vielen menschlichen Verlusten, denn nicht alle Probanden können dem körperlichen wie mentalen Druck standhalten, den die Prozedur von einem Menschen erfoltert. Als der Mann an der Reihe ist, ergeben sich einige sehr vielversprechende Ergebnisse und er scheint der Herausforderung gewachsen zu sein, wobei sein Geheimnis eine Erinnerung, oder vielmehr das Bild einer Frau (Hélène Châtelain) ist, die er als Kind auf dem Flughafen Orly gesehen haben will.
Aufgrund seiner Eignung für ihre Experimente werden mehrere Versuche durchgeführt, in denen der Mann in die Zeit vor dem Krieg zurückreist und letztlich jene Frau findet, die er in seiner Erinnerung sieht, und mit der er bald eine romantische Beziehung eingeht. Schließlich gelingt ihm gar das unverhoffte Ziel, einen Schlüssel zu finden, welcher eine Veränderung der Zeit und damit ein Abwenden des Krieges bedeuten könnte, was jedoch gleichzeitig heißt, dass er nicht mehr länger von Nutzen für die Wissenschaftler ist.
Das Museum der Erinnerung
Nicht nur narrativ, sondern auch formal ist La Jetée ein filmischer Sonderfall, wenn man ihn so nennen will. Die Geschichte wird in einer Abfolge von Standbildern erzählt, sowie einem Erzähler, der die einzelnen Bilder kommentiert sowie eine Verbindung zwischen diesen herstellt. Ähnlich der Obsession des Protagonisten mit jenem Bild aus seiner Kindheit, wird auch die Fixierung auf die einzelnen Bilder zu jenem „Museum der Erinnerung“, welches die beiden Figuren betreten. Nicht nur die Besonderheiten der einzelnen Momente werden so deutlich, auch die Bereitschaft des Zuschauers, jene Lücken oder Verbindungen auszufüllen, welche sich zwischen den einzelnen Aufnahmen ergeben, ebenso wie die Emotionen der Figuren. Zugleich jedoch erscheint jene Erinnerung in einem Prozess der Auflösung, ähnlich wie die Menschheit der fiktiven Zukunft von La Jetée, begriffen zu sein und die Reise in die Vergangenheit eine Möglichkeit, eben jene Lücken wieder aufzufüllen.
Wie dem auch sei, schafft Marker mit La Jetée mehr als nur einen außergewöhnlichen Science-Fiction-Film, sondern zugleich eine Meditation über Zeit und Erinnerung, über die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Filmemacher beschrieb einmal, dass ihn an der menschlichen Geschichte in erster Linie interessiere, welchen Einfluss sie auf die Gegenwart habe, was nicht nur für La Jetée, sondern ebenso für das restliche künstlerische Schaffen des Regisseurs sinnbildlich ist. Die Bilder jener Vergangenheit sind Verheißung und Manipulation, Ausweg und Falle, je nach dem, wie man den Film interpretiert. In gleichem Maße stellt sich die Frage, inwiefern man jene Zukunft in den Händen hält und welche Rolle ein Aspekt wie der freie Wille eigentlich hat. Diese Themen oder vielmehr Fragenkomplexe innerhalb einer Zeitspanne von noch nicht einmal einer halben Stunde unterzubringen, ist die Kunst von La Jetée und die Antwort darauf, warum gerade dieser Film bis heute eine Faszination versprüht, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann.
OT: „La Jetée“
Land: Frankreich
Jahr: 1962
Regie: Chris Marker
Drehbuch: Chris Marker
Musik: Trevor Duncan
Kamera: Chris Marker, Jean Chiabaut
Besetzung: Hélène Châtelain, Davos Hanich, Jacques Ledoux
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)