In seinen Filmen befasst sich Bruno Dumont immer wieder mit kulturellen Institutionen und der Gesellschaft, um diese dann genüsslich zu demontieren. Da ist sein neuester Film France (Kinostart: 9. Juni 2022) keine Ausnahme: In der Mediensatire erzählt er von einer umschwärmten TV-Journalisten, die von Léa Seydoux gespielt wird und nach einem Unfall in eine Sinnkrise gerät. Wir haben uns während der Französischen Filmwoche Berlin mit dem Regisseur und Drehbuchautor über den Film, die Fiktion der Wahrheit und die alltägliche Selbstinszenierung unterhalten.
Könnten Sie uns ein wenig über den Hintergrund von France erzählen? Wie sind Sie auf die Idee hierfür gekommen?
Das Projekt ging eigentlich von Léa Seydoux aus, die mit mir zusammenarbeiten wollte. Als wir uns getroffen haben, fand ich sie ganz anders, als ich sie von ihren Filmen her erwartet hätte: Sie war lustig und einfach und doch auch kultiviert. Sie ist jemand, der sehr von Kontrasten lebt, was dann auch die Grundlage ihrer Figur wurde. Die Rolle der France habe ich ihr auf den Leib geschrieben, war also eine Maßanfertigung. Da mich das Milieu Medien interessiert, habe ich einen Kinostar genommen und einen Fernsehstar spielen lassen.
Was hat Sie denn so an dem Milieu Medien interessiert?
Die Welt der Nachrichten bedient sich der Mittel des Kinos und ist dessen Welt sehr ähnlich. Allgemein wirst du viele Gemeinsamkeiten entdecken. Selbst unsere Monitore, über die wir uns miteinander unterhalten, haben etwas von einem Kino. Oder besser: Es hat etwas von Fiktion. Es ist nichts Reelles, weil es sich außerhalb der reellen Welt hier abspielt. Wenn du in einem Kino sitzt, dann weiß du, dass es sich um Fiktion handelt. Bei Fernsehbildern denkst du hingegen, dass sie eine objektive Wahrheit darstellen. Und das ist ein Problem. Das Spannende an unserer Geschichte fand ich, dass du eine Frau hast, die zu einem Star wurde und die an der Spitze dieser Medienwelt wird und die sich eines Tages plötzlich ihrer Situation bewusst wird. Wir entdecken mit ihr zusammen diese entfremdete Welt.
Ist es überhaupt möglich, einen rein objektiven Journalismus zu betreiben, der auf die Wirklichkeit bezogen ist?
Es ist durchaus möglich, weil es eine Kunst wie das Kino darstellt. In der gleichen Art, wie man gute Filme macht, kann man auch gute Reportagen machen. Die Frage nach einer Wirklichkeit ist dem Journalismus nicht fremd. Die einzige Art und Weise, die Realität abzubilden, ist aber durch die Fiktion. In dem Moment, in dem du keine Plansequenz zeigst, sondern anfängst, den Film zu schneiden, bist du in der Fiktion, weil du das Reale veränderst und dich selbst einbringst. Der Journalismus zeigt dadurch meistens nur Ausschnitte der Welt.
Was wäre denn die Aufgabe des Journalismus?
Die Aufgabe wäre es, die Ereignisse und die Wahrheit der Ereignisse zu erzählen. Das ist eine ehrenhafte Aufgabe so wie der Beruf des Journalisten ein ehrenhafter ist. Doch diese Aufgabe wird durch das Bedürfnis nach der Quote behindert. Solange dieser Druck da ist, eine möglichst hohe Quote zu erlangen, wird der Journalismus dieses Problem haben.
Will das Publikum überhaupt diese Wahrheit? Momentan hat man das Gefühl, dass verschiedene Welten existieren, die auf ihrer eigenen Wahrheit bestehen.
Vermutlich nicht. Ich glaube, das Publikum will und braucht diese Fiktion. Und diese Fiktion findet sie in einer Informationsgesellschaft, die zu einer der Unterhaltungswelt geworden ist. Das bedeutet nicht, dass diese Fiktion etwas Falsches ist. Sie transformiert die Wirklichkeit anhand der Bedürfnisse des Publikums. Darunter leidet auch das Kino als Austragungsort. Das Publikum bekommt seine Geschichten nun zu Hause, ob es jetzt Serien oder die Nachrichten sind, und braucht deshalb diese alte Unterhaltungsform nicht mehr. Wir sehen da eine Veränderung und Verlagerung von dem einen zum anderen, was durch die Pandemie noch einmal verstärkt wurde.
Lässt sich diese Veränderung noch aufhalten?
Nein. Wozu auch? Sie ist ganz wunderbar. Es wird auch weiterhin Filme geben, gute wie schlechte. Daran ändert sich nichts. Es wird auch weiterhin Bildkunst geben, nur dass diese eben anders konsumiert wird. Das ist per se nichts Schlechtes, sondern lediglich eine digitale Evolution dessen, wie es früher gewesen ist.
Warum haben Sie France dann als Kinofilm gedreht und nicht für einen der Streaminganbieter?
Ich werde so lange Kinofilme drehen, so lange es noch Kinosäle gibt. Wenn es diese irgendwann nicht mehr gibt, dann werde ich mich anpassen.
Wird dieser Wandel auch die Filme an sich verändern oder ändert sich nur das Drumherum, wie wir diese Filme sehen?
Filme sind etwas Altes und Bewährtes. Aber natürlich werden sie sich in Folge dieser veränderten Rahmenbedingung weiterentwickeln. Serien haben viele Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich Geschichten heute erzählen lassen, wenn sie verlängern oder verlangsamen. Figuren können dadurch mehr Charaktereigenschaften bekommen, die sich auch entwickeln dürfen und dafür den notwendigen Raum erhalten. Und doch kommen all diese Serien ursprünglich aus dem Kino und basieren auf den Filmen von früher. Es werden auch immer mehr Filmemacher in diese Serienproduktionen hineingezogen, die ihre eigene Ästhetik mitbringen und dadurch die Serienlandschaft beeinflussen werden. Gleichzeitig müssen sie sich an die veränderten Sehgewohnheiten anpassen.
Was wird am Ende ausschlaggebend sein für diese neuen Filme und Serien? Werden sie noch von den Filmemachern bestimmt oder den Sehgewohnheiten?
Das wird mal so mal so sein. Es wird immer Regisseure geben, die vor allem dem Publikum gefallen wollen und sich ganz nach diesem ausrichten. Andere wiederum schaffen Werke, die auch wirklich noch die Bezeichnung Werk verdienen und Künstler sind. Es wird auch weiterhin den Unterschied geben zwischen den großen kommerziellen Produktionen und den kleineren, die mehr eine künstlerische Vision verfolgen. Deswegen sehe ich keinen Grund zum Anlass, sich über die Kunst Sorgen zu machen.
Könnten Sie uns Beispiele solcher würdiger Werke verraten?
Zum Beispiel die Serie Breaking Bad. Die ist sehr gut.
Kommen wir noch auf France zu sprechen: Sie inszeniert nicht nur die Aufnahmen für ihre Sendung, sondern inszeniert sich auch selbst. Tut sie das für das Publikum oder für sich selbst?
Beides. Sie ist eine Heldin der Monitore und Medienbildschirme. Natürlich gibt es da einen maßlosen Narzissmus in ihr und sie ist von sich selbst berauscht. Aber das tut sie im Dienste des Publikums, das ebenso von ihr berauscht ist. Sie ist ein Monster in der Welt, in der sie lebt. Jeder erhält am Ende die Form der Funktion, die er oder sie ausfüllt.
Diese Form der Selbstinszenierung ist bei ihr natürlich extrem, weil sie in der Öffentlichkeit steht und beobachtet wird. Aber bedeutet nicht auch für uns jede Begegnung eine Form der Inszenierung?
Absolut, ja. Das Leben ist eine Komödie, in der jeder die Rolle spielt, die ihm zugeteilt wurde. Sie spielen die Rolle des Journalisten, ich die des Regisseurs. Das gehört einfach dazu.
Wenn wir uns aber ständig für andere inszenieren, woher wissen wir dann, wer wir sind?
Letztendlich ist das wie im Kino: Wir sind, wer wir sind, durch das, was wir tun. Wir sind Darsteller und unsere Aktionen machen uns zu dem, der wir sind. Spielen bedeutet in dieser Art und Weise zu sein.
France sagt an einer Stelle, dass sie alles hat, was es braucht, um glücklich zu sein. Sie sei es aber nicht. Was braucht es dann wirklich, um glücklich zu sein?
Sie wird sich in dieser Situation ihrer selbst bewusst und dessen, was sie tut. Das führt sie in die Krise. Die wiederum erlaubt es ihr, sich selbst stärker wahrzunehmen und aus dem herauszukommen, was sie selbst ist. Sie hat eigentlich keine soziologische Existenz, sondern ist eine Figur im Kino, die uns aber unsere eigenen Möglichkeiten spiegelt zu abstrahieren und auf unsere Umwelt und unsere Existenz zu reagieren. In diesem Sinne handelt es sich hier um einen sehr optimistischen Film.
Letzte Frage: Was sind Ihre nächsten Projekte? Woran arbeiten Sie?
Ich versuche ja, von Film zu Film ein anderes Genre zu verwenden. Nachdem ich zuletzt eine Komödie gedreht habe, will ich als nächstes eine Weltraum-Odyssee angehen, um mal etwas andere Luft zu schnuppern.
Vielen Dank für das Gespräch!
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