Als der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Paşali) aus Ankara in das provinzielle Yaniklar versetzt wird, ist der erste Eindruck alles andere als positiv: Ein Wildschwein wurde von der Bevölkerung gejagt, die blutigen Reste durch die Stadt gezogen unter dem lauten Jubel der Menschen. Emre möchte diesem barbarischen Treiben ein Ende setzen, womit er gleich zu Beginn die Leute gegen sich aufbringt – vor allem durch seine Androhung von Strafen. Um die Wogen zu glätten, wird er daraufhin zu einer abendlichen Feier eingeladen. Ein Glas hin und da hat noch niemandem geschadet. Doch es wird eine Nacht, die ihn lange verfolgen wird, woran der Journalist Murat (Ekin Koc) nicht ganz unschuldig ist …
Eine Provinz des Alptraums
Unter den neuen Stimmen des türkischen Kinos ist die von Emin Alper sicher eine der bekannteren. Nicht nur dass seine Werke auf namhaften Festivals liefen. Er gehört zudem zu den wenigen, dessen Filme regulär bei uns zu sehen sind. Sowohl Tepenin ardi – Beyond the Hill (2012), Abluka – Jeder misstraut jedem (2015) wie auch Eine Geschichte von drei Schwestern (2019) liefen in den hiesigen Lichtspielhäusern. Sein neuestes Werk Burning Days, welches bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 Premiere feierte, ist bislang zwar nicht angekündigt. Aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein, zumindest bei den Arthouse-Verleihern dürften manche schon ein Auge auf den Film geworfen haben, der unverkennbar seine Handschrift trägt, dabei aber auch neue Wege beschreitet.
So hat er erneut einiges über die derzeitige Gesellschaft in der Türkei zu sagen. Allzu positiv ist es aber nicht, was uns Alper da mitzuteilen hat. In vielen Filmen ist es so, dass Protagonisten und Protagonistinnen, die es aus der Stadt aufs Land verschlägt, irgendwann dessen Schönheit erkennen und auch die Menschen zu schätzen lernen. Bei Burning Days ist beides nicht der Fall. Faszinierend ist der Anblick des riesigen Kraters sicherlich, der sich in der Landschaft eröffnet hat – die Folgen des ständigen Wassermangels. Aber auch unheimlich. Die gesamte Gegend ist ausgedörrt, auf eine surreale Weise frei von Leben. Und selbst als Emre in einem See baden geht, ist das mit einem unheilvollen Gefühl verbunden, raten ihm doch alle davon ab. Es sei zu gefährlich hier.
Das Warten auf den großen Knall
Nicht dass es außerhalb des Wassers viel besser wäre. Schon seine Ankunft, die von lauten Schüssen und blutigem Fleisch begleitet werden, lassen den Rückschluss zu, dass eine Rückkehr in die Stadt die gesündere Option wäre. Selten findet sich in Burning Days mal ein Moment, bei dem man den Eindruck hat, das Ganze könnte vielleicht doch irgendwie gut ausgehen. Selbst die Feier, die eigentlich der Annäherung zwischen dem Fremden und der Bevölkerung dienen sollte, wird von unterschwelligen Konflikten und Drohungen begleitet. Später wird man nicht einmal so tun, als wolle man miteinander auskommen. Dass der große Knall kommen wird, das steht fest. Offen ist nur, wann und unter welchen Umständen die Eskalation eintritt – und wer am Ende siegreich sein wird.
Dabei mischt der Film das Bedrohliche eines Thrillers mit den Ermittlungen, wie man sie in einem Krimi finden könnte. Vergangene Verbrechen gehen in kommende Verbrechen über, wo das eine aufhört und das andere beginnt, ist nicht immer ganz klar. Ohnehin ist Burning Days ein Film, der das Vage vorzieht, eine im Schatten herumschleichende Andeutung dem klaren Wort den Vorzug gibt. Das hängt mit einem stärkeren Filmriss zusammen, der die Erinnerung an den Vorabend zu einem Puzzlespiel macht. Aber auch damit, dass sich in dem Dorf vieles hinter den Kulissen abspielt. Sie alle haben ihre Geheimnisse, gehen im Verborgenen irgendwelchen Tätigkeiten nach. Ob das nun der Journalist ist, bei dem man nie ganz sicher sein kann, ob er Freund oder Feind ist, oder der korrupte Bürgermeister, der den Menschen das Wasser vom Himmel herunterlügt: Wirklich trauen kann man niemandem.
Das Rätsel des Abgrunds
Burning Days wird damit auch zu einem Gesellschaftsporträt der heutigen Türkei, versinnbildlicht durch das kleine Dorf, in dem so ziemlich alles kaputt ist, was kaputt sein kann. Korruption, Vetternwirtschaft, Einschüchterung bis hin zur Gewalt: In diesem Sündenpfuhl ist alles drin. Homophobie ebenfalls, die homoerotische Stimmung zwischen den beiden jungen Männern ist ein willkommener Anlass für ein bisschen Brutalität. Dabei macht Alper auch in der Hinsicht nicht völlig klar, was er aussagen will. Die unwirkliche Atmosphäre, die von Beginn an zu spüren ist, verstärkt sich mit der Zeit. Vor allem am enigmatischen Ende, das tief in die Hölle führt, darf viel herumdiskutiert und interpretiert werden. Die betörend-schwülen Bilder führen tief hinein in den Abgrund, aus dem es keinen einfachen Weg nach draußen mehr gibt.
OT: „Kurak Günler“
Land: Türkei, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Griechenland, Kroatien
Jahr: 2022
Regie: Emin Alper
Drehbuch: Emin Alper
Musik: Stefan Will
Kamera: Christos Karamanis
Besetzung: Selahatti̇n Paşali, Eki̇n Koç, Erol Babaoğlu, Erdem Şenocak, Seli̇n Yeni̇nci̇
Cannes 2022
Filmfest München 2022
Around the World in 14 Films 2022
International Film Festival Rotterdam 2023
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