So richtig weiß Andrew (Cooper Raiff) noch nicht, was er nach seinem College-Abschluss mit seinem Leben anfangen soll. So spielt er zwar mit dem Gedanken, nach Barcelona zu gehen und damit seiner Freundin zu folgen, die kürzlich dorthin gezogen ist. Viel weiter ist er mit seiner Planung aber nicht. Erst einmal arbeitet er in dem Mall-Imbiss Meat Sticks und wohnt noch weiter bei seiner Mutter (Leslie Mann) und ihrem neuen Partner Greg (Brad Garrett). Als er seinen kleinen Bruder David (Evan Assante) zu einer Bar Mitzvah Feier begleitet, macht er die Bekanntschaft der jungen Mutter Domino (Dakota Johnson) sowie deren autistischen Tochter Lola (Vanessa Burghardt), denen er gleich mal unter die Arme greift – der Auftakt einer aufregenden neuen Freundschaft. Oder ist da doch mehr drin?
Das Leben in Unsicherheit
2020 eroberte Cooper Raiff mit seinem ersten Langfilm Shithouse die Herzen seiner Zuschauer und Zuschauerinnen im Sturm. Darin erzählte der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller die Geschichte eines jungen Studenten, der sich schwer damit tut, an einem College zu sein und dort niemanden zu kennen. Die Tragikomödie war ein einfühlsamer Blick auf eine prägende Zeit, aber auch die Unsicherheit und Ängste, die man insgeheim während dieser Zeit haben darf. Cha Cha Real Smooth ist zwar keine Fortsetzung im eigentlichen Sinn, wenn wir dieses Mal über die Phase direkt nach dem College reden. Der gefeierte Nachwuchsfilmemacher greift aber einige seiner Themen wieder auf und erinnert erneut an eine Zeit des Übergangs und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.
Dabei sind Raiffs zwei Alter Egos schon unterschiedlich angelegt. Während Alex in dem Debüt relativ verschüchtert durch die Gegend läuft, da ist Andrew sehr viel extrovertierter. Er geht offen auf die Leute zu, wird sogar als Party-Anheizer engagiert, um andere schüchterne Leute in Stimmung zu bringen. Zuweilen kann das ein wenig anstrengend sein, zumal Cha Cha Real Smooth an manchen Stellen ein bisschen zu sehr betont, was Andrew für ein toller Typ ist. Da hätten ein paar Makel mehr ganz gut getan. Gleichzeitig verbirgt sich hinter dieser selbstbewussten Fassade jemand, der selbst mit allem überfordert ist und ein wenig Hilfe von außen ganz gut gebrauchen könnte – beruflich wie privat. Er gibt dem kleinen Bruder Tipps in Beziehungsfragen, obwohl er selbst keine hat. Zumindest keine, die diese Bezeichnung wirklich verdienen würde.
Im Niemandsland gefangen
Das liegt auch daran, dass die Geschichte zwischen ihm und Domino irgendwo im Niemandsland zwischen Freundschaft und Liebe herumschwirrt. Dass da von Anfang an eine gute Verbindung herrscht, ist unbestritten. Nur gibt es da eben auch Joseph (Raul Castillo), ihren Verlobten, der des Berufs wegen dauernd unterwegs ist. Das muss natürlich nicht zwangsläufig ein Hinderungsgrund sein. Der Bereich der Liebeskomödie wimmelt von Beispielen, in denen zu Beginn des Films das „falsche“ Paar zusammen ist und erst mit der Zeit dieser Irrtum berichtigt wird. Cha Cha Real Smooth lässt dabei jedoch lange offen, ob es sich um ein weiteres dieser Beispiele handelt oder ob es auf etwas anderes hinausläuft. Denn dafür sind sich die Figuren selbst nicht sicher genug, woran der größere Altersunterschied nicht unschuldig sein dürfte.
Die auf Apple TV+ veröffentlichte Tragikomödie, die auf dem Sundance Film Festival 2022 Premiere feierte und danach zu anderen Filmfesten weitergereicht wurde, ist grundsätzlich ein Film, der sich mit dem Vagen befasst und dem Unausgesprochenen. So richtig souverän tritt hier eigentlich niemand auf, sieht man einmal von den Bullys ab, deren Lebensinhalt mal wieder nur darin besteht, anderen das Leben möglichst schwer zu machen. Dem setzt Cha Cha Real Smooth betont viel Freundlichkeit und Gemeinschaft entgegen und zeigt auf, wie viel schöner das Leben sein kann, wenn man es zusammen angeht und nicht gegeneinander. Das könnte schnell kitschig werden, bleibt aber wie schon bei Raiffs erstem Film eher zurückhaltend und trotz leicht skurriler Anwandlungen schön alltäglich.
Berührend und sympathisch
Das bedeutet aber nicht, dass man hier nichts fühlen darf. Ein paar emotionale Momente gibt es schon, vor allem dann, wenn die Fassaden endgültig abbröckeln und die Figuren sich von ihrer inneren, verletzlichen, nicht immer vorzeigbaren Seite zeigen. Damit wird Cha Cha Real Smooth erneut zu einem tröstlichen Werk, das uns daran erinnert, was es heißt, als Mensch durch das Leben zu stolpern, wieder und wieder hinzufallen. Neue Erkenntnisse wird daraus wohl niemand beziehen. Aber es ist sympathisch umgesetzt, lebt von einem gut aufgelegten Ensemble, das immer wieder für sehenswerte Szenen gut ist. Raiff festigt damit den guten Eindruck, den sein Debüt hinterlassen hat als Sprachrohr der Suchenden und Zweifelnden, aber auch als Mutmacher und Motivator.
OT: „Cha Cha Real Smooth“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Cooper Raiff
Drehbuch: Cooper Raiff
Musik: Este Haim, Chris Stracey
Kamera: Cristina Dunlap
Besetzung: Cooper Raiff, Dakota Johnson, Vanessa Burghardt, Brad Garrett, Leslie Mann, Raúl Castillo, Evan Assante
Sundance Film Festival 2022
SXSW 2022
Tribeca Film Festival 2022
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