Julio Blanco (Javier Bardem) hat einen Traum: Er möchte endlich den Preis für exzellente Unternehmensführung der Regierung erhalten. Verdient hat er ihn, davon ist er zumindest überzeugt. Schließlich führt er sein Familienunternehmen für Industriewaagen vorbildlich, die Belegschaft ist für ihn eine große Familie mit ihm als Papa. Dummerweise machen einige in der Familie gerade aber mächtig Ärger. So will beispielsweise José (Óscar de la Fuente) einfach nicht akzeptieren, dass man ihn entlassen hat, und demonstriert seither vor dem Fabrikeingang. Sein Produktionschef Miralles (Manolo Solo) ist zwar loyal, dafür aber nicht übermäßig produktiv, da er nur noch mit seiner gescheiterten Ehe beschäftigt ist. Und dann wäre da noch die schöne Liliana (Almudena Amor), die es dem verheirateten Firmenchef sofort angetan hat – der aber nicht ahnt, was er sich damit selbst antun wird …
Perfekt, ohne gut zu sein
Javier Bardem gehört ohne Zweifel zu den berühmtesten Schauspieltalenten, die Spanien in den letzten zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. Immer wieder spielt er in großen internationalen Produktionen mit, zuletzt etwa im Science-Fiction-Abenteuer Dune oder auch in dem Biopic Being the Ricardos, welches ihm seine dritte Nominierung als bester Hauptdarsteller bei den Oscars eingebracht hat. Tatsächlich ist er inzwischen so etabliert in Hollywood, dass es im Gegenteil auffällt, wenn er mal nicht dort dreht, sondern in seiner Heimat. Der perfekte Chef ist eines der inzwischen selten gewordenen Beispiele, bei denen er tatsächlich auf Spanisch dreht. Dass es sich dabei um das neue Werk von Fernando León de Aranoa handelt, mit dem er zuvor schon gearbeitet hat, dürfte dabei eine größere Rolle für die Rückkehr gespielt haben. So drehten sie gemeinsam das 2017 veröffentlichte Loving Pablo, bei dem Bardem in die Rolle des berüchtigten Drogenlords Pablo Escobar schlüpfte.
Dieses Mal spielt er keinen Verbrecher, sondern einen der Guten. Oder besser: Er spielt jemanden, der sich selbst für gut hält. Dass es bei ihm nicht so weit her ist mit seinem Altruismus, wird in Der perfekte Chef an vielen Stellen offensichtlich. Wenn er beispielsweise einen 70-jährigen Angestellten zwingt, an einem Sonntag Reparaturen auszuführen, während es sich Julio daneben gemütlich macht und sich feiern lässt, dann wird auch ohne Worte deutlich, dass es da eine größere Diskrepanz zwischen seinem Anspruch und seinem Verhalten gibt. Wie rücksichtslos er sein kann, zeigt auch der Handlungsstrang um den entlassenen Familienvater, der sich gegen den Unternehmer erhebt. Denn da gibt es kein Pardon oder Mitgefühl. Es gibt höchstens Angst um das eigene Image, vor allem wenn ihn das den Preis kosten könnte.
Gesellschaftskritik trifft Unterhaltung
Aber das ist eben nur eine von mehreren Geschichten, die Fernando León de Aranoa miteinander verknüpft. Die einzelnen Stränge haben dabei keinen direkten Bezug zueinander. Lediglich Julio dient als Bindeglied, da der Film eine Woche im Leben des Unternehmers herauspickt. Der perfekte Chef schildert, wie diese einzelnen Problemfälle eine Eigendynamik entwickeln und der Papa zunehmend die Kontrolle über alles verliert. Das Publikum darf sich an der Stelle fragen, ob es ihm noch gelingen wird, diese rechtzeitig zurückzugewinnen, oder doch letztendlich alles unter der Last des Moments zusammenkracht. Und natürlich wird es implizit aufgerufen, Position zu beziehen. Wünschen wir dem Mann Erfolg, der gleichermaßen charmant wie skrupellos ist? Der andere Menschen ausnutzt und sich dabei noch als Wohltäter verkaufen will?
Der Film verbindet dabei deutliche Gesellschaftskritik, etwa auf den Kapitalismus bezogen , mit reiner Unterhaltung. Schafft absurde Szenen und versetzt sie mit nur zu realen Momenten von männlicher Übergriffigkeit. Das ist insgesamt ein wenig lang geraten und scheut sich vor zu starken Spitzen zurück. Offensichtlich war León de Aranoa, ähnlich zu seinem Protagonisten, da doch um Balance gelegen. Aber es macht auch Spaß. Die kunstvoll zusammengestellten Settings und das spielfreudige Ensemble entschädigen für die zuweilen etwas herummäandernde Geschichte und machen den Film zu einem, der sowohl der Masse wie auch Kritikern und Kritikerinnen gefällt: Mit 20 Nominierungen bei den Goyas stellte die Satire einen neuen Rekord bei Spaniens wichtigstem Filmpreis auf.
OT: „El buen patrón“
Land: Spanien
Jahr: 2021
Regie: Fernando León de Aranoa
Drehbuch: Fernando León de Aranoa
Musik: Zeltia Montes
Kamera: Pau Esteve Birba
Besetzung: Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Sonia Almarcha, Fernando Albizu
San Sebastián International Film Festival 2021
Filmfest München 2022
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)