Es ist immer wieder faszinierend, sich „Was wäre, wenn…“-Szenarien zu überlegen. Was, wenn Deutschland den zweiten Weltkrieg nicht verloren hätte? Wenn der 11. September 2001 nur ein ganz normaler Tag gewesen wäre? Oder eben, wenn die Amerikaner nicht die ersten gewesen wären, die erfolgreich Menschen auf den Mond geschickt hätten? Letzteres ist die Ausgangssituation von For All Mankind, einer der Serien mit der der Streamingdienst AppleTV+ 2019 an den Start ging und bis heute dort einer der beliebtesten Inhalte. In der unter anderem von dem Star Trek– und Battlestar Galactica-Veteranen Ronald D. Moore erdachten „Alternate History“-Serie landet 1969 der russische Kosmonaut Alexei Leonov als erster Mensch auf dem Mond, sehr zum Ärger der Amerikaner, die daraufhin alles daransetzen, mit den Sowjets gleichzuziehen. Das führt schließlich dazu, dass das sogenannte „Space Race“, also der Wettlauf um die technologische und militärische Vorherrschaft im Weltall zum einen sehr viel schneller und umkämpfter stattfindet, als dies tatsächlich der Fall war, und zum anderen auch viel länger andauert – was wiederum zahlreiche andere Folgen nach sich zieht.
For All Mankind wird natürlich fast ausschließlich aus amerikanischer Sicht erzählt. Im Mittelpunkt steht dabei das Raumfahrtprogramm der NASA, das Ende der 1960er von Wernher von Braun (Colm Feore) geführt wird. Unter dem Druck von Präsident Nixon landet die NASA kurz nach dem Erfolg der Russen ebenfalls auf dem Mond. Das ist jedoch erst der Anfang, denn angetrieben durch die andauernde Konkurrenz der Sowjets beschleunigt die NASA ihr Raumfahrtprogramm, bildet zahlreiche Astronauten und Astronautinnen aus und plant schon bald, eine dauerhafte Basis auf dem Erdtrabanten zu errichten.
Groß angelegte Ensembleserie
Als Ensembleserie angelegt, in der jede Staffel einen Handlungszeitraum von mehreren Jahren umfasst, hat sich For All Mankind keine kleine Aufgabe vorgenommen. Zum Glück stimmt hier jedoch fast alles, angefangen beim großartigen Ensemble von Schauspielern bis hin zu den einzelnen Handlungssträngen, die alle zu fesseln wissen. Irritieren mag in den ersten Folgen noch die Geschichte um ein mexikanisches Mädchen, das mit seiner Familie in die USA einwandert. Was genau die junge Aleida mit dem Hauptthema der Serie zu tun hat, wird sich größtenteils erst in der zweiten und dritten Staffel zeigen. Joel Kinnaman und Michael Dorman spielen die Astronauten Ed Baldwin und Gordo Stevens, die beide auf den ersten Blick wie das Abziehbild des amerikanischen Helden wirken mögen, doch vor allem im Fall von Gordo im Verlauf der Staffel deutlich an psychologischer Tiefe gewinnen.
Erfreulicherweise befinden sich unter den Charakteren auch zahlreiche Frauen. Nicht nur in Technologie und Raumfahrt ist die Welt von For All Mankind unserer Realität nämlich um einige Jahrzehnte voraus, sondern auch was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft. In der Episode Nixon’s Women sieht sich die NASA – wiederum durch Erfolge der Sowjetunion – dem Druck ausgesetzt, mehr Frauen zu Astronautinnen auszubilden, was Gordos Ehefrau Tracy (Sarah Jones) sowie weitere für den Rest der Serie wichtige Figuren wie Molly Cobb (Sonya Walger, bekannt als Penny aus Lost), Danielle Poole (Krys Marshall) und Ellen Waverly (Jodi Balfour) stärker in den Mittelpunkt rückt.
Zwischen Realität und Möglichkeit
Shantel VanSanten steht als Eds Ehefrau Karen zunächst im Hintergrund, spielt die umsorgende Mutter und Hausfrau und darf erst gegen Ende der Staffel mehr von ihrem schauspielerischen Können zeigen. Von Anfang an faszinieren kann Wrenn Schmidt als kühle, professionelle NASA-Ingenieurin Margo Madison, etwa in den Szenen, in denen Margo Wernher von Braun mit seiner Nazi-Vergangenheit konfrontiert. Während die wichtigsten Figuren frei erfunden sind, basieren einige auf realen Persönlichkeiten, wenn sie auch gemäß der alternate history-Prämisse in Geschehnisse verwickelt werden, die so nie stattgefunden haben. Beispielsweise landen auch in For All Mankind Neil Armstrong und Buzz Aldrin auf dem Mond, nur halt weder als Erste, noch so reibungslos wie das 1969 tatsächlich der Fall war. Auch Deke Slayton (Chris Bauer), der Leiter des Astronautenbüros, basiert auf einer realen Figur.
Spannend und relevant ist die Serie zum einen, weil sie Möglichkeiten und Alternativen aufzeigt, die in unserer Welt (noch) nicht Realität geworden sind, dabei aber keineswegs eine Utopie präsentiert, in der alle Probleme gelöst sind. So werden etwa Sexismus und vor allem Homophobie immer wieder thematisiert und bilden die Grundlage von Konflikten. Zum anderen ist For All Mankind einfach wahnsinnig spannendes, gut erzähltes Fernsehen. Die sich durch die Staffel ziehende Handlung lebt von neuen Entdeckungen, Cliffhangern und der Konkurrenz der Supermächte um die Vorherrschaft auf dem Mond. Durch die sich von unserer realen Geschichte unterscheidenden Ereignisse bleibt das Geschehen stets spannend. Gleichzeitig wissen aber auch die persönlichen Schicksale der Figuren fast immer zu fesseln. Triumphe wechseln sich mit Rückschlägen und Tragödien ab, es gibt Verluste zu betrauern, aber auch spektakuläre Rettungen zu feiern. Zu den überwiegend interessanten und vielschichten Figuren und der spannenden Handlung gesellen sich noch makellose Spezialeffekten und eine die Stimmung stets passend unterstützende, stimmungsvolle Musik von Jeff Russo (Star Trek: Discovery). Zusammen ergibt das eine nicht nur im Ansatz, sondern auch in der Ausführung hervorragende erste Staffel, deren zehn Folgen nicht nur hartgesottene Science Fiction-Fans in kürzester Zeit weg bingen dürften.
OT: „For All Mankind“
Land: USA
Jahr: 2019
Regie: Seth Gordon, Allen Coulter, Sergio Mimica-Gezzan, Meera Menon, John Dahl
Drehbuch: Ronald D. Moore, Matt Wolpert, Ben Nedivi, Nichole Beattie, Naren Shankar, David Weddle, Bradly Thompson, Stephanie Shannon
Idee: Ronald D. Moore, Matt Wolpert, Ben Nedivi
Musik: Jeff Russo
Kamera: Stephen McNutt, Ross Berryman
Besetzung: Joel Kinnaman, Wrenn Schmidt, Shantel VanSanten, Sarah Jones, Michael Dorman, Chris Bauer, Sonya Walger, Jodi Balfour, Colm Feore, Krys Marshall
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