France
R. Arpajou © 3B PRODUCTIONS
„France“ // Deutschland-Start: 9. Juni 2022 (Kino) // 18. November 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Mit ihren Geschichten aus aller Welt und den schonungslosen Fragen, mit denen sie die Mächtigen in die Ecke treibt, ist France de Meurs (Léa Seydoux) zum Star geworden. Die TV-Journalistin und Kriegsreporterin wird von einem Millionenpublikum gesehen und bewundert. Das ändert sich, als sie eines Tages versehentlich den Migranten Baptiste (Jawad Zemmar) anfährt. Zwar wird dieser Vorfall keine bleibenden Schäden bei dem jungen Mann hinterlassen. Doch France beginnt daraufhin, in eine Sinnkrise zu schlittern und alles zu hinterfragen, was sie und ihre Arbeit ausmacht. Wer ist sie eigentlich? Was will sie sein? Und wie kommt sie aus all dem wieder heraus?

Eigenwillige Medienkritik

Wenn Bruno Dumont einen neuen Film dreht, dann darf man, muss man sich auf etwas gefasst machen, das man wohl am besten mit „eigenwillig“ bezeichnen kann. So drehte er in den letzten Jahren etwa die starbesetzte Oberschicht-Satire Die feine Gesellschaft, in Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc verwandelte er den Mythos rund um die französische Ikone Jeanne d’Arc in ein Hardrock-Musical. Insofern verwundert es nicht, wenn er mit France wieder ein Werk vorlegt, das trotz des Titels nicht unbedingt stellvertretend für das französische Kino steht. Obwohl er mit Léa Seydoux eine der derzeit bekanntesten Schauspielerinnen verpflichten konnte, die seine Heimat in den letzten Jahren hervorgebracht hat: Mit Mainstream hat es Dumont einfach nicht so.

Stattdessen hat der Regisseur und Drehbuchautor etwas vorgelegt, das man am ehesten wohl noch als Mediensatire bezeichnen würde. Im Mittelpunkt von France steht die gleichnamige Journalistin, die zum Aushängeschild ihres Fernsehsenders wurde. Das hat sie sicherlich auch ihrem fachlichen Talent zu verdanken. Vor allem aber zeigt sie Dumont als jemand, der sich und andere ständig in Szene setzt. Ohne zu viel vorab verraten zu wollen: Wenn sie schamlos Situationen ausnutzt und nach Belieben ändert, um die daraus entstehenden Aufnahmen als „Dokumentation“ verkaufen, weiß man nicht, ob einen das mehr amüsiert oder schockiert. So oder so führt es wieder vor Augen, wie sehr Bilder trügen können und dass eine vermeintliche Wahrheit auch nicht mehr ist als eine individuell erzählte Geschichte.

Demontage eines falschen Menschen

Und doch ist France nicht allein eine Kritik an einer Medienlandschaft, die der Sensation und Zuschauerzahlen wegen sich alles so hinbiegt, wie sie es will. Der Film ist gleichzeitig das Porträt eines Menschen, der in eben diesem Zirkus gefangen ist. Bei ihrem Drang in den Mittelpunkt des Geschehens hat sich die Titelfigur so sehr selbst verzerrt, bis sie gar nicht mehr unterscheiden kann, was Person und was Persona ist. Ihr Image und das Innere sind völlig miteinander verschmolzen, was für sie aber kein Problem darstellt, vielleicht nicht einmal realisiert. Erst durch den Vorfall mit dem Rollerfahrer, den sie eines Tages anfährt, entstehen erste Risse und es brechen immer wieder Gefühle aus ihr hervor, die bis zu dem Zeitpunkt hinter der heilen Fassade verborgen waren.

Oder vielleicht doch nicht? Dumont war so geschickt darin, ihre täglichen Auftritte als Selbstinszenierung zu entblößen, dass man auch bei den vermeintlich authentischen Momenten so seine Zweifel hat. Die Tragikomödie, die im Wettbewerb von Cannes 2021 Premiere feierte, lässt es völlig offen, inwiefern diese Gefühle echt sind – und ob es überhaupt so etwas wie echte Gefühle gibt. France ist keiner dieser Filme, bei denen die Hauptfigur lernt, sich auf das Wesentliche im Leben zu besinnen und dabei ein besserer, geläuterter Mensch wird. Nicht nur, dass sich France zu ambivalent verhält, um daraus eindeutige Rückschlüsse zu ziehen. Der Regisseur hat zu dem Zeitpunkt auf spielerische Weise bereits so viel zerstört, dass gar nicht mehr die Grundlage für ein solches Vertrauen da ist. Wenn Lügen und Wahrheit so eng beieinander liegen, funktionieren die Kategorien nicht mehr.

Die Täuschung einer Täuschung

Dumont lässt dabei aber auch offen, ob das jetzt wirklich so schlimm ist und ob es anders möglich wäre. Es fehlt der Gegenentwurf zu der Narzisstin, ein Positivbeispiel dafür, dass es Alternativen gibt. Vielleicht ist France nicht schlechter als andere. Sie war nur besser darin. Auch die naheliegenden Querverweise zur Nation Frankreich funktionieren nicht so recht. Die Suche nach einer Identität beschäftigt die Menschen dort natürlich schon seit Längerem, siehe auch das Erstarken der Rechten, welche ein „richtiges“ Frankreich zurückversprechen, von dem gar nicht klar ist, was das eigentlich sein soll. Da darf man hier schon glauben, es ginge eben auch darum, dieser Fassade eine Absage zu erteilen und die Täuschung zu enthüllen, mit denen Sehnsüchte bedient werden. Aber vielleicht ist das in diesem eigenwilligen Film schon wieder selbst eine Täuschung, die mehr über das Publikum verrät als den Film selbst.

Credits

OT: „France“
Land: Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien
Jahr: 2021
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Besetzung: Léa Seydoux, Blanche Gardin, Benjamin Biolay, Emanuele Arioli, Juliane Köhler, Gaëtan Amiel, Jawad Zemmar

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr über den Film und den Mann dahinter erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit, ein Interview mit Regisseur und Autor Bruno Dumont zu führen, und befragten ihn zu France, dem Journalismus und die tägliche Selbstinszenierung.

Bruno Dumont [Interview]

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 2021 Goldene Palme Nominierung
César 2022 Beste Hauptdarstellerin Léa Seydoux Nominierung

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France
Fazit
„France“ folgt einer narzisstischen Journalistin, für die die ganze Welt eine Möglichkeit der Inszenierung darstellt. Das ist einerseits klar eine Mediensatire, spielt dabei aber so geschickt mit Brüchen, dass man sich vielem dann doch nicht wirklich sicher sein kann und die Entlarvung einer Täuschung selbst eine Täuschung ist – oder vielleicht auch nicht.
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