Zwei Jahre war Max Meyer (Vincent Cassel) in New York gewesen. Nun ist er zurück in Paris, wo eine noch größere Veränderung auf ihn wartet: Er wird Muriel (Sandrine Kiberlain) heiraten, die Tochter seines Chefs. So zumindest lautete der Plan. Ganz und gar nicht nach Plan ist hingegen, als er meint, die Stimme seiner früheren Freundin Lisa (Monica Bellucci) zu hören, die vor einigen Jahren spurlos aus seinem Leben verschwand und für die er noch immer Gefühle hegt. Und so beschließt er kurzerhand, eine geplante Dienstreise abzubrechen und sich stattdessen auf die Suche nach Lisa zu machen. Dabei trifft er zu seiner Verwunderung auf eine ganz andere Lisa (Romane Bohringer), die in der Wohnung seiner Verflossenen lebt …
Der verschlungene Pfad der Liebe
Die meisten Liebesfilme sind bekanntlich recht einfach gestrickt. Am Anfang laufen sich die zwei Hauptfiguren über den Weg. Aus irgendeinem Grund klappt das da aber noch nicht mit der Beziehung – logisch, sonst hätte man nichts zu erzählen. Zahlreiche Hindernisse später, die es aus dem Weg zu räumen gibt, fallen sich die zwei dann doch noch in die Arme und dürfen sich auf eine gemeinsame Zukunft freuen. Manchmal ist die Bewältigung der Hindernisse mit komischen Szenen verbunden, vielleicht auch peinlichen Missgeschicken. Andere bevorzugen den Kampf um die Liebe als Drama, bei dem es richtig ernst zugehen darf und soll. Vom Prinzip her läuft das aber ziemlich ähnlich. Dass es auch anders geht, beweist der Film Liebe und Lügen, der einerseits diesem bekannten Weg folgt und dabei doch etwas völlig anderes daraus macht.
Zunächst einmal werden hier die Konzepte Anfang und Ende in Frage gestellt, wenn das eine nicht von dem anderen zu unterscheiden ist. So beginnt die Geschichte zwar in der Gegenwart, wenn Max kurz vor der Hochzeit steht und mit sich ringt, welchen Ring er kaufen soll. Doch kurze Zeit später bricht die Vergangenheit ein, macht sich in ihm breit in Form von Erinnerungen und einer Sehnsucht nach einer Liebe, die ein zu frühes Ende fand. In Liebe und Lügen, alternativ als Lügen der Liebe bekannt, verschwimmen diese beiden Zeitebenen zunehmend. Das Bedürfnis von Max, die Vergangenheit zurückzuholen, führt dazu, dass sie sich bildlich immer wieder dazwischenschiebt, bis man irgendwann gar nicht mehr so genau sagen kann, was nun gestern und was heute ist.
Ein Liebesdrama im Mystery-Thriller-Kostüm
Klar, Flashbacks sind in Filmen ein immer wieder gern verwendetes Mittel, um Vorgeschichten zu erzählen oder auch eine Figur zu beschreiben. Liebe und Lügen geht aber deutlich über das hinaus, was man in dieser Richtung gewohnt ist. Wo bei anderen diese Rückblicke üblicherweise herangezogen werden, um Sachverhalte zu erklären oder zu verdeutlichen, da wird hier die Konfusion von Minute zu Minute größer. Tatsächlich erinnert der bis heute einzige Film von Regisseur und Drehbuchautor Gilles Mimouni an die großen Verwirrspiele der Filmgeschichte, etwa von Hitchcock. Der Franzose will wie in den bekannten Mystery-Thrillern die Zuschauer und Zuschauerinnen auf falsche Wege locken, Fragen provozieren und unterwegs immer wieder Informationen einstreuen, die das zuvor Gesehene auf einmal wieder fragwürdig erscheinen lassen.
Nur dass Liebe und Lügen eben kein Mystery-Thriller ist. Es gibt hier kein Verbrechen, welches im Mittelpunkt steht und nach und nach gelöst werden muss. Stattdessen ist der Film in erster Linie ein Liebesdrama um Menschen, die sich ihrer Gefühle nicht sicher sind oder mit unerwiderten Gefühlen zu kämpfen haben. Das Besondere an dem Werk ist also, wie ein Liebesdrama sich Genreelemente aneignet und aus dem Thema ein großes Puzzle macht. Das ist für ein Publikum eventuell frustrierend, das sich hier eben doch in einem Kriminalfall wähnt und die ganze Zeit darauf wartet, dass da mal etwas passiert. Wer sich hingegen eine „richtige“ Liebesgeschichte erhofft, der wird an den zahlreichen und zunehmend absurden Wendungen stören.
Eine Frage der Perspektive
Und doch ist der Film sehenswert, wenn er wieder und wieder Grenzen aufhebt, man sich vielem nicht sicher sein kann. Das liegt auch an der Perspektive von Max, der gerade zu Beginn immer im Mittelpunkt steht und dabei nur einen begrenzten Blick auf die Geschichte zulässt: Er sieht immer nur einen Teil des Ganzen, das Publikum mit ihm mit. Der französische Superstar Vincent Cassel (Dobermann, Mein Ein, mein Alles) mimt dabei einen Mann, der gleichzeitig treibende Kraft ist und doch auch Getriebener, von den Frauen wie auch seinen Gefühlen. Das ist spannend, zumal man hier wirklich nicht vorhersagen kann, was genau geschehen wird oder auch geschehen ist. Bis zum Schluss darf man zittern, ohne zu wissen worum und weshalb. Denn letztendlich ist hier nichts, wie es erscheint – oder vielleicht doch?
OT: „L’appartement“
AT: „Lügen der Liebe“
Land: Frankreich, Spanien, Italien
Jahr: 1996
Regie: Gilles Mimouni
Drehbuch: Gilles Mimouni
Musik: Peter Chase
Kamera: Thierry Arbogast
Besetzung: Vincent Cassel, Romane Bohringer, Sandrine Kiberlain, Monica Bellucci, Jean-Philippe Ecoffey, Olivier Granier
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
BAFTA | 1998 | Bester fremdsprachiger Film | Sieg | |
César | 1997 | Bestes Debüt | Gilles Mimouni | Nominierung |
Beste Nachwuchsdarstellerin | Monica Bellucci | Nominierung |
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