Plus que jamais Mehr denn je
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„Mehr denn je“ // Deutschland-Start: 1. Dezember 2022 (Kino) // 2. Juni 2023 (DVD/Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Als Hélène (Vicky Krieps) die Nachricht erhält, dass sie an einer unheilbaren Lungenkrankheit leidet, stürzt das nicht nur sie in eine schwere Krise. Auch ihr Umfeld, darunter ihr Partner Mathieu (Gaspard Ulliel), weiß nicht so wirklich, wie es mit der Situation umgehen soll. Immer wieder gerät sie mit ihm, aber auch der Familie und dem Freundeskreis aneinander. Die Nerven liegen bei allen Beteiligen blank. Selbst die Aussicht, vielleicht eine Spenderlunge zu erhalten und damit länger leben zu können, bringen Hélène keine Besserung. Tatsächlichen Trost findet die 33-Jährige lediglich in dem Blog eines Norwegers, der sich nur Mister (Bjørn Floberg) nennt und dort von eigenen Erfahrungen mit einer schweren Erkrankung berichtet. Und so beschließt sie, den weiten Weg in den Norden anzutreten, um den Blogger zu treffen und für sich selbst eine Antwort zu finden, wie sie mit ihrer Situation umgehen möchte …

Über das Leben mit dem Tod

Emily Atef ist eine Spezialistin, wenn es um weibliche Figuren geht, die sich mit existenziellen Fragen beschäftigen. In Töte mich erzählte sie von einer Jugendlichen, die unbedingt sterben will und dafür die Hilfe eines Verbrechers sorgt. Im preisgekrönten Drama 3 Tage in Quiberon zeigte sie eine fiktionalisierte Form des letzten großen Interviews, welche eine vom Leben gezeichnete Romy Schneider vor ihrem Tod gab. In Mehr denn je, dem neuesten Werl der Regisseurin, schildert sie eine Situation, die sehr viel weniger ungewöhnlich ist: Ein Mensch stirbt. Wie lange die Protagonistin noch hat, kann niemand sagen. Vielleicht findet sie auch die rettende Lunge, die ihr einige Jahre schenken können. Aber es bleibt dabei, sie hat keine wirkliche Zukunft, zumindest nicht in der Form, wie sie ein noch junger Mensch haben sollte.

Filme zu dem Thema gibt es natürlich nicht zu knapp. Eine Zeit lang schienen sich die Studios ein Wettrennen zu liefern, wer die tragischere Geschichte erzählen kann. Das Schicksal ist ein mieser Verräter rührte weltweit ein Publikum zu Tränen. Das tut Mehr denn je auch. Und doch ist die europäische Coproduktion kaum mit anderen Filmen über schwerkranke junge Menschen zu vergleichen, die auf oft etwas fragwürdige Weise von individuellem Leid zu profitieren versuchten. Traurige Situationen finden sich in den zwei Stunden natürlich einige. Herzzerreißend ist beispielsweise, wenn Hélène und Mathieu versuchen, sich noch einmal körperlich zu lieben, so wie früher, als noch alles gut war. Doch der zunehmend zerstörte Körper versagt ihr diese Erinnerung an glückliche Tage.

Die Suche nach der richtigen Antwort

Doch darum geht es Atef und ihrem mit tragischen Geschichten vertrauten Co-Autor Lars Hubrich (Rivale, Auerhaus) gar nicht. Die beiden wollen weniger den Sterbeprozess an sich thematisieren, sondern die Frage, wie Menschen mit diesem umgehen. Dass niemand wirklich über das Thema Tod nachdenken mag, geschweige denn sprechen, das ist bekannt. Entsprechend schwierig gestaltet sich in Mehr denn je der Alltag, da sie alle auf ihre Weise überfordert sind und nach der richtigen Antwort suchen, ohne zu wissen, wie diese aussehen kann. Da gibt es weltfremde Durchhalteparolen, man tut so, als wäre nichts. Andere tun zu viel wie die völlig überforderte Mutter, die jede Minute an der Seite ihrer Tochter verbringen möchte. Und auch Mathieu hat sich in den Kopf gesetzt, seine Partnerin keine Sekunde mehr allein zu lassen.

Das ist verständlich. Und eigentlich hört sich das auch irgendwie schön an: Todesanzeigen oder Mitteilungen betonen immer wieder, wenn jemand im Kreis seiner Liebsten gestorben ist. Wer das tut, so wird impliziert, holt das Beste aus der Situation heraus. Mehr denn je stellt dies jedoch in Frage. Hélènes Reise nach Norwegen und die damit verbundene Abkehr von der Heimat bedeutet nicht, dass sie vor den Problemen davonläuft oder sie den Tod sucht, auch wenn beide Vorwürfe naheliegen. Stattdessen sucht sie nach einer eigenen Antwort. Sucht nach einem Weg, der für sie passt, losgelöst von den Erwartungen anderer oder den Normen, die mit einem Tod verbunden sind. Bei Atef wird die raue Natur Norwegens, welche lange vor der Protagonistin da war und auch lange nach ihr da sein wird, zu einer wertvollen Begleiterin. Sie findet darin den Trost und die Ruhe, welche ihr inmitten der Menschen versagt bleibt.

Die Geschichte einer großen Liebe

Das Drama, welches bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 Premiere feierte, versteift sich dabei aber nicht auf irgendwelche spirituellen Anweisungen. Es stellt auch keine neue Normen auf, wie das Sterben „richtig“ geht. Stattdessen versteht es sich als Aufforderung, eine der intimsten Erfahrungen im Leben eines Menschen – das langsame Ende – dem Individuum zuzugestehen. Das bedeutet dann auch, anderen Leuten im Zweifel weh tun zu müssen. Mehr denn je ist damit nicht allein die Geschichte eines sich ankündigen Todes. Der Film ist vor allem auch eine Liebesgeschichte um zwei, die lernen müssen, nach einigen gemeinsamen und sehr glücklichen Jahren einander gehen zu lassen. Das geschieht ohne Kitsch oder manipulative Dramatik. Und doch hinterlässt es Eindruck: Vicky Krieps (Corsage) und der dieses Jahr tragisch verstorbene Gaspard Ulliel (Es war einmal ein zweites Mal) zeichnen das Bild eines Paares, welches zwischen Nähe und Distanz wechselt, Glück und Trauer. Eine große Liebe, die ihr Ende und doch zugleich einen Weg findet weiterzumachen.

Credits

OT: „Plus que jamais“
IT: „More Than Ever“
Land: Frankreich, Deutschland, Norwegen, Luxemburg
Jahr: 2022
Regie: Emily Atef
Drehbuch: Emily Atef, Lars Hubrich
Musik: Jon Balke
Kamera: Yves Cape
Besetzung: Vicky Krieps, Gaspard Ulliel, Bjørn Floberg

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr über den Film erfahren möchte: Wir hatten die Gelegenheit mit Regisseurin Emily Atef ein Interview über Mehr denn je zu führen und die Frage nach dem individuellen Sterben.

Emily Atef [Interview 2022]

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Mehr denn je
Fazit
„Mehr denn je“ ist ein leises, intimes Drama über zwei Liebende und den individuellen Umgang mit dem Tod. Es verzichtet dabei auf die üblichen Manipulationen und ist doch bewegend, auch wegen eines wunderbar zusammenspielenden Paares, mal herzzerreißend und doch auch tröstlich im Angesicht des nahenden Endes.
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von 10