Paris, am 15. April 2019: Erst ist es nur Rauch, der über den Dächern der Stadt zu sehen ist und den niemand so wirklich einordnen kann. Doch bald ist es traurige Gewissheit, die Kathedrale Notre-Dame brennt. Während die einen schockiert zusehen müssen, wie das Gebäude in Flammen steht und damit die unzähligen Schätze, die darin aufgehoben werden, treffen Krisenteams zusammen, um irgendwie das mehrere Jahrhunderte alte Wahrzeichen Frankreichs zu retten. Einfach ist das nicht. Jede Rettungsaktion ist mit großen Gefahren verbunden, die Männer und Frauen müssen ihr Leben aufs Spiel setzen, obwohl von Minute zu Minute die Chancen sinken. Am Ende ist klar: Nur ein letztes Selbstmordkommando kann den Verlust von Notre-Dame noch verhindern …
Anteilnahme an einem Wahrzeichen
Es sind oft die schrecklichen Ereignisse, welche die Menschen zusammenrücken lassen. Ob es Naturkatastrophen sind oder Terroranschläge, zuletzt der Krieg in der Ukraine: Die Solidarität und Anteilnahme ist weltweit immer groß. So auch, als im April die Kathedrale Notre-Dame Feuer fing. Natürlich ist der drohende Verlust eines Gebäudes nicht vergleichbar mit einem Ereignis, das unzählige Menschenleben kostet. Und doch ist das Monument eben nicht nur ein Gebäude. Neben dem Eiffelturm und dem Louvre gehört es zu den wichtigsten Wahrzeichen der Stadt. Mehr noch, es ist ein Symbol für Paris und damit auch die Menschen, die dort leben. Der Verlust desselben wäre gleichzeitig ein Schlag gegen die Identität der Bevölkerung, sowohl die der Stadt wie auch die des gesamten Landes. Ein Teil Frankreichs wäre einfach weg.
Notre-Dame in Flammen zeigt an mehreren Stellen auf, wie emotional die Menschen auf die Ereignisse reagieren. Das betrifft nicht nur die Leute, die daneben stehen und mitansehen, wie mehrere Jahrhunderte Geschichte in Rauch aufzugehen drohen. Vor allem ist das Drama ein Denkmal an die Männer und Frauen, die sich gegen die Katastrophe stemmten und die sehr genau wussten, dass dies ihren Tod bedeuten konnte. Das klingt nach einer dieser überlebensgroßen Heldengeschichten, wie sie Hollywood in solchen Fällen gern immer wieder ausspuckt. Filme, die mit so viel Pathos gefüttert wurden, dass man sich schon vom bloßen Zusehen her bleischwer fühlt. Zum Glück hatte Regisseur und Co-Autor Jean-Jacques Annaud (Der Name der Rose, Der letzte Wolf) aber andere Pläne.
Mitten im Chaos
So verzichtet er darauf, wie die meisten dieser Katastrophenfilme einen Helden ganz besonders in den Mittelpunkt zu rücken, diesen zu überhöhen und für das Publikum zu einer Identifikationsfigur zu machen. Tatsächlich gibt es in Notre-Dame in Flammen überhaupt keine Hauptfigur. Schon die ersten Minuten bestehen aus schnell zusammengeschnittenen Szenen, bei denen immer wieder andere Leute zu sehen sind. Meistens weiß man auch gar nicht, wer diese Leute überhaupt sein sollen. Erst im weiteren Verlauf kommt es verstärkt zu Wiederholungen, sodass man manche Gesichter wiedererkennen und einordnen kann. Doch selbst dann bleibt das Drama ein Ensemblefilm, der das Kollektiv betont, nicht das Individuum. Das zeigt sich auch bei der Bildsprache, wenn Annaud und sein Kameramann Jean-Marie Dreujou (À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen) immer wieder Splitscreens verwenden. Kaum jemand bleibt lange im alleinigen Fokus.
Damit verbunden ist das Gefühl einer Gleichzeitigkeit, welche der Film verfolgt. Ständig passiert irgendwo etwas, wodurch die Hektik und das Chaos betont werden. In den rund 110 Minuten gibt es kaum einen Moment, an dem man sich mal sammeln kann. Dieser Effekt ist einerseits gewollt und auch effektiv. Aber er ist auch anstrengend. Der schnelle Wechsel von Archivaufnahmen, dem brennenden Gebäude und den herumrennenden Läuten führt irgendwann zu Abnutzungserscheinungen. Man wartet darauf, dass da endlich mal wieder etwas vorangeht: Auch wenn hier ständig etwas passiert, eine wirkliche Entwicklung ist kaum zu sehen. Bis es irgendwann vorbei ist. Da sich zudem der Informationsgehalt eher in Grenzen hält, wird Notre-Dame in Flammen für Teile des Publikums sicher unbefriedigend sein. Der Film ist eher Stimmungsbild einer Ausnahmesituation als eine wirkliche Geschichte.
OT: „Notre Dame brûle“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 2021
Regie: Jean-Jacques Annaud
Drehbuch: Jean-Jacques Annaud, Thomas Bidegain
Musik: Simon Franglen
Kamera: Jean-Marie Dreujou
Besetzung: Samuel Labarthe, Jean-Paul Bordes, Mikaël Chirinian, Garlan Le Martelot, Dimitri Storoge
Wer mehr zu dem Film erfahren möchte: Wir haben den berühmten französischen Regisseur Jean-Jacques Annaud bei der Deutschland-Premiere von Notre-Dame in Flammen getroffen und uns im Interview mit ihm über sein Drama und Helden unterhalten.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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César | 2023 | Beste visuelle Effekte | Laurens Ehrmann | Sieg |
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