Liebe auf den ersten Blick erscheint wie ein Mythos für Asako (Erika Karata), als sie eines Tages durch einen Zufall Baku (Masahiro Higashide) kennenlernt und sofort wie verzaubert ist von dem selbstsicheren jungen Mann. Entgegen den Warnungen ihrer besten Freundin, die meint, ihr neuer Freund würde nichts Gutes im Schilde führen und ihr nur Unglück bringen, beginnen Baku und Asako eine Beziehung. Beide können scheinbar nicht ohne einander sein und sind unzertrennlich, auch wenn Bakus Verhalten durchaus etwas seltsam ist, denn bisweilen verschwindet er über Stunden, manchmal sogar Tage. Nachdem dies das erste Mal passiert ist, ist die junge Frau verstört und verwirrt, doch Bakus Bekannte kennen dieses Verhalten bereist und beteuern, er werde mit der Zeit schon wieder auftauchen.
Eines Tages jedoch bleibt Baku wie vom Erdboden verschluckt und auch seine Freunde wissen nicht mehr weiter, sodass Asako in eine tiefe Krise stürzt, die letztlich auch dazu führt, dass sie von Osaka nach Tokio zieht, wo sie einen neuen Job in einem kleinen Café annimmt und eine neue Wohnung mietet. Trotz des neuen Umfeldes lässt sie die Erinnerung an ihre erste große Liebe nicht mehr los, und sie meint immer wieder Baku zu sehen, besonders als sie bei einem Catering für das Unternehmen, in dem er arbeitet, Ryohei (ebenfalls Higashide) sieht, der Baku sehr ähnlich sieht. Während Asako jedoch ihren Irrtum letztlich einsieht und auf Distanz geht, will Ryohei die junge Frau näher kennenlernen, trifft sich mit ihr und verliebt sich in sie.
Ein anderer Doppelgänger
Nach dem beachtlichen Erfolg seines Filmes Happy Hour, insbesondere außerhalb seiner Heimat Japan, auf internationalen Festivals, widmete sich Regisseur Ryusuke Hamaguchi in seinem nächsten Projekt der Verfilmung eines Romans der Schriftstellerin Tomoka Shibasaki. Bereits beim ersten Lesen hatten ihn, wie er in Interviews erklärt, besonders die Figuren angesprochen und ihre Beziehungen, was den Grundstein legte für einen Film, der sein erstes vor allem kommerziell ausgelegtes Projekt werden sollte. Asako I&II, wie der Film im Ausland genannt wurde, manifestierte den Ruf seines Regisseurs, unter anderem durch alleine sechs Auszeichnungen bei dem Yokohama Film Festival.
In Deutschland hat Hamaguchis Film bislang keine Kino- oder gar Heimkinoauswertung erfahren, was sich nach seinem Oscargewinn mit Drive My Car vielleicht ändern könnte. Zumindest legt der TV-Sender Arte mit einer Ausstrahlung unter dem Titel Ob wir schlafen oder wachen das Fundament für die Rezeption des frühen Werkes des Regisseurs. Dieses hat vor allem seine Wurzeln in der Literatur, insbesondere im Theater, sowie in der Kunst, wobei in Ob wir schlafen oder wachen besonders die Fotografie eine wichtige Rolle spielt. Eine Fotoausstellung, vor allem die Fotografien eines Ehepaares und die von Zwillingsschwestern, stellen so etwas wie die Rahmung des Filmes, und stehen passenderweise für den Übergang vom ersten in den zweiten Akt, von der ersten hin zur zweiten Liebe der Protagonistin. Diese wiederkehrenden Themen sowie die Struktur dieses Filmes wie auch der anderen Werke Hamaguchis verweisen auf jene europäische Kulturtradition, der sich der Regisseur und Drehbuchautor verpflichtet wird, ohne dabei die Identität der Geschichte als eine in Japan spielende zu ignorieren.
„Traumfresser“ und ein neues Japan
Im Gegensatz zur Romanvorlage nimmt sich Hamaguchi sehr viele Freiheiten, gerade was die Zeichnung der Figuren Baku und Ryohei angeht. Die Doppelbesetzung Masahiro Higashides betont die Zweiseitigkeit eines Menschen, erscheinen die beiden Männer doch wie Gegenpole, zu denen sich die Protagonistin in gleicher Weise hingezogen fühlt. Zugleich verweist dies auf einen Zwiespalt in der Figur Asako, was in dem englischen Titel, welcher bereits erwähnt wurde, impliziert wird, auf Aspekte wie Unentschlossenheit oder den Gegensatz von Konvention und Freiheit hindeutet, was mit den beiden Figuren Baku und Ryohei anscheinende verbunden ist. Ist der eine der „Traumfresser“, wie ihn eine Freundin Asakos verächtlich nennt, steht der andere für eine Konsistenz und Stabilität, welche die Protagonistin, wie viele ihre Freundinnen sucht.
Auch die Zeitspanne, die von der Geschichte abgedeckt wird, ist eine andere und umschließt zudem das für Japan schicksalshafte 2011 sowie die Fukushima-Katastrophe. Die Begegnung Asaskos und Ryohei, die, nach dem ersten gewaltigen Erdbeben, sich in den Straßen der japanischen Hauptstadt suchen und finden, scheint einen Beginn von etwas zu verdeutlichen wollen, welcher aber zugleich auf der nicht überwundenen Vergangenheit aufbaut. Über die Liebesgeschichte seiner Figuren blickt Hamaguchi somit auch auf die Zukunft seiner Heimat, dessen Rollenbilder und die Möglichkeit, die Vergangenheit zu verarbeiten.
OT: „Netemo Sametemo“
Land: Japan
Jahr: 2018
Regie: Ryusuke Hamaguchi
Drehbuch: Ryusuke Hamaguchi, Sachiko Tanaka
Vorlage: Tomoka Shibasaki
Musik: Tofubeats
Kamera: Yasuyuki Sasaki
Besetzung: Masahiro Higashide, Erika Karata, Koji Seto, Rio Yamashita, Sairi Ito, Daichi Watanabe
Cannes 2018
Toronto International Film Festival 2018
International Film Festival Rotterdam 2019
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