Bjørn (Morten Burian) und Louise (Sidsel Siem Koch) lernen beim Urlaub in der Toskana Patrick (Fedja van Huêt) und Karin (Karina Smulders) kennen. Die beiden Paare verstehen sich gut, weswegen Bjørn und Lousie einige Monate später eine Einladung von Patrick und Karin erhalten, sie in ihrem Haus in den Niederlanden zu besuchen. Vor Ort wird jedoch schnell klar, dass die Magie des Urlaubs nicht dauerhaft anhält. Die Atmosphäre wird stets unangenehmer und obwohl irgendetwas bei Patrick und Karin nicht zu stimmen scheint, fahren Bjørn und Louise einfach nicht nach Hause.
Das Festhalten an Konventionen
Speak No Evil ist ein beeindruckendes Lehrstück über die Absurdität leerer Höflichkeiten und dem Festhalten an Konventionen. Er kreiert ein alltägliches Szenario, stellt dies und seine Figuren aber gehörig auf die Probe. Eine Einladung, im Urlaub kennengelernte Menschen zu besuchen, haben viele schon Menschen erhalten, doch nur wenige kommen bei solchen Besuchen auch über freundlichen Smalltalk hinaus.
Solche Urlaubsbeziehungen sind Beziehungen, die vor allem durch Konformität und Höflichkeit zusammengehalten werden. Man lächelt, bedankt sich und versucht ein guter Gast zu sein, während die andere Partei selbiges beim Gastgeben versucht. Ein Szenario, dem eine unausgesprochene, aber häufige raumvereinnahmende Unbequemlichkeit innewohnt. Doch was passiert, wenn eine Partei mit dieser Konvention bricht? Würde die andere Partei sich beschweren oder sogar gehen? Vermutlich nicht.
So zumindest die These des Films. Speak No Evil experimentiert mit dem Szenario und zeigt eindrucksvoll die Untätigkeit, fast schon Unfähigkeit seiner Figuren, sich zu wehren. Zu groß sind die Hemmungen, selbst gegen die Etikette zu verstoßen. Und so frisst sich der Unmut nicht nur mehr und mehr in die Figuren, sondern auch das Publikum hinein. Sagt doch etwas, möchte man schreien, doch man sieht nur wie Dreistigkeit um Dreistigkeit hingenommen wird.
Der psychologische Fokus liegt dabei klar auf Bjørn und Louise. Warum Patrick und Karin tun, was sie tun, spielt keine Rolle. Entscheidender ist, wieso Bjørn und Louise weder wegfahren, noch Konflikt suchen. Neben der bereits angesprochenen Thematik der Konformität, stellt der Film noch eine zweite Begründung dafür in den Raum, die sich vor allem an Bjørn zeigt. Denn trotz all der Unannehmlichkeiten, die sie bereiten, bewundert er auch Patrick und Karin für ihre Nonkonformität. Sie tun, was sie wollen und erreichen damit einen Part in Bjørn, den sicherlich viele in sich tragen. Der Wunsch, einfach mal loszulassen, sich gehen zu lassen.
Satirische Note
Wie zu vermuten ist, besitzt der Film einen starken sozialkritischen und satirischen Ansatz, der sich in verschiedener Hinsicht zeigt. Zunächst sind da die Figuren Bjørn und Louise, die, obwohl sie die Opfer sind, stets auch als selbstverantwortlich dargestellt werden. Sie könnten die Situation jederzeit verlassen, tun es aber schlicht nicht und steuern somit selbst ins Unglück. Sie sind feige, bequem und spießig. Ihre Ehe, aber auch ihre Lebensentscheidungen werden immer wieder gerade vom charismatischen Patrick, der übrigens hervorragend gespielt wird, vorgeführt. Die Figuren erinnern mit dieser Charakterisierung beispielsweise an die Figuren Ruben Östlunds und werden immer wieder ihrer Unfähigkeit Preis gegeben.
Doch nicht nur die Figuren dienen hier als Opfer der Satire, sondern auch ihre Aktivitäten sind nicht davon zu trennen. Pseudo-kultureller Pauschalurlaub und Urlaubsdynamiken werden genauso infrage gestellt wie das Festhalten an konventionellen Höflichkeiten. Letztlich kritisiert der Film einen gesamten Lebensstil, der sehr umfassend gestaltet wird und stellt diesem sein komplettes Gegenteilteil gegenüber. Patrick und Karin sowie den Lebensstil, den sie verkörpern, ist damit mehr funktional und allegorisch als alles andere.
Nichts für schwache Nerven
Auch wenn bis dato viel von Sozialkritik und Satire gesprochen wurde, darf man bei Speak No Evil allerdings keine Komödie erwarten. Speak No Evil ist ein sehr harter und unfassbar düsterer Horrorfilm, der vor allem für seine letzten fulminanten 20 Minuten in Erinnerung bleibt. Doch auch auf dem Weg dahin wird nicht mit Atmosphäre gespart. Denn die angesprochene unangenehme Atmosphäre, die in von Konvention vereinnahmten Situationen entsteht, ist wunderbar dafür geeignet.
Regisseur und Co-Autor Christian Tafdrup verzichtet dabei auf die Darstellung des Übernatürlichen und die Nutzung billiger Jump Scares. Stattdessen schafft er es, den zwischenmenschlichen Horror in den Fokus zu stellen und das Unausgesprochene zwischen seinen Figuren bestmögliche abzuschöpfen.
Dafür hilfreich ist auch die gelungene Inszenierung, die mit sehr kalten, konstruiert wirkenden Bildern und einem sehr präzisen Framing für ein Gefühl der Isolation und Unsicherheit sorgt. Dazu kommt die häufige Verwendung religiöser Symboliken, die dem Ganzen ein zusätzlich schwermütiges Gefühl verleihen.
OT: „Speak No Evil“
Land: Dänemark, Niederlande
Genre: Horror
Jahr: 2022
Regie: Christian Tafdrup
Drehbuch: Christian Tafdrup, Mads Tafdrup
Kamera: Erik Molberg Hansen
Musik: Sune Kølster
Besetzung: Morten Burian, Sidsel Siem Koch, Fedja van Huêt, Karina Smulders, Liva Forsberg, Marius Damslev
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir haben uns mit Regisseur Christian Tafdrup über Speak No Evil unterhalten. Im Interview sprechen wir über Alltagshorror, falsche Höflichkeit und die Sehnsucht nach Dunkelheit.
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