
Als Simon Fischer (Christian Bayer) bei der Polizei anruft und seine Frau als vermisst meldet, ist das Schlimmste zu befürchten. Schließlich werden in dem Haus Blutspuren gefunden, die mutmaßlich von der Vermissten stammen. Dabei macht Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) unmissverständlich klar, dass Fischer selbst möglichst schonend behandelt werden soll. Anweisung von oben. So ganz halten sich Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) aber nicht an die Direktive, denn so richtig trauen die beiden der Geschichte nicht, die der Ehemann da erzählt. Hat er womöglich selbst etwas mit dem Verschwinden zu tun? Ist etwas an den Vorwürfen dran, dass er seine Frau misshandelt hat?
Problemthema Häusliche Gewalt
Auch wenn der Tatort in erster Linie dem großen Krimiziel folgt, den Mörder oder die Mörderin zu finden, innerhalb der Reihe gibt es immer wieder Titel, die etwas größere inhaltliche Ambitionen verfolgen. Gerade gesellschaftliche Themen tauchen auf diese Weise regelmäßig auf, sei es nun rechte Gewalt, Korruption oder sonstige Missstände. Die Idee: Klassische Spannung soll mit Denkanstößen verbunden werden, zumindest aber einer Bestandsaufnahme eines aktuellen Deutschlands. Das gilt dann auch für Das kalte Haus, den 1203. Teil der ARD-Krimireihe. Dieses Mal geht es um den Themenkomplex häusliche Gewalt, das seit der #MeToo-Bewegung vor einigen Jahren deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Manche werden sich an der Stelle vielleicht fragen, ob es für eine solche Geschichte einen Unterhaltungskrimi gebraucht hätte oder nicht vielleicht doch ein Drama die bessere Wahl gewesen wäre. Tatsächlich stellt sich aber bald heraus, dass diese Idee ganz clever ist. Anders als viele andere Teile der Reihe ist Tatort: Das kalte Haus kein wirklicher Whodunnit, bei dem man unter mehreren Verdächtigen die richtige Person finden muss. Vielmehr geht es um die Frage, ob der Ehemann nun ein Täter ist oder nicht. Damit greift der Film auf eine Grundproblematik zurück, die bei dem Thema aufkommt: Wie soll man mit einem Vorwurf umgehen, der sich nicht beweisen lässt? Das ist bekanntlich gerade bei mutmaßlichen Vergewaltigungen ein großes Problem, die traditionell schwer zu einer Verurteilung führen. Damit einher geht der Gegensatz von Intuition und Fakten sowie die Überlegung, worauf es bei einer erfolgreichen Ermittlung ankommt.
Unheimlich unterhaltsam
Das klingt ein bisschen nach Meta-Krimi. Ganz so weit geht es bei Tatort: Das kalte Haus dann aber doch nicht, da werden eher verschiedene Modelle vorgestellt, anstatt diese zu dekonstruieren. Genauso muss das Publikum nicht befürchten, mit einem rein dogmatischen oder einseitig moralisierenden Film bedrängt zu werden. Anne Zohra Berrached legte ebenso sehr Wert darauf, dass ihr Film als Abendunterhaltung funktioniert. Tatsächlich gelingt es der Regisseurin und Drehbuchautorin, trotz eines sehr überschaubaren Settings und weniger Figuren die Spannung bis zum Schluss zu halten. Man weiß hier weder, ob der Verdächtige wirklich schuldig ist, noch was denn die Alternative wäre. Die bequemste Antwort wäre natürlich, dass der Mann sie ermordet hat und nun so tut, als wäre es jemand anderes gewesen, umso mehr da er auch aufgrund seiner gesellschaftlichen Verbindungen das ideale Feindbild gibt.
Aber einfache Antworten sind bei Berrached nicht zu erwarten. Bei Die Welt wird eine andere sein beschäftigte sie sich mit der Verantwortung innerhalb einer Beziehung. Auch bei Liebeswut, dem vorangegangenen Tatort, war vieles nicht so, wie es zunächst erscheint. Inszenatorisch ist die Filmemacherin dieses Mal etwas weniger experimentell. Ein wenig surreal ist aber auch Das kalte Haus, gerade zu Beginn, wenn man kurz den Eindruck hat, in einem Haunted House Horror gefangen zu sein. Ein übernatürliches Element kommt anschließend zwar nicht, dafür stürzt die Regisseurin sich, die Figuren und das komplette Publikum in eine alltägliche Hölle. Das fängt schon unheimlich an, ein paar Wendungen später fühlt man sich endgültig in einem Abgrund verloren.