Südkorea im Jahr 1953: Nichts weist darauf hin, dass der Tag in dem kleinen Teehaus anders sein könnte als sonst. Die Leute sind wie immer zusammengekommen, um miteinander zu trinken, sich zu unterhalten, über Kultur und Politik auszutauschen. Doch dann steht auf einmal der Polizist Ki-chae Kim (Sang-Kyung Kim) vor ihnen und verkündet, dass Doo-hwan Baek tot sei. Für die Anwesenden ist das ein ziemlicher Schock, gehörte der Dichter doch ebenfalls zu den Stammgästen des Teehauses. Schlimmer noch, er wurde ermordet und sie alle seien verdächtig, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Während sie sich über den Verstorbenen unterhalten, aber auch darüber, was sie alle in der fraglichen Zeit getan haben, tauchen sie immer tiefer in die Vergangenheit ein …
Kulturexport Südkorea
In den letzten Jahren wurde die Kultur Südkoreas zu einem absoluten Exportschlager. Neben K-Pop-Bands, die plötzlich weltweit gefragt waren, legte auch der Film- und Serienbereich deutlich zu, kommerziell wie auch im Hinblick auf das Ansehen. Parasite wurde zu einem Kassenerfolg, der sowohl in Cannes wie auch bei den Oscars abräumte. Die Netflix-Serie Squid Game war ebenfalls ein Phänomen, das weltweit ein Publikum in seinen Bann zog. Diese neue Popularität macht sich auch im hiesigen Angebot bemerkbar: Auf einmal entdecken hiesige Verleihe und Vertriebe an allen Ecken und Enden südkoreanische Filme, die Jahre später auf DVD erscheinen. Mit 12th Suspect schafft es ein solcher sogar in die Kinos – drei Jahre nach dem Start in der Heimat.
Über Sinn und Zweck solch verspäteter Veröffentlichungen kann man natürlich immer diskutieren. Zumindest im vorliegenden Fall darf man sich aber glücklich schätzen, dass der Film doch noch seinen Weg zu uns gefunden hat. Die Jahreszahl 1953 wird dabei natürlich bei einigen bereits eine gewisse Vorahnung wecken: 12th Suspect wird irgendwie auf den zurückliegenden Koreakrieg Bezug nehmen, der in eben diesem Jahr zu Ende ging. Thriller, die in irgendeiner Form auf der Teilung basieren, gibt es zwar nicht eben wenige. Oft müssen dann irgendwelche ganz großen Gefahren abgewendet werden. Es ist die Zeit der Geheimagenten oder anderer Helden, die unter dem Einsatz ihres Lebens ihr Heimatland beschützen. Die Zeit unmittelbar nach der Teilung bzw. dem Krieg ist hingegen ein recht selten angewandtes Setting.
Wer hat den Mord begangen?
Aber auch das Genre ist anders. Zwar wird 12th Suspect als Thriller verkauft. Doch erst im weiteren Verlauf wird diese Einteilung gerechtfertigt. Die erste Hälfte ist eher ein Krimi. Genauer erinnert das Szenario an die klassischen Whodunnit-Krimis, bei denen auf eine Leiche eine Reihe von Verdächtigen kommen. Der südkoreanische Film greift dies in seinem Titel auch vorweg. Ungewöhnlich ist dabei jedoch das Setting. Bei Agatha Christie etwa gibt es zum Ende der Geschichte hin die Situation, dass die ermittelnde Hauptfigur alle Verdächtigen in einem Raum versammelt und mit ihnen zusammen den Fall noch einmal durchgeht. Regisseur und Drehbuchautor Myoung-Sung Ko stellt dies an den Anfang. Der Raum, in dem sich immer alle treffen, wird hier zum alleinigen Setting. Von einigen wenigen Szenen abgesehen werden wir das Teehaus bis zum Schluss nicht mehr verlassen.
Das verleiht dem Film eine gewisse Kammerspiel-Anmutung. Auch die sehr dialoglastige Ausrichtung verstärkt den Eindruck, dass es sich hierbei eigentlich um ein Theaterstück handelt, das verfilmt wurde. Viel Handlung gibt es nicht, erst zum Ende hin werden die Figuren aktiver. An Spannung mangelt es dennoch nicht. Zum einen trägt das etwas heruntergekommene und düstere Teehaus zu einer sehr bedrückten, beklemmenden Stimmung bei, die keinen Zweifel daran lässt: Das geht nicht gut aus. Außerdem will man natürlich schon wissen, wer denn der Mörder oder die Mörderin war. Da unterscheidet sich 12th Suspect nicht von anderen Krimis, wenn wir mehr und mehr über die Figuren und ihre jeweiligen Geschichten erfahren.
Überraschende Wendungen
Das bedeutet zwangsläufig auch, dass einiges, was wir anfangs noch für gegeben halten, später in Frage gestellt wird. Tatsächlich schlägt Ko in seinem Drehbuch so manchen Haken, den selbst ein genreaffines Publikum nicht vorhersehen wird. Zum Ende sind es so viele, dass einem schon etwas schwindlig sein kann. Das wird auch nicht unbedingt allen gefallen, wenn da auf einmal der Film auf den Kopf gestellt wird. Sehenswert ist es aber, im Gegensatz zu vielen „normalen“ Krimis bleibt einem 12th Suspect stärker in Erinnerung. Abgerundet wird dies von einem guten Ensemble, das in den entsprechenden Szenen auch die notwendige Wandlungsfähigkeit mitbringt. Zu einem weltweiten Phänomen wird der Film zwar kaum kommen, eine Bereicherung für das hiesige Kino ist er aber allemal.
OT: „Yeoldu beonjjae yongeuija“
Land: Südkorea
Jahr: 2019
Regie: Myoung-Sung Ko
Drehbuch: Myoung-Sung Ko
Musik: Jawan Koo
Kamera: Jong-Chul Park
Besetzung: Sang-Kyung Kim, Sung-Tae Heo, Sun-Young Park, Dong-Young Kim, Ji-An Han, Won-Young Jan, Ji-Soon Jung, Ji-Hoon Kim, Yeon-Woo Nam, Hee-Sang Kim, Do-Yul Na, Sung-Jin Nam, Bang-Woo Dong
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)