1978 in einer kleinen Vorstadt in Colorado: Das Leben des 13-Jährigen Finney (Mason Thames) ist alles andere als einfach. So leiden er und seine jüngere Schwester Gwen (Madeleine McGraw) unter dem Verlust ihrer Mutter sowie den Gewaltausbrüchen ihres alkoholkranken Vaters (Jeremy Davies). Und auch an der Schule gibt es immer wieder Probleme, wenn er zur Zielscheibe einiger Bullys wird, die ihn regelmäßig verprügeln wollen. Dabei beschäftigt die Menschen noch ein ganz anderes Thema: Immer wieder verschwinden Kinder und Jugendliche spurlos, trotz intensiver Suchanstrengungen weiß niemand, wo diese gelandet sind. Was anfangs noch weit weg erscheint, wird für Finney bald zu einer erschreckenden Realität, als nicht nur sein bester Freund fort ist, sondern auch er selbst von einem Unbekannten (Ethan Hawke) entführt wird, den sie alle nur Grabber nennen …
Bestes Horrorkino
Während Stephen King natürlich ein allgegenwärtiger Name ist, der bis weit über seine Fangrenzen hinaus den Menschen ein Begriff ist, ist sein ebenfalls schreibender Sohn Joe Hill sehr viel weniger bekannt. Dass er dabei durchaus Talent hat, beweisen nicht nur diverse Preise, die er für seine Geschichten eingeheimst hat, sondern auch zwei Adaptionen seiner Werke, die auf Netflix erschienen sind. Im hohen Gras basiert auf einer Novelle, die Joe zusammen mit seinem Vater geschrieben hat. Locke & Key hat eine von ihm verfasste Comic-Reihe als Vorlage. Die bislang beste Adaption The Black Phone ist nun aber im Kino zu sehen. Die Grundlage hierfür lieferte die gleichnamige Kurzgeschichte aus dem Jahr 2004, erschienen in dem Band 20th Century Ghosts.
Geister spielen dann auch in The Black Phone eine größere Rolle, wobei man nach Möglichkeit vorher nicht zu viel erfahren sollte. In der offiziellen Inhaltsbeschreibung wird ein Großteil davon zwar verraten. Im Film selbst kommen diese Stellen aber erst sehr viel später dran. Stattdessen ist das hier über weite Strecken zunächst ein Drama über eine dysfunktionale Familie, die gefangen ist zwischen Repression und Trauer. Gleichzeitig begegnen die beiden Kinder der Welt aber auch mit Neugierde, freuen sich auf das weitere Leben. Vor allem Finney steht dabei im Mittelpunkt, der erste Gefühle für eine Mitschülerin entwickelt und in Freundschaften ersten Halt findet. Dieser ist umso wichtiger in einer Welt, die von Gewalt und Verlust geprägt ist, das Glück immer von einer sehr flüchtigen Natur ist.
Spannender Blick in den Abgrund
Erst mit der Zeit wendet sich das Coming-of-Age-Drama stärker der Genrerichtung hin. Scott Derrickson (Sinister) darf nun erneut beweisen, warum er einer der effektivsten Horror-Regisseure unserer Zeit ist. Klar, unheimlich ist The Black Phone schon vorher. Es gelingt dem Filmemacher sehr gut, eine unheilvolle Stimmung zu erzeugen. Man weiß hier einfach, dass etwas Schlimmes noch geschehen wird. Personifiziert wird dieses Schlimme durch Ethan Hawke, der in der Rolle des undurchsichtigen Entführers voll aufgeht. Grotesk verkleidet wird er gleichzeitig zum Teufel und doch auch zu einer traurigen Gestalt. Wie eine tragische Ausgabe des mordenden Clowns Pennywise aus Es. Der Entführer genießt die eigene Bosheit nicht, sondern ist selbst ein Gefangener von ihr.
Wie sein Vater in dem genannten Werk setzt Joe Hill in The Black Phone diesen Abgründen eine größere Solidarität entgegen. Dies wird nicht nur in den Szenen vor der Entführung deutlich: Vor allem die Szenen zwischen Finney und seiner Schwester sind beeindruckend, wenn ein starkes Band sie zusammenhält, dem nichts und niemand etwas anhaben kann. Aber auch im Kerker eingesperrt wird der Film nicht zu einer One-Boy-Show. Der Kampf gegen das Böse bleibt ein gemeinsamer: Viele Figuren arbeiten zusammen, um den Grabber zu stoppen. Nur nimmt diese Zusammenarbeit etwas andere Formen an, als man zunächst erwarten würde.
Mitreißend gespielt und fantastisch bebildert
Das ist mit viel Spannung verbunden. Wie in einem Computerspiel startet Finney die unterschiedlichsten Anläufe, wie er aus dem Gefängnis entkommen kann. Bei jedem neuen darf das Publikum mitzittern: Wird es dieses Mal klappen? Aber auch: Welche der vielen unterschiedlichen Rädchen, die sich im Laufe der Zeit in Bewegung setzen, wird welche Folgen haben? Der Horrorthriller, der auf dem Fantastic Fest 2022 Premiere hatte, wird nach einem recht ruhigen Einstieg der Genreeinteilung doch noch gerecht. Konstant sind dafür zwei andere Punkte. Zum einen ist der Retrolook des in den späten 70ern spielenden Films fantastisch, man verliert sich in einer bekannten und doch nicht ganz wirklichen Welt. Außerdem ist das Ensemble von The Black Phone hervorragend. Neben Hawke, der hier seine Qualitäten als brutal-sadistischer Antagonist beweisen darf, begeistern vor allem die Neulinge Mason Thames und Madeleine McGraw, die als Geschwisterpaar zwei der stärksten und mitreißendsten Hauptfiguren spielen, die man in diesem Genre zuletzt hat sehen dürfen.
OT: „The Black Phone“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Scott Derrickson
Drehbuch: Scott Derrickson, C. Robert Cargill
Vorlage: Joe Hill
Musik: Mark Korven
Kamera: Brett Jutkiewicz
Besetzung: Mason Thames, Madeleine McGraw, Jeremy Davies, James Ransone, Ethan Hawke, E. Roger Mitchell
Fantastic Fest 2021
Tribeca Film Festival 2022
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