Im Jahre 1900 kommt das Mädchen Haru zur Welt, als Tochter einer armen Familie, die vom Pech verfolgt zu sein scheint. Sie kommt blind zur Welt und ihr Vater gelobt, noch härter für die Familie zu arbeiten und diese zu beschützen. Doch auch hier holt das Unglück ihn ein, denn kurz nach Harus zweiten Geburtstag stirbt ihr Vater, sodass Tome (Nakajima Hiroko) alleine ihr Kind versorgen muss. Deren Eltern haben dann die Idee, aus ihrer Enkelin eine goze zu machen, eine Musikerin und Sängerin, die, gemeinsam mit anderen Frauen, die ebenso blind sind, durch kleine Gemeinden wandern, wo sie ein Dach über dem Kopf und Verpflegung erhalten für ihre Kunst. Für Haru (als Kind gespielt von Kawakita Non, als Erwachsene gespielt von Yoshimoto Miyu) wie auch für Tome wird diese Zeit eine harte Probe. So muss haru nicht nur Stricken lernen, sondern auch den Umgang mit dem shamisen, dem Saiteninstrument, welches die goze bei ihren Auftritten spielen und auf dem sie einander bei den Liedern begleiten. Schließlich muss das Kind sogar bei großer Kälte in die Natur ziehen, um dort zu singen und das Instrument zu spielen, was ebenso ihrer Abhärtung dienen soll.
Als junge Frau wird sie dann in die Obhut einer anderen goze gebracht, wo sie nicht nur weiter an ihren Fähigkeiten auf dem shamisen arbeitet, sondern auch so etwas wie eine liebevolle Gemeinschaft erfährt, hat die ältere Frau doch Mitleid mit ihr und bringt ihr bei, wie die Hierarchie innerhalb der goze funktioniert und welche Verantwortung jedes Mitglied der Gruppe hat. Doch auch dieses Glück ist nur von kurzer Dauer.
Ein lebender Nationalschatz
Als 2005 Haru Kobayashi im Alter von 105 Jahren in ihrer Heimat starb, ging damit auch der Stand der goze zu Ende, einer Bezeichnung für blinde Künstlerinnen, die Zeit ihres Lebens und nach einer harten Ausbildung durchs Land zogen und vor allem kleine Gemeinden mit ihren Liedern unterhielten. Auf Regisseur Masaharu Takizawa übte die Geschichte Kobayashi eine besondere Faszination aus, sodass er beschloss, ihr in seinem Film The Last Goze, der im Rahmen des Japan Filmfest Hamburg seine Europapremiere feiern wird, ein Denkmal zu setzen, womit er zugleich einen interessanten Einblick in die Geschichte eines Landes gibt, insbesondere des Frauenbildes.
Auch wenn die Geschichte, die The Last Goze erzählt, mehrere Jahrzehnte abdeckt, meint der Zuschauer doch, die Zeit würde stillstehen im Leben der Protagonistin. Die Gemeinden, durch die sie als Kind und später als junge Erwachsene zieht, scheinen ebenso in einer Zeit zu verweilen, die sich in einem Übergang befindet oder die Moderne noch nicht mitbekommen hat. Einzig die sich verändernden Garderobe des Publikums deutet an, dass sich etwas tut außerhalb der Welt dieser Frau, die von all dem scheinbar nicht oder nur wenig mitbekommt. Die Kamera wie auch der Ansatz des Drehbuchs, an dem Takizawa mitschrieb, nähert sich dieser Figur mit einer gewissen Ehrfurcht und einer Distanz, die zum einen Bewunderung für Haru ausdrückt, sie aber gleichzeitig als Repräsentantin einer Ära versteht, die sich mit ihr einem Ende neigt. In gewisser Weise spiegelt dies das Publikum wider, welches den Liedern Harus lauscht, das immer älter wird und sich an eine Zeit zu erinnern scheint, die für immer vorbei ist, doch zu der sie sich für die Dauer jenes Liedes für einen Moment abermals Zugang verschaffen können. So bewegt sich auch The Last Goze zwischen Melancholie und Nostalgie, zwischen Verklärung und Erinnerung.
Zwischen Abhärtung und Liebe
Insgesamt gliedert Takizawa seinen Film in zwei Teile, wobei der erste die Kindheit und der zweite die Jugend und das frühe Erwachsenenalter der Protagonistin zeigt. Sowohl Kawakita wie auch Yoshimoto geben eindrucksvolle Darstellung einer Frau, die sowohl körperlich wie auch emotional einiges erleiden muss, was deutliche Spuren bei ihr hinterlässt. Die frühe, von der Mutter auferlegte Prüfung, einen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen, wird zu einer Metapher für jenen Prozess der Abhärtung, der für jemanden wie Haru als notwendig erachtet wurde, als Schutz, emotional wie auch körperlich, vor der Welt dort draußen, die keine Gefangenen macht und die hinter sich lässt, wenn sie nicht mithalten kann oder zu schwach ist. Das Durchhalten, das Weitermachen und das Verschließen wird zu einem Narrativ für eine ganze Ära in The Last Goze, wobei sich die Protagonistin ihre Liebe erhält, trotz der Prüfungen, denen sie ausgesetzt wird.
Mit seinem Film knüpft Takizawa an die Tradition eines Kenji Mizoguchi an, dessen Charaktere oftmals unglaubliche Prüfungen und Entbehrungen auf sich nehmen müssen, bevor sie letztlich sie so etwas wie eine Erlösung erfahren dürfen. In The Last Goze bleibt jedoch jene letzte Instanz der schon beinahe kritischen Instanz aus, welche jene Ideale oder Phänomene der Zeit mit einer Distanz betrachtet, wenn auch die schauspielerische Leistung auf einem durchaus Niveau ist, welches einen solchen Perspektivwechsel zulässt.
OT: „Goze“
Land: Japan
Jahr: 2020
Regie: Takizawa Masaharu
Drehbuch: Takizawa Masaharu, Kato Arai, Shiina Isao
Musik: Matsui Eiko
Kamera: Sasaki Hideo, Iju Moritada
Besetzung: Kawakita Non, Yoshimoto Miyu, Nakajima Hiroko, Togashi Shin, Suzuki Seina, Miyashita Junko, Kusamura Reiko, Kobayashi Ayako
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