Ist das ein bloßer Traum oder ein reales Menschheitsprojekt? Ost und West durch einen Eisenbahntunnel unter der Beringsee zusammenzubringen? Fest steht, dass es Pläne dafür seit dem russischen Zarenreich gibt. Zu den Fans der gigantischen Idee zählt der US-amerikanische, in Berlin lebende Dokumentarfilmer Rick Minnich. Er hat einen alten Tunnelbauer und einen jüngeren Bahn-Enthusiasten auf ihrer Werbetour für das Projekt begleitet, 8000 Kilometer von Amerika bis Moskau. Das war 2018, als Donald Trump noch Präsident der USA war. Inzwischen hat sich die weltpolitische Lage gravierend geändert. Zwar ist der verkehrspolitische Vorschlag für Frieden, Fortschritt und Wohlstand eh nicht auf kurzfristige Zeithorizonte ausgelegt. Trotzdem bleibt die Frage, wohin der Zug fährt: ins Nirgendwo oder zum ewigen Frieden?
Nur 80 Kilometer
Kurz die geografischen Fakten: Nur 80 Kilometer trennen Eurasien und Nordamerika an der schmalsten Stelle hoch oben in Alaska, wo manche mit Booten hinüber ins russisch-sibirische Jakutien fahren. Vor 20.000 Jahren, so erzählen es Texttafeln zu Beginn des Films, gab es hier sogar eine Landbrücke. Asiaten wanderten damals hinüber nach Alaska. Doch dann stieg der Meeresspiegel, und seit 9.000 Jahren sind von der Landbrücke nur zwei Inseln übrig. Die kleine Diomedes-Insel gehört zu Alaska, die nur drei Kilometer entfernte Ratmanow-Insel zu Russland. Mitten zwischen ihnen verlief einst der Eiserne Vorhang. Würde der Eisenbahntunnel Wirklichkeit, den der Amerikaner George M. Koumal 1986 erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, entstünde auf jeder der Inseln ein Bahnhof.
Regisseur Rick Minnich plant schon seit zehn Jahren einen Film über George und sein Vorhaben, den globalen Warenhandel auf eine ganz neue Grundlage zu stellen. Durch den 100 Kilometer langen Tunnel unter dem Meeresboden könnten Güter- und Personenzüge von Paris über Moskau quer durch Asien hinüber nach Alaska und durch Kanada bis Washington fahren – im Prinzip auch weiter bis Südamerika. Die Welt würde enger zusammenrücken, der Transport billiger. Aber niemals in der jüngeren Vergangenheit haben die Präsidenten der USA und Russlands sich ernsthaft mit Georges Tunnelbauentwürfen beschäftigt. Inzwischen ist der Mann 76 und hat 300.000 Dollar privates Geld in seinen Traum investiert. Da meldet sich der Logistikexperte Scott R. Spencer bei ihm. Er will das bevorstehende Aus abwenden. Mit ihm kommt zudem eine reizvolle Reise-Idee in den Film. Scott wagt mit George und dessen Weggefährten Joe einen neuen Anlauf, um entlang der geplanten Strecke für die „Interkontinentale Eisenbahn“ zu werben.
In erster Linie ist The Strait Guys ein dokumentarisches Roadmovie. Das Filmteam fährt über Anchorage hoch hinauf in den Norden, zu den Ureinwohnern, hinüber zu den Inseln, nach Jakutien und Moskau. Es filmt die erhabenen Landschaften nahe des ewigen Eises und die Treffen mit Bürgermeistern, Gemeinderäten, russischen Delegierten sowie Vertretern des Parlamentes. Schnell wird deutlich: Mit offenen Armen werden George und Scott nirgendwo empfangen. Zu futuristisch und zu umwälzend erscheint ihr Vorhaben. „Ein Märchen“ nennt es einmal ein russischer Funktionär, solange Moskau und Washington die interkontinentale Verbindung nicht zur gemeinsamen Chefsache machen.
Ein Mammutprojekt
Scott und George gehen ganz unterschiedlich mit diesen Signalen um. Scott hat sich von vornherein auf das Bohren dicker Bretter eingestellt. Aber dem alten George läuft die Zeit davon. Er reagiert ungeduldig, gereizt und zunehmend frustriert. Auf diese Weise entwickelt sich der Film auch zu einer Studie über das Scheitern im Alter. Die großen Träume sind ausgeträumt, die Kräfte schwinden. Schon als Kind hatte der in Tschechien geborene George die Amerikaner als Nachbarn der damaligen Sowjetunion betrachtet, nicht als Todfeinde. Später als Tunnelbauer in den USA wollte er Brückenbauer sein. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als im Fernsehen einen Bericht über sein Projekt zu sehen. Nun erfüllt sich der Wunsch wenigstens in den Kinosälen.
Rick Minnich macht früh klar, mit wie viel Wärme und Herzblut er Idealisten wie George betrachtet. Kritische Einwände gegen das Mammutprojekt lässt er in seinem Partei nehmenden Film weitgehend außen vor. Dabei dürften sie sich den meisten Zuschauerinnen und Zuschauern geradezu aufdrängen. Gibt es überhaupt einen ökonomischen Bedarf nach neuen Transportwegen? Lohnt es sich, dafür unberührte Natur zu zerstören und die Welt noch stärker in ein einziges Warenhaus zu verwandeln? Wer würde politisch von der Tunnelverbindung profitieren, außer den autokratischen Regimen in China und Russland? Und warum braucht es gerade jetzt einen solchen Film? Letztere Frage wird jeder für sich beantworten, je nachdem, wie idealistisch man veranlagt ist. Und dann sind da natürlich die Schienenfans, für die bereits die Zugreise mit der Transsibirischen Eisenbahn ein Nonplusultra darstellt.
OT: „The Strait Guys“
Land: Deutschland, Kanada, Finnland
Jahr: 2022
Regie: Rick Minnich
Drehbuch: Rick Minnich, Matt Sweetwood
Musik: Lukas Sweetwood
Kamera: Lutz Reitemeier, Sergey Amirdzhanov
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