We Met in Virtual Reality
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We Met in Virtual Reality

We Met in Virtual Reality
„We Met in Virtual Reality“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Regisseur Joe Hunting folgt mehreren Menschen im Videospiel VRChat. Dabei besucht er verschiedene Aktivitäten mit ihnen wie beispielsweise Kurse für Gebärdensprache oder Bauchtanz und lässt die Protagonist*innen über ihre Wünsche, transkontinentalen Beziehungen, Sehnsüchte und ihre VRChat-Erfahrungen sprechen. Schnell wird dabei ersichtlich, dass sich ausgerechnet hinter den kitschig anmutenden Avataren Menschen befinden, die sich einzig in der virtuellen Realität befähigt sehen, ihre Individualität zum Ausdruck zu bringen.

Grenzenlose Freiheit

Grundsätzlich schlägt Hunting einen sehr positiven Ton ein und zeigt eine Welt, die es schafft Menschen zu inkludieren, die sich am sozialen Rand befinden. Seien es Menschen mit Sozialphobie, Behinderungen oder sonstigen vermeintlichen Defiziten. Durch verschwindende Hemmungen und die technischen Möglichkeiten finden sie Anschluss. Besonders im Fokus liegt dabei eine Community mit vielen gehörlosen bzw. schwerhörigen Mitgliedern, denen durch die simple Verbindung von Spielmechaniken, Audio und Text Möglichkeiten abseits von Individualkommunikation bereits stehen, wie sie in Realität nicht umzusetzen sind.

Auch abseits dieser Community zeigt der Film Menschen, deren Leben durch VRChat einen völlig neuen Anstrich bekommen hat. Menschen, die es schaffen, durch die neu geknüpften Kontakte persönliche Probleme wie Tode im familiären Umkreis oder suizidale Gedanken aufzuarbeiten und sich ein soziales Umfeld voller Fürsorge, Freundschaft und Liebe aufzubauen. In vielen Interviews erklären sie dabei immer wieder ihre Faszination an der virtuellen Realität. Die Gründe dafür unterscheiden sich kaum: In der virtuellen Realität können sie sie selbst sein, sind frei von gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen. Optisch, geschlechtlich, charakterlich.

Fehlende Kritik

So schön und erfüllend der Film all das präsentiert, bleiben aber einige Fragen zurück. Gibt es wirklich keine Vorurteile, keine Erwartungen bzw. bilden sich in der virtuellen Realität keine neuen? Ist die virtuelle Welt so abgekapselt von der physischen, dass sich deren Strukturen nicht übertragen? Und vor allem, wie sieht die Welt außerhalb der gezeigten Communitys aus? Sind es nicht vielmehr die Mitglieder dieser, die das Leben in ihnen gestalten, als die technischen Rahmenbedingungen? Ist so eine fast schon utopische Lebensweise möglich, wenn sie sich für die ganze Gesellschaft öffnet?

Nicht nur hat We Met in Virtual Reality keine Antworten auf diese Fragen, er stellt sie nicht einmal. Ja, die gezeigten Communitys sind tolle Lebenswelten, in denen Menschen, die für sich keinen Platz in der Gesellschaft sehen, wohlfühlen und sie selbst sein können. Doch das spiegelt VRChat nicht in seiner Gänze wider.

Denn mit der schier unendlichen Freiheit, zu tun, was man möchte, kommen auch die Dinge, die nicht getan werden sollten. Der Film behandelt Themen wie Trolling, Mobbing, Hatespeech, sexuelle Belästigung und ähnliche Dinge, die in den sozialen Netzwerken zum Alltag gehören, nicht im Ansatz. Man kann es Pessimismus nennen, aber die Vorstellung, dass es bei einer prinzipiell offenen Sitzung von anonymen Menschen, die Gebärdensprache lernen wollen, nie zu Störungen durch Trolls kommt, scheint doch sehr unrealistisch. Zumal das Thema Moderation der Server vereinzelt von den Serverbetreibenden angesprochen wird. So bekommt man in einem Nebengespräch in einem virtuellen Stripclub mit, wie eine Moderatorin des Servers die Tanzenden belehrt, wie sie sich am besten bei sexueller Belästigung zu verhalten haben. Nur legt der Film auf diese Punkte keinen Fokus.

Und das ist furchtbar schade, denn so wirkt der Film phasenweise, als wolle er ein neues Gesellschaftsmodell verkaufen, das er selber noch nicht vollständig verstanden hat. Es wirkt, als sehe er nur die Chancen, die ohne Zweifel da sind, nicht aber die Risiken. Fragen, inwiefern geltendes Recht in einer globalen, virtuellen Welt umzusetzen ist, bleiben aus. Stattdessen wiederholen sich ähnliche Momente, ohne erkennbaren roten Faden.

Das „echte“ Leben?

Grundsätzlich erforscht der Film das Konzept virtueller Realitäten ziemlich wenig und fokussiert sich hauptsächlich auf seine Protagonist*innen und die emotionalen Auswirkungen VRChats auf sie. Konkrete Funktionsweisen VRChats hinsichtlich Mods und Plug-Ins oder ergänzender Hardware wie Full-Body-Trackern werden ebenfalls nicht behandelt, obwohl diese für viele der gezeigten Momente notwendig sind. Auch die sehr beeindruckenden Kameraeinstellungen, die der Film bietet, sind nur durch Mods und Plug-Ins möglich.

Doch nicht nur auf dieser funktional-technischen Ebene beschränkt sich We Met in Virtual Reality. Eine weitere Diskussion, die der Film scheut, ist die Frage nach dem „echten“ Leben. Natürlich ist das eine Diskussion, die sich nicht mal eben endgültig beantworten lässt, aber eine Dokumentation in diesem thematischen Umfeld sollte doch zumindest in Ansätzen Gelegenheit dafür bieten. Sicherlich ist es schön, die Freizeit in VRChat zu verbringen, insbesondere, wenn man dort sein soziales Umfeld hat, frei von den Zwängen des Alltags ist. Doch kann oder vielmehr sollte die virtuelle Realität mehr als nur Eskapismus sein? Sollten wir unser Leben mehr und mehr in der virtuellen Realität verbringen? Dort arbeiten, dort unseren Urlaub verbringen? Und genau dieses Bild vermittelt der Film. Es ist ein schmaler Grat zwischen der globalen Vernetzung, die uns persönliche Freiheiten erlaubt und einer dystopischen Zukunft der totalen Vereinnahmung durch Metaverses, den We Met in Virtual Reality nicht ausgiebig genug behandelt.

Credits

OT: „We Met in Virtual Reality“
Land: UK
Jahr: 2022
Regie: Joe Hunting
Kamera: Joe Hunting
Musik: Julianna Barwick, Anna Meredith, Michael Alden Hadreas

Bilder

Trailer

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We Met in Virtual Reality
Fazit
„We Met in Virtual Reality“ ist eine sehr faszinierende Dokumentation, die einen, in der Form selten gesehenen und sehr unmittelbaren Einblick in eine virtuelle Realität vermittelt. Auch wenn ihr frischer Blick durchaus seine positiven Seiten hat, bemüht sie sich nicht, ihr Thema mehrschichtig zu durchleuchten und verliert dadurch einiges an Substanz. Zwar setzt sie ihre Protagonist*innen und deren Geschichten gekonnt in Szene, hält durch den Fokus auf diese ihr großes Thema aber zu klein.
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