Nach ersten Gehversuchen als Schauspielerin und zwei Kurzfilmen drehte Charline Bourgeois-Tacquet mit Der Sommer mit Anaïs (Kinostart: 21. Juli 2022) ihren ersten Spielfilm. In der Komödie erzählt sie die Geschichte von Anaïs, die bei ihrer Arbeit an der Universität nicht recht vorankommt und bei auch privat ein heilloses Durcheinander herrscht. Wir haben uns im Rahmen der Französischen Filmwoche Berlin 2021 mit der Regisseurin unterhalten.
Deine Filmkarriere begann eigentlich als Schauspielerin. Weshalb bist du dazu übergegangen, selbst bei Filmen Regie zu führen?
Ich bin allgemein erst sehr spät zum Film gekommen. Zuerst habe ich Geisteswissenschaft studiert und im Verlagswesen gearbeitet. Erst mit 25 habe ich festgestellt, dass das eigentlich gar nicht möchte und viel lieber Schauspielerin wäre. Deswegen habe ich angefangen, mir selbst Rollen zu schreiben. 2018 kam mein Kurzfilm Pauline Asservie, in dem Anaïs Demoustier wie jetzt auch bei Der Sommer mit Anaïs die Hauptrolle gespielt hat. Dabei habe ich festgestellt, wie toll es ist, wirklich nur hinter der Kamera zu stehen und mich auf das Drehen konzentrieren zu können, anstatt Regie und Schauspiel miteinander kombinieren zu müssen.
Und wie kamst du dann auf die Idee für Der Sommer mit Anaïs?
Ich arbeite immer wieder gern mit Autobiografischem. Das Liebesdreieck in dem Film basiert auf einer eigenen Erfahrung, die ich dann in dem Drehbuch aber noch einmal deutlich überspitzt habe. Die Ausgangsbasis war, wie sich eine Frau in einen verheirateten Mann und anschließend in dessen Ehefrau verliebt. Das fand ich als Szenario schon witzig. Für mich war es aber auch eine sehr starke Geschichte, die es wert war erzählt zu werden. Außerdem hatte ich Lust darauf, das Porträt einer Generation zu entwerfen, zu der ich auch gehöre, indem ich von den existenziellen und materiellen Sorgen einer Frau erzähle, die in Paris lebt und nicht wirklich weiß, wie es in ihrem Leben weitergehen soll.
Du hast eben schon gemeint, dass Anaïs Demoustier in dem Kurzfilm und jetzt deinem Spielfilm die Hauptrolle hat. Dabei spielt sie in Der Sommer mit Anaïs nicht nur mit. Der Titel trägt auch ihren Namen. Wie groß war ihr Einfluss auf den Film?
Die beiden Rollen hatte ich geschrieben, ohne dabei an sie gedacht zu haben. Tatsächlich stand die Geschichte von Der Sommer mit Anaïs schon, bevor wir zusammen den Kurzfilm gedreht haben. Ich wäre damals überhaupt nicht davon ausgegangen, dass ich sie für meine Filme bekommen kann. Es war Anaïs’ Bruder Stéphane, der damals meinen Kurzfilm produzierte und sie für die Rolle vorgeschlagen hat. Nachdem sie bei dem mitgemacht hatte, las sie auch mein Drehbuch für den Langfilm und war begeistert davon. Sie schlug daraufhin vor, diese ganzen komischen und exzessiven Szenen noch weiter zu verstärken. Ebenso die Schnelligkeit, mit der Anaïs durchs Leben geht. Sie wollte in ihrer Rolle vereinen, wie jemand unwiderstehlich und unerträglich zugleich sein kann.
Wie waren denn deine Erfahrungen mit deinem ersten Langfilm? Was unterscheidet die Arbeit daran von dem an deinen Kurzfilmen?
Es ist sehr viel anstrengender, einen Langfilm zu drehen. Du hast bei ihm auch nicht viel mehr Vorbereitungszeit als bei einem Kurzfilm. Sechs Wochen, mehr sind es nicht. Ich habe alle Abende und Wochenenden damit verbracht, alles vorzubereiten. Das Budget war auch recht klein, weshalb ich immer wieder Kompromisse machen musste, zum Beispiel bei der Ausstattung. Der finanzielle Druck war schon sehr groß. Das Prozedere ist bei beidem gleich, egal ob du einen Kurzfilm oder einen Langfilm drehst. Bei einem Langfilm hast du jedoch mehr künstlerische Möglichkeiten, beispielsweise wenn es darum geht, die Figuren zu vertiefen.
In dem Film geht es unter anderem um das Thema, wie sehr die Kunst von der Realität beeinflusst wird. Du hast vorhin schon gesagt, dass Der Sommer mit Anaïs autobiografisch gefärbt ist. Kann es überhaupt eine Kunst geben, die nicht auf der realen Welt da draußen basiert?
Es gibt da auf jeden Falle eine Kommunikation zwischen dem Künstlerischen und dem Realen. Ich lasse mich immer von dem inspirieren, was ich selbst erlebt habe oder auch bei anderen beobachtet habe. Für mich braucht es auch diese Verbindung, damit ich die Geschichte erzählen kann. Wenn es zu abgehoben wird oder etwa Science-Fiction, dann ist das nichts für mich. Mein Ziel ist es, in meinen Filmen die Komplexität des Lebens wiederzugeben.
In Der Sommer mit Anaïs haben beide Frauen mit Schreibblockaden zu kämpfen. Anaïs kommt mit ihrer Arbeit für die Uni nicht voran. Bei Émilie ist es die Arbeit am Roman. Was tust du, wenn du in eine solche Situation gerätst?
Tatsächlich habe ich eine solche Situation erlebt, als ich nach dem Kurzfilm die Geschichte des Langfilms schreiben wollte und nicht genau wusste, wie ich sie zu Papier bringen kann. Das lag auch daran, dass ich die Figur noch überdrehter haben wollte, wie schon bei dem Kurzfilm. Gleichzeitig sollte sich das aber alles noch echt anfühlen, weswegen ich eine Mischung angestrebt habe: Die ganzen Emotionen von Anaïs sollten wahrhaftig sein, damit sich das Publikum darin wiederfinden kann. Der Humor sollte hingegen überhöht sein. Da habe ich schon eine ganze Weile gebraucht, bis ich diese Mischung hinbekommen habe. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Letztendlich hat der Produzent irgendwann sehr viel Druck gemacht, damit wir den Film noch drehen können. Vielleicht ist am Ende die Deadline immer die größte Inspirationskraft.
Ein großes Thema in dem Film ist auch das der Liebe und die Suche nach einer Definition. Wie würdest du selbst eine wahre Liebe definieren?
Liebe ist bei mir wirklich ein großes Thema. Ich hatte sogar eine Zeit lang Komplexe, weil ich das Gefühl hatte, über nichts anderes zu reden. Doch dann habe ich irgendwann ein Interview mit John Cassavetes gelesen, in dem er sagte, dass das einzige, was im Leben interessant ist, die Liebe ist. Das war für mich total befreiend. Zwischenmenschliche Beziehungen interessieren mich im allgemeinen. Und Liebe ist nun einmal die intensivste und leidenschaftlichste aller Beziehungen. Doch wie man diese definieren kann, weiß ich selbst noch nicht.
Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte? Woran arbeitest du?
Es wird das Porträt einer 55-jährigen Frau sein. Eine Zusammenfassung der Geschichte kann ich dir nicht geben, weil es keine richtige Geschichte gibt. Stattdessen handelt es sich um einen Einblick in ihr Leben, der sehr impressionistisch ist, ganz anders als Der Sommer mit Anaïs. Der Film wird viel langsamer sein und weniger komödiantisch.
Vielen Dank für das Gespräch!
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