Ed Perkins ist ein britischer Regisseur, der besonders durch seine Dokumentation für den BBC, die britische Zeitung The Guardian, Netflix und Channel 4 bekannt ist. Nach seinem Studium an der Universität von North Carolina war er Teil der Crew verschiedener Dokumentationen wie Searching for Sugar Man oder Der Blender – The Imposter, für die er die Behind-the-Scenes Dokumentationen drehte. Gleich mit seiner ersten eigenständigen Arbeit Garnet’s Gold konnte Perkins sowohl das Festivalpublikum wie auch die Kritik international für sich gewinnen und wurde unter anderem mit einem Grierson Award für den Besten Newcomer und die Beste Dokumentation sowohl beim Tribeca Filmfest als auch auf dem Edinburgh Film Festival 2015.
Nach diesen ersten Arbeiten folgten Dokumentationen wie Bare Knuckle Fight Club oder der Kurzfilm If I Die on Mars, der mehr als eine Million Zuschauer auf Videoplattformen wie Vimeo erreichte und deswegen mit der Auszeichnung „Kurzfilm der Woche“ geehrt wurde. 2019 folgte dann die für Netflix produzierte Dokumentation Sag mir, wer ich bin, die für den British Independent Film Award nominiert war.
Am 30. Juni 2022 startet mit The Princess der neue Film von Ed Perkins in den deutschen Kinos, nachdem er schon auf dem Filmfest München gelaufen ist. In diesem Film erzählt der Regisseur mittels Archivmaterial das Leben von Prinzessin Diana, angefangen von ihrer Hochzeit mit Prinz Charles bis zu ihrem Tod im Jahre 1997. Dabei geht es nicht nur um ihre Biografie, sondern auch um Fragen bezüglich der Beziehung von Medien und Öffentlichkeit sowie den heute nach wie vor sehr kontroversen Kult um Prominente.
Anlässlich des bevorstehenden Kinostarts von The Princess redet Ed Perkins im Interview über die Rolle der Monarchie, die Verbindung von Lady Diana und Meghan Markle sowie den erzählerischen Ansatz seiner Dokumentation.
Der Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer hat einmal die Kunst der Dokumentation so beschrieben, dass sie das Unsichtbare sichtbar mache. Wenn man dieses Prinzip auf The Princess anwendet, was wolltest du dann mit dem Film sichtbar machen?
Das ist eine sehr gute Frage, denn über die Jahre gab es verschiedene Ansätze und Formate, Spielfilme, Dokumentationen und Podcasts, die sich mit dem Leben von Prinzessin Diana auseinandergesetzt haben und ich musste etwas finden, was noch unsichtbar geblieben war, um bei der Definition zu bleiben. Die meisten Dokumentationen, die ich zu dem Thema gesehen haben, unterziehen Diana einer Psychoanalyse und versuchen zu erklären, warum sie in einer bestimmten Weise handelte, was sicherlich interessant ist, aber dennoch einen gewissen Grad an Spekulation nach sich zieht. Das Unsichtbare, was bislang kaum eine Rolle gespielt hat, ist, was ihre Geschichte und was ihr passiert ist, eigentlich über uns sagt.
Mit The Princess wollte ich die Kamera nicht so sehr auf Diana richten, sondern mehr auf uns, mit dem Ziel, dass wir uns fragen, was eigentlich unsere Rolle in dieser Geschichte war, wie wir zur Monarchie stehen, doch auch zur Promi-Kultur, die heute noch viel ausgeprägter ist als Ende der 1990er Jahre. Die Narrative, die wir kennen, schieben die Schuld auf die Monarchie oder die Medien, doch der Ansatz in The Princess ist etwas komplexer und hinterfragt, wie wir selbst daran beteiligt waren, dass das Leben eines Menschen zum Teil einer nationalen Seifenoper wurde. Natürlich waren dies nicht alle Menschen, doch sehr viele.
War dieser Ansatz auch der Grund dafür, dass du dich dazu entschlossen hast bei dem Film vornehmlich auf Archivmaterial zurückzugreifen statt beispielsweise auf Interviews oder andere Elemente, wie es viele andere Dokumentarfilmer machen?
Das ist tatsächlich der Ansatz, den viele Dokumentationen verfolgen, doch im Falle von Diana hätte dies geheißen, dass wir Analysen und Kommentare zu ihrem Leben hören, die wir schon mehrmals gehört haben. In The Princess wollten wir den Zuschauer in eine Vergangenheit entführen, ihm eine Zeitkapsel zur Verfügung stellen, damit man die Geschichte so verfolgen kann, wie es die Fernsehzuschauer in den 1990ern getan haben.
Abgesehen davon bringen sehr viele Kinozuschauer ihre eigene Sicht und Vorkenntnis mit in diesen Film, weil viele von ihnen, sei es durch Serien wie The Crown oder diverse Reportagen und Spielfilme zu dem Thema, schon eine Interpretation zu haben. The Princess soll diesen Zuschauern einen neuen Bezugspunkt liefern und die Geschichte Dianas in einem neuen Kontext betrachten.
Ich hatte den Eindruck, dass man durch diese Perspektive nach eine Weile in eine Position gerät, in der man Diana be- und vielleicht sogar verurteilt, was genau das Verhalten ist, was man in den Archivaufnahmen sieht, wenn beispielsweise Experten oder einfache Passanten sich zu Dianas Ehe und deren Auflösung äußern.
Das ist natürlich nur meine Meinung, doch ich denke, dass die Zuschauer im Falle Dianas keinesfalls nur passive Konsumenten waren, die das Ganze rein zu Unterhaltungszwecken gesehen und kommentiert haben. In dieser Interaktion spielte der Zuschauer eine aktive Rolle und hat damit eine gewisse Mitschuld an dem, was Diana widerfuhr, aber auch vielen anderen, die ebenfalls in dieser Geschichte vorkommen. Ein großer Teil des Publikums, was man hoffentlich auch in The Princess sieht, wollte, dass dieses Märchen für Diana in Erfüllung geht, und als dies nicht der Fall war, wurden viele unglücklich und fingen an, den Schuldigen zu suchen. Wir müssen uns also fragen, inwiefern wir nicht Komplizen waren, bei dem, was Diana und vielen anderen widerfahren ist.
Kannst du was zur Entstehung dieses Projekts sagen?
Dieses Projekt wollte ich schon seit vielen Jahren machen. Das Kuriose bei der Entstehung ist, dass die Tatsache, dass wir uns lediglich auf Archivaufnahmen gestützt haben und die Produktion vom Lockdown vor zwei Jahren unbeeinflusst war. Solange wir auf die Archive zugreifen konnten, von denen es viele in ganz Europa gibt, konnten wir arbeiten, sodass The Princess ein Projekt ist, was wir sprichwörtlich von unseren eigenen vier Wänden aus machen konnten.
Ein weiterer Aspekt, der bei diesem Projekt eine Rolle spielte, war die Geschichte des Umzugs in die Vereinigten Staaten von Meghan Markle und Prinz Harry. In Großbritannien wurde diese Neuigkeit mit einem sehr an die Geschichte Dianas erinnernden Pressecho aufgenommen. Überall gab es Leitartikel oder Talkshows, in denen Experten oder einfache Bürger sich für eine Seite entschieden und teils mit sehr harschen Worten kommentierten, was über die Beziehung der beiden berichtet wurde. Auch in diesem Fall wurde eine Ehe aus dem Hause Windsor zu einer Geschichte gemacht, die dem nationalen Diskurs, der Unterhaltung und dem Massenkonsum diente, und abermals stellt sich die Frage, inwiefern wir nicht eine gewisse Mitwisserschaft übernehmen, wenn wir uns dafür entscheiden, in dieser Beziehung jene Märchenhochzeit und -ehe zu sehen, die wir uns erhoffen.
Wiederholt sich im Falle Meghan Markles bis zu einem gewissen Grad Dianas Geschichte und Schicksal?
Das ist eine gute Frage, doch ich denke, es gibt Unterschiede zwischen diesen beiden Geschichten. Interessant sind aber die Parallelen, denn die Erfahrungen, welche diese beiden Frauen im Umgang mit dem Hause Windsor, mit den Medien und mit der Öffentlichkeit gemacht haben, zeigen durchaus sehr viel Ähnlichkeit miteinander. Ich glaube, diese Parallelen zu entdecken, wird eine interessante Erfahrung für den Zuschauer von The Princess sein.
Es geht nicht darum, Antworten für ein Handeln oder ein Schicksal zu finden, wie es Diana widerfuhr, denn einerseits können Zuschauer sich selbst Gedanken zu diesem Punkt machen und andererseits denke ich, dass jene Filme nachhaltiger im Gedächtnis des Zuschauers bleiben, die genau dieses Nachdenken provozieren.
Wie sind eigentlich die Reaktionen des Publikums im Großbritannien auf den Film im Gegensatz zu beispielsweise dem Festivalpublikum in München?
Das ist wirklich eine interessante Frage und ich wünschte, ich könnte dir eine ausführlichere Antwort geben, doch leider haben wir The Princess noch nicht sehr vielen Menschen gezeigt. Ich kann mir vorstellen, dass die Reaktionen unterschiedlich ausfallen.
Grundsätzlich glaube ich, dass der Film sehr viel über unserer Fixierung mit Prominenten aussagt, was ein Konzept ist, dass sehr viele Menschen verstehen und in der Geschichte Dianas erkennen werden. Das ist zumindest der Fall bei den Zuschauern, denen wir den Film bislang gezeigt haben, wie aktuell in München.
Wie stehst du generell zur Notwendigkeit einer Monarchie, die in The Princess bereits zu Anfang als Anachronismus bezeichnet wird?
Unsere Intention war es nicht, diese Frage genauer zu erörtern, doch natürlich geht es um unsere Beziehung zu diesem System. Es ist schon paradox, dass auf der einen Seite wir wollen, dass die Royals wie wir sind, dass sie transparent und zugänglich sind, doch andererseits wollen eben auch viele, dass die anders sind und sich von uns in gewisser Weise abgrenzen. Beide Sichtweisen haben ihre Nachteile, denn die eine Seite zeigt sie als fehlerhaft und menschlich, und die andere Position etabliert sehr viel Distanz von ihnen zu uns, was sie wiederum sehr traditionell und als wenig relevant darstellt. Viele Briten wollen eine Mischung aus beiden Sichtweisen.
Diana konnte, vielleicht als einzige Person, eine Brücke bauen zwischen diesen eigentlich unvereinbaren Positionen. Durch ihr Auftreten hatte sie eine Aura von dieser Märchenprinzessin auf der einen Seite, wurde dann aber auch wiederum „The People’s Princess“ genannt, hat Krankenhäuser besucht oder sich mit einfachen Bürgern unterhalten können.
An einer Stelle im Film sagt Diana, dass sie sich wünsche, dass die königliche Familie etwas mehr auf die Menschen zugehe. 25 Jahre nach dieser Aussage sehen wir dann das Jubiläum der Queen und wie sie Tee trinkt mit Paddington Bear oder ein Konzert vor dem Buckingham Palace stattfindet mit zahlreichen Popbands. Ob dies mit Dianas Wunsch zusammenhängt, weiß ich nicht, aber es handelt doch eindeutig um den Versuch, auf die Menschen zuzugehen und jene Distanz zu überwinden, die viele bei den Royals kritisieren.
Die Geschichte Dianas zeigt, wie die Beziehung der Öffentlichkeit zu den Royals sich immer wieder verändert. Während die Akzeptanz und Popularität der Windsors auf einem außerordentlichen Hoch war, als 1981 Diana und Charles heirateten, war diese Beziehung 17 später, nach dem tragischen Tod Lady Dianas, auf einem Tiefpunkt angelangt. Dieses Auf und Ab in der Haltung der Briten zur Monarchie spiegelt sich hier wider.
Vielen Dank für das tolle Gespräch.
(Anzeige)