Ivan Denisovich Schuchov (Filipp Yankovskiy) glaubte schon, dass er richtig Glück hatte. So gerät er zwar 1941 in die Hände der Deutschen, die ihn irgendwann aber wieder laufen lassen. In seiner sowjetischen Heimat ist man hingegen misstrauisch, dass er so ohne Weiteres wieder gehen durfte. Und so verurteilt man ihn wegen mutmaßlicher Spionagetätigkeit für den Feind zu zehn Jahren Haft. Und nicht irgendeine Haft: Er soll in eines der gefürchteten Straflager gebracht werden, wo er harte körperliche Arbeit zu leisten hat. Davon will er sich jedoch nicht unterkriegen lassen, ebenso wenig von den vielen Entbehrungen, die ein Aufenthalt in der sogenannten Gulag mit sich bringt. Denn da ist immer noch die Hoffnung, eines Tages wieder freizukommen und zu seiner Familie zurückkehren zu können …
Kritik an sowjetischen Straflagern
In der aktuellen Lage einen russischen Film in Deutschland zu veröffentlichen, das ist schon ein wenig heikel. Selbst bekannte Dissidenten wie Kirill Serebrennikow, die wegen ihrer regimekritischen Arbeiten mit harten Einschränkungen zu kämpfen haben, gelten plötzlich als Feinde. Wenn die Geschichte dann auch noch während des Zweiten Weltkriegs spielt, schrillen erst recht die Alarmglocken. Für neutrale Geschichtsschreibung sind russische Kriegsfilme nun einmal nicht bekannt, meist läuft es auf einseitige Heldenbilder hinaus. Diesen Vorwurf kann man Gulag – 10 Jahre Hölle sicherlich nicht machen. So beginnt der Film zwar mit dem erfolgreichen Kampf gegen Nazideutschland, weshalb man hier einen Vertreter des Hurrapatriotismus erwarten durfte und musste. Doch bald schon schlägt Regisseur und Drehbuchautor Gleb Panfilov ganz andere Töne an.
Das wird nicht für alle überraschend sein. Auch wenn der deutsche Titel des Films die Verbindung unter den Teppich kehrt, der russische Originaltitel Ivan Denisovich macht es deutlich: Vorlage des Films ist der Roman Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch von Alexander Solschenizyn. In dem 1962 veröffentlichten Buch prangerte der Autor erstaunlich offen das System Gulag an, ein Netz aus Straf- und Arbeitslagern, in dem nicht nur Verbrecher landeten, sondern auch zahlreiche Menschen, die man irgendwie loswerden wollte. Zum Teil geschah das auch wortwörtlich: Viele überlebten die unmenschlichen Bedingungen nicht, unter denen die Gefangenen hausen mussten. Harte Arbeit plus Kälte ist von vornherein keine besonders lebensverlängernde Kombination. Nach Bedarf konnte der Aufenthalt aber noch deutlich schlimmer gemacht werden.
Der stille Alltag in der Hölle
Gulag – 10 Jahre Hölle folgt dem Protagonisten, wie er viele Jahre ausharrt. Dabei ist er von seinen Erfahrungen in dem Lager zwar gezeichnet, lässt sich aber zu keiner Zeit brechen. Zu groß ist der Drang, seine Töchter wiederzusehen, die auf ihn angewiesen sind. Damit gleicht die russische Produktion zumindest im Grundsatz vielen anderen Gefängnisfilmen. Der Blick ist immer auf diesen Mikrokosmos gerichtet, befasst sich mit dem Alltag der Menschen, die irgendwie die Tortur zu überstehen versuchen. Der Krieg, welcher am Anfang des Unglückes steht, rückt dabei immer wieder in den Hintergrund. Dann und wann erfahren die Männer zwar von den weiteren Entwicklungen da draußen in der Welt. Doch diese bleiben ohne größere Auswirkungen auf das Leben in dem Lager, das in vielerlei Hinsicht losgelöst von der Realität existiert.
Der Beitrag vom Locarno Film Festival 2021 ist dabei ein sehr ruhiger Film. Natürlich gibt es immer mal wieder abscheuliche Szenen, die von dem Sadismus der Wachen getragen sind. Im Großen und Ganzen ist Gulag – 10 Jahre Hölle aber erstaunlich zurückhaltend und betont unspektakulär. Es geht hier nicht um große Aufstände oder anderweitige Formen actionbetonter Handlung. Die meiste Zeit über sitzen der Protagonist und die anderen herum, unterhalten sich dabei oder führen eine der Arbeiten durch. Das wird nie so schockierend, wie es andere Gefängnisfilme zuweilen sind. Mit Son of Saul, das von dem Leben in einem Konzentrationslager berichtet, ist das hier ohnehin weit entfernt. Sehenswert ist diese nüchterne Schilderung von barbarischen Umständen und dem Versuch, inmitten des Wahnsinns nicht verlorenzugehen, aber auch ohne ständige Tiefschläge.
OT: „Ivan Denisovich“
Land: Russland
Jahr: 2021
Regie: Gleb Panfilov
Drehbuch: Gleb Panfilov
Vorlage: Alexander Solschenizyn
Musik: Vadim Bibergan
Kamera: Mikhail Agranovich, Michael Hasaya
Besetzung: Filipp Yankovskiy, Inna Churikova, Artur Beschastnyy, Stepan Abramov, Denis Karasyov, Vladimir Eryomin, Leonid Kutsar, Vladimir Maksimov
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