Lass mich nicht gehen Dont Make Me Go Amazon Prime Video
Max (John Cho) und seine Tochter Wally (Mia Isaac) unternehmen in "Lass mich nicht gehen" von Hannah Marks eine große Reise (© Amazon Prime Video)

Hannah Marks [Interview]

Regisseurin Hannah Marks

In Lass mich nicht gehen erzählt Hannah Marks die Geschichte des todkranken Max (John Cho), der mit seiner ahnungslosen Tochter Wally (Mia Isaac) einen großen Roadtrip startet, um zu einem Klassentreffen zu fahren, aber auch um sie auf das Leben danach vorzubereiten. Wir haben uns zum Start des Dramas am 15. Juli 2022 auf Amazon Prime Video mit Hannah über ihren Film, die Beschäftigung mit dem Tod und ihre Erfahrungen als Regisseurin unterhalten.

Du hast zuvor schon bei anderen Filmen Regie geführt. Lass mich nicht gehen ist das erste Mal, dass du nicht das Drehbuch dazu geschrieben hast. Wie war es für dich, die Geschichte von jemand anderem zu erzählen?

Ich habe die Erfahrung genossen und konnte mich selbst sehr mit der Geschichte identifizieren. Vera Herbert hat ein sehr schönes Drehbuch geschrieben, das ich mir zu eigen machen konnte. Gleichzeitig hat man mir viel Freiheiten gelassen, sodass ich mit den Schauspielern und Schauspielerinnen zwischendurch auch immer wieder etwas ausprobieren und improvisieren konnte. Aber es blieb auch dann ihre Geschichte und es war für mich eine schöne Abwechslung, mal von einer Außenperspektive aus arbeiten zu können.

Veras Geschichte beginnt als eine typische Coming-of-Age-Tragikomödie. Dabei ist es eigentlich der Vater, der eine Entwicklung durchmacht.

Das stimmt. Das war auch etwas, das ich sehr an dem Drehbuch mochte. Coming of Age bezieht sich hier eben nicht nur auf die 16-jährige Wally, wie wir es gewohnt sind. Für Max ist es auch eine Art Coming of Age, wenn er von seiner Teenager-Tochter genauso viel lernt wie sie von ihm.

Wir erfahren in Lass mich nicht gehen, wie viel Max aufgeben musste, als er Vater wurde, und welcher Verlust das letztendlich war. Gleichzeitig gehört das auch dazu, sobald du Verantwortung für einen anderen Menschen übernimmst, dass du einen Teil von dir aufgibst. Wie findet man die richtige Balance zwischen der Verantwortung einem anderen Menschen gegenüber und der sich selbst gegenüber?

Ich denke, dass viel von dem Frust, den Max spürt, auch damit zusammenhängt, dass er ein alleinerziehender Vater ist. Da die Verantwortung allein an ihm hängenblieb, hat er das Gefühl, besonders viel aufgegeben zu haben. Dabei hat sie das nie von ihm verlangt. Sie ist ein so mutiger Mensch und bereit, all ihre Träume zu verfolgen, auf eine Weise, wie es Max selbst gern getan hätte. Seine Entwicklung in dem Film beschreibt, wie er sich damit und auch mit seinen Ängsten auseinandersetzt.

Was waren die Herausforderungen dabei, diese Geschichte zu erzählen?

Eine Herausforderung war auf jeden Fall, dass wir in Neuseeland gedreht haben. Eigentlich erzählen wir eine sehr amerikanische Geschichte, Lass mich nicht gehen ist schon eine Form von Americana. Wir mussten deshalb beim Dreh immer darauf achten, dass es trotz allem amerikanisch aussah, etwa bei den Fahrszenen oder der Architektur der Gebäude. Schließlich sollte das Publikum beim Anschauen nicht merken, dass wir gerade in Neuseeland sind.

Warum ist das Genre des Roadmovie eins, das man vor allem in amerikanischen Filmen findet? Und worin liegt der Reiz solcher Filme?

Ich selbst liebe es einfach, an die unterschiedlichsten Orte zu gehen und die unterschiedlichsten Kulturen zu erleben, selbst wenn es innerhalb von Amerika stattfindet. Denn diese Erlebnisse holen die unterschiedlichsten Dinge in uns hervor. Außerdem fand ich, dass diese Reise eine tolle Metapher ist für das, was die beiden Figuren durchmachen.

Welche Erfahrungen waren die schönsten beim Dreh?

Es war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung, mit John Cho drehen zu dürfen. Vor allem die Karaoke-Szene, in der er The Passenger von Iggy Pop singt.

Wie kam John Cho überhaupt zu dem Projekt? In der ursprünglichen Drehbuchfassung war seine Figur nur Kaukasier.

Ich bin ein großer Fan von John, besonders von seinem Film Searching. Er brachte aber auch wirklich all die Qualitäten mit, die ich für die Rolle von Max suchte. Er selbst fand, dass er absolut Max war. Es gibt tatsächlich auch einige Gemeinsamkeiten: John hat eine Tochter, war früher in einer Band und ist ein fantastischer Sänger. Dass Mia Isaac seine Tochter spielt, hat sich hingegen einfach aus dem Casting ergeben. Sie und John passten so gut zusammen, dass wir uns niemand anderen mehr vorstellen konnten.

Du hast die Karaoke-Szene erwähnt, auch weil The Passenger eine große Bedeutung für Max hat. Wenn du dich für ein Lied entscheiden müsstest, das dein Lied ist, welches wäre das?

Im Moment liebe ich Oh No von Biig Piig und höre es nonstop. Das ist so ein großartiger Song! Grundsätzlich höre ich aber fast immer die Musik, die am besten zu dem Projekt passt, an welchem ich gerade arbeite. Bei Lass mich nicht gehen war es tatsächlich The Passenger, das ich jeden Morgen aufgelegt habe, um in die richtige Stimmung für den Film zu kommen. Es hat diesen rebellischen Geist, der meiner Meinung nach sehr gut zu dem Film passt.

In deinen Filmen sprichst du besonders jüngere Menschen an. Ist das etwas, das du gezielt verfolgst?

Ich versuche in meinen Filmen, auf meinen eigenen Erfahrungen aufzubauen, weshalb ich im Moment vor allem Geschichten erzähle, die Jüngere betreffen. Mein Ziel ist es aber, mich weiterzuentwickeln und zu wachsen und damit hoffentlich später auch ein älteres Publikum anzusprechen, das mit mir gewachsen ist.

Zu Beginn von Lass mich nicht gehen ist Wally vor allem mit ihrem eigenen Leben beschäftigt und der Frage, wer sie selbst ist. Im Laufe des Films wendet sie sich aber zunehmend ihrem Vater und dessen Vorgeschichte zu. Warum ist es ihr so wichtig zu erfahren, wer er war, bevor sie auf die Welt kam?

Ich denke, dass es ganz grundsätzlich in solchen Eltern-Kindern-Geschichten wichtig ist, dass die Kinder ihre Eltern als eigenständige Menschen wahrnehmen, mit einem eigenen Leben. Wenn wir jung sind, verstehen wir das nie so wirklich. Ich weiß noch, welche Offenbarung das für mich war, als ich bei meinen Eltern realisiert habe, dass sie dreidimensionale, wirkliche Wesen. Wally erkennt, dass sie nicht alles an ihrem Vater kannte und lernt ihn auch dafür zu schätzen.

Lass mich nicht gehen ist dein zweiter Film, der sich mit dem Thema tödliche Krankheit auseinandersetzt. Warum ist dir das so wichtig?

Ich habe in meiner eigenen Familie Erfahrungen mit Krankheit und Tod gesammelt. Deswegen berührt es mich sehr, mich mit diesem Thema zu befassen. Außerdem sind Geschichten, bei denen es um Leben und Tod geht, Stoff für großartige Filme. Das sind sehr intensive Gefühle, mit denen du dich da befasst, was sowohl für mich als Schauspielerin wie auch als Regisseurin spannend ist.

Wie sehr beeinflussen dich deine Erfahrungen als Schauspielerin bei deiner Arbeit als Regisseurin?

Sie beeinflussen mich insofern, als ich am Set versuche, allen Schauspielern und Schauspielerinnen mit dem größtmöglichen Respekt zu begegnen. So wie ich es mir selbst als Schauspielerin wünschen würde. Als Schauspieler brauchst du das Gefühl, dich an einem sicheren Ort zu befinden, um Risiken einzugehen und dich in deine Rolle fallen lassen zu können. Die Leute sollen wissen, dass es völlig okay ist, wenn etwas nicht funktioniert. Dann versuchen wir es eben ein zweites Mal.

Wie kam es überhaupt dazu, dass du Regie führen wolltest?

Als Schauspielerin kann es manchmal frustrierend sein, wenn ein Film nicht so gemacht wird, wie du es für richtig hieltest, du selbst aber keinen Einfluss hast. Dein Schicksal liegt da in den Händen von jemand anderem. Regie zu führen, war für mich eine Möglichkeit, selbst diese Entscheidungen treffen zu können und auch beschäftigt zu sein, während du auf deine nächste Rolle wartest. Mit der Schauspielerei habe ich damals nicht angefangen, weil ich unbedingt schauspielern wollte, sondern weil ich Filme so liebte. Selbst Regie zu führen, fühlte sich daher für mich nach einem natürlichen nächsten Schritt an.

Wie würdest du dich selbst als Regisseurin beschreiben? Bist du jemand, der viel vorbereitet und klar nach Plan arbeitet, oder improvisierst du lieber?

Beides ein wenig. Ich bin jemand, der sehr gern vorbereitet und auch früh vorbereitet. Bei mir ist immer alles sehr strategisch geplant. Gleichzeitig erlaubt es mir diese Planung, Risiken einzugehen und zu improvisieren. Nur wenn du das Regelwerk bei dir hast, kannst du es auch aus dem Fenster werfen. Und es ist schön, diese Freiheit zu haben und sich auch der Folgen bewusst zu sein, die deine Entscheidungen mit sich bringen.

Ein Punkt, der in deinem Film für einige Kontroversen sorgte, ist das Ende, weil vermutlich fast niemand ein solches Ende erwartet hat. Wie hast du dich gefühlt, als du beim Lesen des Drehbuchs an der Stelle angekommen bist?

Ich fand es unglaublich schockierend, aber auch sehr mutig und ehrlich, weil es sich so anfühlt, wie es im wahren Leben passiert wäre. Niemand von uns kann vorhersehen, wie sich unser Leben entwickelt. Vieles geschieht sehr überraschend. Das ist einerseits die Tragik des Lebens. Aber es macht auch dessen Schönheit aus. Ich konnte mich auch sehr mit dem Drehbuch identifizieren, weil ich selbst gesundheitliche Probleme habe. Nicht auf dem Level wie in dem Film, mir geht es insgesamt gut. Aber ich kann doch zumindest nachempfinden, was das bedeutet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Hannah Marks wurde am 13. April 1993 in Los Angeles, USA geboren. Sie stand bereits als Teenagerin für mehrere Filme und Serien vor der Kamera. Unter anderem hatte sie eine Hauptrolle in der Serie Dirk Gentlys holistische Detektei. 2018 gab sie ihr Debüt als Regisseurin mit der Tragikomödie After Everything. Lass mich nicht gehen (2022) ist ihr dritter Film als Regisseurin und feierte sein Debüt auf dem Tribeca Film Festival.



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