Bei dem Thema der Aufarbeitung eines Krieges oder eines Traumas gibt es verschiedene Arten, wie man vorgehen kann. In der derzeitigen Praxis, gerade in Deutschland, ist es in erster Linie die Archivierung und die Sichtung von Gegenständen, Fotografien oder Dokumenten, welche letztlich einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und über die dann ein möglichst ganzheitliches und authentisches Bild einer Zeit entsteht, die für die Gegenwart in besonderem Maße wichtig ist. Aufarbeitung hat in diesem Kontext weniger etwas mit einer Überwindung zu tun, sondern zunächst einmal mit einer Konfrontation, gerade für nachfolgende Generationen, die derlei Themen in erster Linie über den Schulunterricht oder die Medien erfahren haben. Innerhalb der Art und Weise, wie diese Ver- oder Aufarbeitung stattfindet, gibt es natürlich auch Formen, die gemeinhin als geringer oder besser angesehen werden, als geeigneter oder eben weniger geeignet betrachtet werden, wobei diese Sichtweise auch ein Bild darauf wirft, inwiefern ein solcher Prozess überhaupt abgeschlossen ist oder in welchem Stadium er sich befindet. Besonders wenn es um Humor geht, scheiden sich die Geister, denn je nach dem, wie dieser transportiert wird, kommt man nicht umhin eine gewisse Respekt- und Taktlosigkeit zu attestieren, die man sich eigentlich verbieten würde. Jedoch besteht gerade in dieser Denkweise ein großes Problem, denn sie verstellt nicht nur eine Diskussion und damit einen wichtigen Schritt der Auf- und Verarbeitung, sondern sie ist leider auch „typisch deutsch“.
Dennoch gibt es in der deutschen Kulturlandschaft viele Kunstschaffende, die eine solche Konfrontation und Provokation suchten, für sich selbst wie auch ihr Publikum. Besonders in der Nachkriegsgeneration gibt es vereinzelt Stimmen, die, auch für sich selbst, eine solche Herangehensweise gesucht haben, damit teils sogar Erfolg hatten, aber es nicht wirklich schafften, ihr eigenes Trauma zu bewältigen, sofern dies überhaupt je möglich war. In diesen Kontext passt womöglich die Biografie des Hamburger Malers, Satirikers und Grafikers Heino Jaeger, der Ende der 1960er und Anfang der 1970er mit seiner Radioserie Fragen Sie Dr. Jaeger von sich reden machte und dessen scharf ironischer Blick auf die deutsche Gesellschaft und deren Persönlichkeiten prägend war für andere Künstler wie Olli Dittrich, Heinz Strunk oder Helge Schneider. Während der Dreharbeiten zu seiner Dokumentation Der Boxprinz wurde Regisseur Gerd Kroske auf Heino Jaeger, dessen Leben und Werk aufmerksam gemacht und begann sich näher mit diesem zu beschäftigen, sodass auf Basis von Archivmaterialien und zahlreicher Interviews mit Wegbegleitern Jaegers der Dokumentarfilm Heino Jaeger – look before you kuck entstand, der 2012 auf der DOK Leipzig seine Premiere feierte und dort mit der Goldenen Taube ausgezeichnet wurde.
Portrait eines Abwesenden
In der Begründung der Jury der DOK Leipzig heißt es, dass Kroske mit seiner Dokumentation das „Portrait eines Abwesenden“ gelinge. Über derlei Urteile mag man denken, was man will, aber in vielen der Fotografien und Aufnahmen, die man während der fast zweistündigen Dokumentation zu sehen bekommt, meint man wirklich einen Menschen zu erkennen, der sich lieber im Hintergrund aufhält, der nicht auffallen will und der sich eher über seine Skizzen und Stimmen ausdrücken will. Viele Zeitzeugen kommen Heino Jaeger – look before you kuck zu Wort, unter anderem Joska Pintschovius, Jürgen von Tomëi oder Wolli und Linda Köhler, doch auch in ihren Anekdoten und Geschichten wird eben jenes Bild des Abwesenden betont, der sehr genau beobachten konnte, der aber von seiner Vergangenheit verfolgt schien, und welche sich dann im Gegenzug in vielen seiner Arbeiten durchschlug. Dennoch will sich gerade dieses Trauma einen Weg nach draußen bahnen, beispielsweise in den vielen, beinahe wahnhaft vollbrachten Zeichnungen, bis auf einmal alles gesagt zu sein scheint und nur das müde Lächeln eines Menschen bleibt, der auf selbst bei der Eröffnung einer Ausstellung ihm zu Ehren wie ein Mensch scheint, der durch Zufall gerade zur Tür hereingekommen ist und dem es peinlich ist, von der Kamera erfasst zu werden.
Während der zweistündigen Dokumentation geht es nicht nur das Leben Jaegers, sondern auch immer wieder über den Wert von Kunst als Mittel der Verarbeitung, der individuellen wie auch der allgemeinen. Die Stimmen, die Jaeger als festes Repertoire in seinen Sendungen, Hörspiele und Auftritte mit aufnahm, sind Charaktere auf der einen Seite, doch zugleich Facetten einer Gesellschaft, die sich mit der Rolle der Vergangenheit für ihre Gegenwart beschäftigt, egal, ob es ein Hamburger Bürger in einer Hafenkneipe ist oder ein besorgter Familienvater, der meint, sein Sohn würde Feuer in der Nachbarschaft legen wollen. Das Lachen über diese Figuren ist ein Erkennen, dass es solche Menschen irgendwo, auch außerhalb Hamburgs, tatsächlich gibt, dass sie unter uns sind und wir ihnen vielleicht näher sind, als man denkt. Auch dies spiegelt Kroskes Arbeit wider, wodurch eindrücklich klar wird, welchen Wert die Kunst eines Heino Jaegers hat und warum dieser „Abwesende“ vielleicht auch bis zu einem gewissen Grad darin verloren hat.
OT: „Heino Jaeger – Look before you kuck“
Land: Deutschland
Jahr: 2012
Regie: Gerd Kroske
Drehbuch: Gerd Kroske
Musik: Klaus Kanek
Kamera: Susanna Schüle
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