In The Northman nimmt uns Regisseur und Co-Autor Robert Eggers mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Darin erzählt er von dem Wikingerkrieger Amleth (Alexander Skarsgård), der sich aufmacht, um seine Mutter Gudrún (Nicole Kidman) zu befreien und den Tod seines Vaters Aurvandil (Ethan Hawke) zu rächen, der heimtückisch von seinem Halbbruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet wurde. Nachdem das bildgewaltige Abenteuer im Kino für staunende Gesichter gesorgt hat, steht am 7. Juli 2022 die Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray an. Wer im Anschluss noch Fragen hat, kann unten lesen, was der Filmemacher selbst zu seinem Werk, nordischen Sagen und der Arbeit mit seinem Ensemble zu sagen hat.
Ein Teil deiner Inspiration für The Northman war eine Reise nach Island. Was hat dich dorthin verschlagen?
Meine Frau und ich wollten nach unserer Hochzeit vor vielen Jahren nach Italien reisen, aber ich habe das Geld verwendet, um stattdessen einen Kurzfilm zu machen. Unsere Reise nach Island waren also eine Art verspätete Flitterwochen.
Deine Frau soll schon vor dir Interesse an Wikinger-Überlieferungen gehabt haben.
Wir beide interessieren uns für frühneuzeitliche und mittelalterliche Literatur. Ich hätte ihren Rat früher beherzigen sollen!
Was stach für dich bei den Sagen und Gedichten der Wikinger hervor, als du angefangen hast, in diese Welt eintauchen? Das Schicksal liegt in diesen Geschichten wie ein schwerer Schatten über den Menschen.
Das stimmt, und Journalisten haben mich daran erinnert, dass alle meine Filme fatalistisch sind. Das ist also eindeutig etwas, das mich interessiert. Die legendären Sagen sind so fantasievoll und cool. Die Völsunga-Sage ist die nordische Version des Nibelungenlied. Ich persönlich bevorzuge die Völsunga-Sage, weil die einfach cool ist. Aber was war mich bei den Sagen der Isländer wirklich schockierte, war, wie modern die Charaktere sind. Obwohl sich alle so fremd verhalten, scheinen sie vollkommen ausgearbeitete Menschen zu sein, mit denen man sich identifizieren kann. Außerdem sind Männer wie Gísli und Grettir, die Helden der Saga, meistens Antihelden und oft Outlaws, vielleicht sogar Psychopathen, die gegen den Ehrenkodex verstoßen. Die sogenannten Bösewichte wiederum können liebevolle Ehemänner und gute Väter sein. Das war sehr interessant für mich, und diese Ambivalenzen und seltsamen Gegenüberstellungen fanden ihren Weg in meinen Film.
Warum hast du dich entschieden, die Geschichte um die Wende des 10. Jahrhunderts spielen zu lassen?
Wir wollten, dass die Geschichte in Island spielt. Aber wir mochten diese Zeit auch, weil sie halb gesetzlos war, ein bisschen wie der Wilde Westen. Die Wikinger wurden in Island streitsüchtiger, nachdem sie Althing geschaffen hatten, ihr Parlament. Außerdem wollten wir unbedingt, dass sie Heiden und keine Christen sind.
Du verwendest die Geschichte von Amleth. Gab es darüber hinaus noch andere nordische Texte, Gedichte oder Legenden, die dich inspiriert haben?
Ich habe wahnsinnig viel gelesen und überall findest du Kleinigkeiten, sogar Dinge, die du vielleicht nicht bemerken wirst. Um ein Beispiel für etwas zu verwenden, das du möglicherweise nicht bemerkst: In der Kurzgeschichte Vǫlsa þáttr verehrt eine Familie einen mumifizierten Pferdepenis. Das Bildnis von Freyr im Tempel von König Aurvandil hat einen hölzernen Phallus. Als es nach Island verlegt wird und dort zum zentralen Bild ihrer Verehrung wird, hat es den mumifizierten Pferdepenis.
Mit der Verehrung Odins und vor allem dem Berserker-Ritual kommt fast ein schamanisches Element mit ins Spiel. War das eine Überlegung beim Filmdreh?
Wenn ich Akademiker wäre, würde ich vielleicht nicht sagen, dass die Religion der Wikinger schamanistisch war. Aber sie hatte sicherlich Elemente des Schamanismus, so scheint es zumindest. Dieser Berserker-Kriegstanz, bei dem ein anderer Seinszustand erreicht wird und die Körperlichkeit eines Tiere erreicht wird, ist absolut schamanisch. Und der Hexer in der Höhle in Island, der Seiðr praktizierte, was eigentlich eine Form der Magie für Frauen war, hat eine Trommel, die samischen Ursprungs ist. Die Idee war, dass er sie möglicherweise mit den Sami getauscht oder mit einigen samischen Schamanen gesprochen hatte. Die samische Religion war absolut und zweifellos schamanistisch. Eines der Dinge, die so überraschend und interessant für mich waren, als jemand, der nichts über Wikinger wusste, war die kulturelle und religiöse Verschmelzung. Die Handelsstraßen und ihre Schiffe, die überall hin fahren konnten, machten die Welt zu ihrer Zeit zu einem kleineren Ort. Es gab viele Wellen von Wikingern. Schauen dir nur Großbritannien an. Die Sachsen waren Proto-Wikinger, dann kamen die Wikinger und danach die Normannen, die Post-Wikinger.
Erzähl uns von den Aufnahmen der Kampfszenen, insbesondere von der Herausforderung, sie in einem Mal zu drehen, ganz ohne Schnitt.
Das war aufregend und ich wurde irgendwann süchtig nach dieser Spannung, ob ich es schaffen würde oder nicht. Einige Szenen, die wir später gedreht haben, hätten ursprünglich drei oder vier Einstellungen haben sollen. Am Ende habe ich sie als One Shot gemacht, weil ich süchtig danach wurde, es so zu machen. Es ist nicht einfach. Es ist hart und schmerzhaft. Aber es ist aufregend.
Würdest du trotz der düsteren Geschichte The Northman als Film über eine Liebe ansehen?
Da ist auf jeden Fall Liebe in der Geschichte. Die Beziehung zwischen Amleth und Olga ist keine konventionelle. Sie beginnt als eine Beziehung, die von gegenseitigen Überleben geprägt ist. Aber es sind zwei von Narben übersäte Menschen, die in ihrem Schmerz eine Verbindung aufbauen. Das ist Liebe, auch wenn es sich nicht um eine traditionelle Liebesgeschichte handelt, wie du sie in einem Film dieser Größe erwarten würdest.
Was war für dich ausschlaggebend, Alexander Skarsgård für diese Rolle zu engagieren?
Alex hat eine echte Sensibilität und etwas zutiefst Melancholisches in seinen Augen, wie Oscar Novak, der den jungen Amleth spielt. Und dann zu sehen, wie das zerbrechliche Kind zu diesem riesigen Biest wird, zeigt dir hoffentlich, was ein Trauma bewirken kann. Diese Körperlichkeit, 20 Jahre Trauma auf den Schultern zu tragen, ist etwas, das Alex sich ausgedacht hat. Und im Gegensatz zu mir begeisterte er sich seit seiner Kindheit für Wikinger. Er konnte also gar nicht anders als perfekt für diesen Film sein. Die Art und Weise, wie er sich reingehängt hat, war der Wahnsinn.
Und wie war es, mit Nicole Kidman zu arbeiten?
Sie gab mir viele Notizen über die Figur und das Drehbuch, die unglaublich weise waren. Sie ist unglaublich erfahren. Es hat schon seinen Grund, warum sie Nicole Kidman ist. Es war wirklich inspirierend, mit ihr am Set zu arbeiten, und ich habe viel von ihr gelernt. Als wir ihre Todesszene gedreht haben, war ich wirklich zufrieden damit und wir wollten schon alles zusammenpacken und zur nächsten Einstellung gehen, als sie sagte: „Warte! Warte! Ich muss noch eine Aufnahme machen, in der ich lächle, wenn ich sterbe!“ Und das war die Aufnahme, die wir am Ende benutzten.
Als du entscheiden musstest, wie deine Charaktere sprechen, hast du dir da die alten Texte als Vorbild genommen oder die lakonische Art und Weise, wie die Menschen an Orten wie den Orkneys sprechen?
Ein bisschen von beidem, obwohl die Sagen schon überwogen. Wir haben versucht, dass sich die Sprache wie eine gute Übersetzung einer Saga anfühlte. Ein Prüfstein für mich war Seamus Heaneys Version von Beowulf, obwohl das eher altenglisch als altnordisch ist. Am Ende war es mein Co-Autor Sjón, der darüber entschied, ob es passte. Er sagte mir oft, dass ich zu sehr nach Shakespeare klang und weniger Worte verwenden sollte. Für den Akzent hatte ich einen Haufen schlechter Optionen – ich hatte britische Wikinger, amerikanische Wikinger und Leute, die mit ihrem eigenen Akzent auftauchten und versuchten, einen nordischen Akzent zu machen. Ich entschied mich am Ende für Letzteres, weil das die beste von vielen schlechten Entscheidungen war. Hätte ich, wie Mel Gibson bei Apocalypto mein eigenes Historienepos selbst finanzieren können, hätten sie alle nur Altnordisch gesprochen.
Bevor Sjón hinzukam, warst du aktiv auf der Suche nach einem Co-Autor?
Ich bin ihm ganz zufällig begegnet. Aber dann war ich unglaublich inspiriert von seiner Art zu schreiben, weil er einfach brillant ist. Niemand wird mir kulturelle Aneignung vorwerfen, da wir hier alle Weiße sind. Aber eine isländische Geschichte zu haben, ist etwas Besonderes, weil diese Sagen für alle dort so eine große Sache sind, kulturell, ob sie es wollen oder nicht. Sie alle wissen, mit welchen Sagen-Charaktere sie direkt verwandt sind. Sjón kann mir wahrscheinlich erzählen, dass er Werwölfe in seinem Stammbaum hat. In Island glauben die Menschen immer noch an Geister und Feen. Einen brillanten Autor zu haben, der selbst in dieser Kultur aufgewachsen ist, war deshalb notwendig, um die Geschichte richtig zu erzählen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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