The Northman [Soundtrack]

Ein Junge, der gerade den blutigen Mord an seinem Vater durch seinen eigenen Onkel mitansehen musste, sieht sich nun einem Bild noch größeren Schreckens und Horrors gegenüber, als er, nach einer atemlosen Flucht vor den Häschern des Brudermörders, wieder in seinem Dorf ankommt. Die Verbündeten des Onkels sind dabei zu brandschatzen, zu plündern und noch weiter zu morden, was sich dem Jungen in einer schier endlosen Schleife des Elends, der Schreie und des Blutes offenbart, wie auch dem Zuschauer, der dieses ganze Szenario mit eben solchem Schrecken bezeugt wie Amleth, um den es in dieser Geschichte geht und dessen eigentliche Reise gerade erst begonnen hat. Bevor er seiner Heimat für lange Zeit Lebewohl sagt, blickt er ein letztes Mal zurück und spricht abermals jene Worte, die fortan sein Leben begleiten werden und zu so etwas wie seinem Mantra werden, nämlich jenen Schwur, den Vater zu rächen, die Mutter zu retten und Rache an seinem Onkel zu nehmen sowie all jenen, die ihm bei seiner Tat geholfen haben. Geschichten über Rache sind mitnichten ein Novum im Kino, erst recht, wenn man bedenkt, dass diese scheinbar in der letzten Zeit so etwas wie ein Revival feiern, was durchaus interessant ist in der Ära von Political Correctness und #MeToo. Darüber hinaus bedient Robert Eggers’ neuer Film The Northman auch jene Sehnsucht nach Mythen und der alten Zeit, was sich bereits Serien wie Vikings zunutze machen konnten. Damit die Geschichte und die Welt des Films die entsprechende Atmosphäre hat, und zwar nicht nur visuell, sondern auch auditiv, haben die bekannten Komponisten Robin Carolan und Sebastian Gainsborough ihren kreativen Energien freien Lauf gelassen.

Anders als bei anderen Aufträgen war es weniger die Fülle an Möglichkeiten, die beispielsweise elektronische Musik mit sich bringt, denn bei einem Projekt wie The Northman mussten sich Carolan und Gainsborough auf wenige Mittel einstellen. Nicht nur das Komponieren der Stücke stand dabei im Vordergrund, denn auch die Recherche nach der Musik oder den Instrumenten jener Zeit, die Eggers’ Film abbildet, definierte einen entscheidenden Aspekt dieses insgesamt sehr ambitionierten Projekts. Um beispielsweise den Klang eines Schwirrholzes, welches bei heiligen Ritualen oder als Mittel zur Einschüchterung im Kampf benutzt wurde, wurde ein 40-köpfiges Streicherensemble verwendet. Das Erlebnis beschreibt Carolan als verrückt und „angemessen beunruhigend“, was in vielerlei Hinsicht auch die Wirkung vieler der Bilder des Filmes zusammenfasst. Insgesamt entstanden 43 Stücke aus dieser Kollaboration der beiden Komponisten, die bereits seit einer ganzen Weile schon bei Apple iTunes erhältlich sind und ab dem 22. Juli von Cargo Records als CD und LP herausgebracht wird.

Zwischen Brodeln und Ausbruch

Während The Northman derzeit in noch wenigen Kinos gespielt wird, haben Fans des Films dank des Soundtracks noch einmal die Gelegenheit in die Geschichte um Rache, Bestimmung und Schicksal einzutauchen, ebenso wie in die Welt von Blut, Krieg und Mythen, welche den Hintergrund bildet. Während die ersten Stücke („Approaching Hrafnsey“, „The King“) noch als eine Art Exposition dienen, wird man schon bald bemerken, dass etwas unter der Atmosphäre lauert, etwas, das nie Ruhe gibt und sich erst nur sporadisch und schließlich immer mehr offenbart, bis zu einem unausweichlichen Crescendo. „Escape“ erzählt von der eingangs erwähnten Flucht aus dem Dorf, den schauerlichen Morden und Bluttaten, die der Protagonist zu sehen bekommt, während „I Will Avenge You, Father“ von jener Mischung aus Wut und Trauer zeugt, die den Jungen und später den erwachsenen Amleth antreiben werden und mittels derer er seinen ganz eigenes Mythos beschreitet, auch wen die Frage bleibt, ob er eigentlich je eine Möglichkeit hatte, einen anderen Weg zu beschreiten.

Neben der Abbildung der Geschichte an sich, finden sich auch Themen wie der Rabe oder die Vorsehung in den einzelnen Stücken des Albums wieder. „Seeress“ oder „Raven’s Omen“ muten unheilschwanger an, berichten von einem Geheimnis und üben durch ihr Arrangement eine ungemeine Faszination auf den Hörer aus, einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann oder es auch nicht mehr will.