USA, 1949. Harry Haft (Ben Foster) hat einen Traum: Er möchte unbedingt gegen Rocky Marciano (Anthony Molinari) kämpfen. Dass der Boxer keine Chance hat gegen den gefürchteten Star, ist ihm natürlich selbst bewusst. Kaum einer hat das. Aber darum geht es ihm auch gar nicht. Vielmehr will der aus Deutschland in die USA ausgewanderte Jude auf diese Weise große Aufmerksamkeit bekommen und überall in den Nachrichten landen. Seine Hoffnung: Seine Jugendliebe Leah (Dar Zuzovsky), deren Spur er während des Holocausts verloren hat, könnte ihn so sehen und den Kontakt zu ihm aufnehmen. Während er sich mit Hilfe des Trainers Charlie Goldman (Danny DeVito) auf den großen Kampf vorbereitet, erzählt er dem Journalisten Emory Anderson (Peter Sarsgaard) seine Lebensgeschichte. Eine Lebensgeschichte, die eng mit dem SS-Offizier Dietrich Schneider (Billy Magnussen) verbunden ist, der zur selben Zeit im Konzentrationslager Auschwitz war …
Ein Boxkampf um Leben und Tod
Es gibt Biografien, die sind so unglaublich, dass man meinen könnte, sie wären nur dazu erfunden worden, um daraus eine Geschichte zu machen. So auch bei Harry Haft. Dabei ist es weniger seine Laufbahn als Boxer, die ihn für einen Film interessant machte. So feierte er zwar schon ein paar Erfolge, erst in Deutschland, später in den USA. Die waren aber nie so groß, dass man sich heute rund 70 Jahre später an ihn erinnern müsste. Vielmehr ist es die Vorgeschichte, die einen Wikipedia-Eintrag wert ist und letztendlich wohl auch dafür verantwortlich, dass ihm mit The Survivor ein Film gewidmet wurde. So kämpfte er zuvor im Konzentrationslager Auschwitz wortwörtlich um sein Leben: Solange er beim Boxen gegen andere Gefangene siegreich war, durfte er weiterleben. Denn das bedeutete, dass man mit ihm Geld machen konnte.
Im Grunde handelt es sich also um das bewährte Gladiatoren-Prinzip, welches immer wieder in düsteren Science-Fiction-Visionen wiederentdeckt wird – siehe etwa The Hunger Games. Der Unterschied ist zum einen, dass die Geschichte des gebürtigen Polen Haft wahr ist und keine im stillen Kämmerlein erfundene Dystopie. Außerdem ist der Kontext von The Survivor besonders perfide: Inmitten eines Konzentrationslagers solche Kämpfe zu veranstalten und Gefangene wie Tiere aufeinander zu hetzen, ist von einer ganz besonderen Abscheulichkeit. Die Menschen dort waren durch die ständigen Entbehrungen und Misshandlungen schon lebende Leichen. Und die sollten dann auch noch um Leben und Tod kämpfen?
Beeindruckende Tour de Force
Regisseur Barry Levinson (Good Morning, Vietnam, Wag the Dog) wechselt hierbei immer wieder zwischen zwei Zeitebenen hin und her. Während die in Schwarzweiß gehaltenen Rückblicke die Zeit in Auschwitz thematisieren, erzählt die farbige „Gegenwart“ von Hafts großem Boxkampf und der Suche nach der großen Liebe. Beeindruckend ist dabei die physische Verwandlung des Protagonisten: Ben Foster (Leave No Trace) hungerte sich für The Survivor viele Kilos herunter und ist als ausgemergelter Schatten seiner selbst kaum wiederzuerkennen. Für die Szenen in den USA zeigte er sich hingegen in guter, muskulöser Verfassung, um bei den Boxkämpfen zu überzeugen. Das tut er auch, so wie der US-Amerikaner insgesamt seine schauspielerische Klasse unter Beweis stellt. Mehr noch als die physische Wandelbarkeit bleiben die ruhigen Momente in Erinnerung, die von der Intensität seiner Darstellung leben und die von der Schuld des Überlebenden handeln.
Überhaupt ist das Ensemble erstklassig. Zwar haben die anderen deutlich kleinere und weniger dankbare Rollen. Vicky Krieps als Love Interest und Vermittlerin, Billy Magnussen als berechnender Nazi-Profiteur und Danny DeVito als unflätiger Trainer, das kann sich alles mehr als sehen lassen. Dennoch hat man bei The Survivor immer wieder das Gefühl, dass das Drama unter seinen Möglichkeiten bleibt. So fehlt ab einem gewissen Zeitpunkt ein klares Ziel in der Geschichte. Hat man erst einmal die schrecklichen Hintergründe erfahren, tritt der Film etwas auf der Stelle. Die Frage, ob jemand mit solchen Erfahrungen überhaupt noch ein normales Leben führen und eine Familie haben kann, kommt etwas kurz. Insgesamt lohnt sich aber der Film, der auf dem Toronto Film Festival 2021 Premiere feierte, und es ist ein wenig schade, dass er so wenig Beachtung fand. Früher wäre ein solches Biopic ein paar Oscars wert gewesen. Und zumindest Foster hätte eine Nominierung mehr als verdient.
OT: „The Survivor“
Land: USA, Kanada, Ungarn
Jahr: 2021
Regie: Barry Levinson
Drehbuch: Justine Juel Gillmer
Musik: Hans Zimmer
Kamera: George Steel
Besetzung: Ben Foster, Vicky Krieps, Billy Magnussen, Peter Sarsgaard, John Leguizamo, Danny DeVito
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