Sara (Juana Acosta) möchte eine Wohnung kaufen. Nicht für sofort, aber quasi als Reserve. Für den Fall nämlich, dass ihre Ehe mit Daniel (Daniel Grao) in eine Schieflage gerät. Noch ist es nicht soweit, doch die 39-jährige Top-Managerin bei einer Versicherung kommt den Risiken des Lebens gern zuvor. Am liebsten hat die wie aus dem Ei gepellte Business-Lady mit dem strengen Blick alles unter Kontrolle: ihre Mitarbeiter, ihren Angetrauten und vor allem sich selbst. Warum also die Wohnung mit dem ungewissen Bezugsrecht nehmen, die ihr der peinlich unprofessionelle Makler Óscar (Carlos Areces) in den höchsten Tönen anpreist? Zwar sind die hundert Quadratmeter in Sevillas bester Lage spottbillig, aber nur, weil der Kauf das beinhaltet, was Óscar eine „Unannehmlichkeit“ nennt. Gemeint ist das lebenslange Wohnrecht der Verkäuferin Lola (Kiti Mánver), einer lebenslustigen, äußerst unkonventionellen alten Dame mit drei Bypässen und Lastern aller Art.
Gegen den guten Geschmack
Der Immobilienmarkt ist hart, aber diese Anzeige verstößt dann doch gegen den guten Geschmack: „Wohnung mit Mitbewohner zu verkaufen“. Theaterautor Juan Carlos Rubio las die Annonce vor rund 15 Jahren. Er schaute sich die Wohnung plus „Mitbewohnerin“ an und machte daraus das Theaterstück 100 Quadratmeter, das nicht nur in Spanien, sondern in vielen anderen Ländern, auch in Deutschland, erfolgreich aufgeführt wurde. Eine dieser Inszenierungen sah Filmemacher Bernabé Rico, ein Freund von Rubio. Er war so begeistert, dass er daraus seinen ersten langen Spielfilm machen wollte, mit Rubio als Ko-Autor des Drehbuchs. Dafür nahmen die beiden einen langen Prozess in Kauf, mit vielen Hindernissen und Veränderungen. Zehn Jahre dauerte es von dem Aha-Erlebnis im Theatersaal bis zum fertigen Film.
Leider ist der Handlungsfaden der Dramödie so abgenutzt wie die altmodische Blumentapete der Wohnung. Man erkennt bald das Muster. Vermeintliche Überraschungen scheinen durch, die gesamte Struktur wirkt wie von der Stange. Ganz anders die Dame, die diese Tapeten einmal ausgesucht hat. Mit 74 wirkt Lola wie ein Energiebündel, das das Leben noch vor sich hat. Sie raucht wie ein Schlot, pfeift auf Konventionen und tut nur, was ihr Spaß macht. Zwar ist die Konstellation eines größtmöglichen Gegensatzes der beiden Protagonistinnen kein taufrischer Einfall, aber die komplexe Charakterzeichnung zählt zu den größten Stärken von Vier Wände für Zwei. Hinter der rauen Schale von Lola steckt ein sensibler Kern. Und hinter der aalglatten Geschäftsfrau verbirgt sich ein weicheres Herz, als man sich hätte träumen lassen. Zudem kann die zielstrebige Managerin, die Zigaretten genauso verabscheut wie Alkohol, ganz schön schlagfertig sein. Mehr als einmal muss Lola, die den Humor gern für sich allein pachtet, zugeben: „Das ist leider lustig“.
Interessantes Beziehungsnetz
Damit wären wir bei einem weiteren Pluspunkt der Theaterverfilmung: Die Dialoge sitzen und die Streits der beiden ungleichen Damen führen zu herrlichen Verwicklungen. Dafür ist ein ums andere Mal Möchtegern-Makler Óscar zuständig, dessen Untauglichkeit bald auffällt und der in wechselnden Berufen immer neu das Leben von Lola und Sara kreuzt. Obwohl Óscar für amouröse Verwicklungen viel zu tollpatschig agiert, ist er doch ein Dritter im Bunde, der dem Muster eines weiblichen Buddy-Movies frisches Blut verleiht. „Was sind wir, wenn wir keine Freundinnen sind“, fragt Lola einmal. Und gibt selber die Antwort, in Anspielung auf einen feministisch angehauchten Filmklassiker: „Wir sind Thelma und Louise“. Zum Glück stimmt das nicht. Lola und Sara sind einfach nur sie selbst. Oder besser gesagt: Sie sind auf dem Weg dahin.
Es wäre sicher spannend gewesen, das Beziehungsnetz mit seinen feinen Fäden weiter auszuspinnen. Dazu hätte es weder die Schicksalsschläge gebraucht, die der Plot bemüht. Noch müssten die Botschaften der Handlung eigens ausgesprochen werden. Solch grobes Garn mag auf dem Theater funktionieren, im Film bewirkt ein ziselierteres Gewebe oft die schöneren Effekte. Es ist wie mit den Tapeten. Man muss ja nicht auf den ersten Blick erkennen, um welches Muster es sich handelt.
OT: „El inconveniente“
Land: Spanien
Jahr: 2020
Regie: Bernabé Rico
Drehbuch: Juan Carlos Rubio, Bernabé Rico
Vorlage: Juan Carlos Rubio
Musik: Julio Awad
Kamera: Rita Noriega
Besetzung: Juana Acosta, Kiti Mánver, Carlos Areces, José Sacristán
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